Konflikt um Land in Israel und Palästina: „Das ist unmenschlich“

Immer wieder reißt Israel in Al-Walaja angeblich illegal erbaute Häuser ab. Die Be­woh­ne­r*in­nen protestieren, nun soll ein Gericht entscheiden.

Hausruinen, menschenmenge und ein Bagger aus der Vogelperspektive

Anhaltender Konflikt: Israels Militär überwacht einen Abbruch in Al-Walaja im September 2018 Foto: Wisam Hashlamoun/AA/picture alliance

AL-WALAJA taz | Vor sechs Jahren hat Ibrahim El Araj einen Abrissbefehl für sein Haus erhalten, seitdem schläft er schlecht. Oft, so erzählt er, setzt er sich dann nachts an die Betten seiner drei Kinder und sieht ihnen beim Schlafen zu. „Wie soll ich ihnen das erklären“, fragt der 37-jährige Anwalt: „Wenn tatsächlich israelische Bulldozer kommen sollten und unser Haus bis auf die Grundmauern zerstören?“ Am kommenden Mittwoch wird Israels Oberster Gerichtshof darüber entscheiden, ob El Arajs Haus sowie 37 weitere Wohnhäuser in Al-Walaja, einem kleinen arabischen Dorf südlich von Jerusalem, zerstört werden.

Hauszerstörungen sind in Al-Walaja keine Seltenheit, besonders in Ein Juweza, dem Viertel des Dorfes, in dem auch El Arajs Haus liegt. Rund fünfzig Gebäude wurden in den letzten Jahren hier niedergerissen. Fährt man durch die Straßen, sieht man immer wieder Flächen mit Geröll, aus denen Eisenstangen hervorragen. Manchmal erinnern Teile der Grundmauern, eine Haustür oder eine zurückgelassene Waschmaschine in den Trümmern daran, dass hier mal Menschen gewohnt haben.

„Es ist schwer zu erklären, was es bedeutet, wenn dein Haus abgerissen wird. Als würde das Zentrum deines Lebens zerstört“, erklärt El Araj. Er kennt die Familien, deren Häuser bisher abgerissen worden sind. Viele von ihnen haben danach das Dorf verlassen. Die Begründung des israelischen Staates lautet: Die Häuser seien illegal erbaut worden. El Araj schüttelt den Kopf: „Seit 1967 gibt es keinen Bebauungsplan für Ein Juweiza, immer wieder wurde er verschoben.“

Die Hauptbegründung dafür lautet, das Gebiet liege im Naturschutzgebiet. El Araj aber hält das für einen vorgeschobenen Grund. Er zeigt auf Hunderte von Häusern, die sich den nächstgelegenen Hügel herunterziehen: Sie gehören zu Gilo. Die internationale Staatengemeinschaft bezeichnet Gilo als illegale Siedlung im Westjordanland, Israel jedoch betrachtet es als reguläres Viertel von Jerusalem. „Wieso darf Gilo wachsen?“, fragt El Araj. Dann zeigt er in die andere Richtung, wo eine weitere Siedlung direkt an Al-Walaja angrenzt. „Und wieso wird Har Gilo erweitert? Nur wir dürfen nicht bauen!“

Verschiedene Rechte für Israelis und Pa­läs­ti­nen­se­r*in­nen

„Die Situation in Al-Walaja ist ein extremer Fall einer umfassenden israelischen Politik, die den Palästinensern das Recht auf faire Planung verwehrt“, erklärt Aviv Tatarsky, ein Mitarbeiter der Nichtregierungsorganisation Ir Amim, die sich auf den israelisch-palästinensischen Konflikt in Jerusalem konzentriert.

Extrem auch deshalb, weil die territorialen Verhältnisse des Dorfes denkbar kompliziert sind: Al-Walaja ist in zwei Teile geteilt – einer steht unter palästinensischer Verwaltung, der andere – Ein Juweza – wurde 1967 von Israel annektiert und wird von Israel als Teil von Jerusalem betrachtet. Nur in einem kleinen Teil des Dorfes dürfen die Be­woh­ne­r*in­nen legal bauen. Häuser mit zahlreichen Stockwerken ziehen sich dort in die Höhe.

El Araj zeigt auf einen Stacheldrahtzaun, der sich nur wenige Meter unterhalb von seiner Terrasse entlangzieht. Anfang der 2000er Jahre, während der Zweiten Intifada, hat Israel diese Sperranlage errichtet, an einigen Stellen ist sie ein Zaun, an anderen eine hohe Betonmauer. Sie trennt das arabische Dorf von den umliegenden Siedlungen. Obwohl Ein Juweza also offiziell zu Jerusalem gehört, verläuft die Sperranlage hindurch, als läge das Viertel auf der palästinensischen Seite.

„Müllabfuhr, Wasser, Strom, all das erhalten wir nicht aus Jerusalem, sondern aus Bethlehem.“ El Araj nimmt einen Schluck Tee und nickt über den Zaun hinweg Richtung Jerusalem: „Es ist absurd. Israel kann entweder sagen: Ihr gehört zu uns, aber dann sollen sie uns die gleichen Rechte geben wie Israelis, inklusive Bebauungsplan. Oder sie lassen den Anspruch auf Ein Juweza fallen. Aber dieser Zustand hier ist unmenschlich.“

Portrait von Ibrahim El Araj

Ibrahim El Araj im Garten seines abrissgefährdeten Hauses Foto: Judith Poppe

US-Kongress-Mitglieder unterstützen Al-Walaja

Der Gerichtsentscheid am Mittwoch wird wohl endgültig sein, eine weitere Verschiebung ist nicht möglich – und sie fällt in die Zeit kurz vor Ramadan, eine Zeit, in der sich die Spannungen zwischen Pa­läs­ti­nen­se­r*in­nen und Israelis in Jerusalem oft zuspitzen.

In der vergangenen Woche haben fünfzig Mitglieder des US-Kongresses zur Unterstützung der Pa­läs­ti­nen­se­r*in­nen in Al-Walaja aufgerufen. „Ohne starken internationalen Druck wird diese grundlegende Form der Diskriminierung schwer zu überwinden sein“, erklärt Tatarsky. Doch im Kleinen ist er hoffnungsvoll: „Ein Bebauungsplan für Al-Walaja an sich ist keine komplizierte Sache und käme nicht auf Kosten von israelischen Interessen.“ Darauf hofft auch El Araj, während er seinen Kindern beim Spielen im Garten zusieht. „Es muss einfach klappen. Einen Plan B gibt es nicht.“

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