Anne Spiegel im Untersuchungsausschuss: In Erklärungsnot

Die ehemalige Landesumweltministerin von Rheinland-Pfalz Anne Spiegel steht wegen Chatprotokollen unter Druck. Nun hat sie sich verteidigt.

Anne Spiegel trägt eine schwarze FFP2-Maske und schaut ernst

Die Bundesfamilienministerin im Untersuchungsausschuss in Mainz am 11.03 Foto: Arne Dedert/dpa

MAINZ taz | Am Freitagabend haben Ausschussmitglieder und Öffentlichkeit einen beklemmenden Auftritt von Bundesfamilienministerin Anne Spiegel erlebt. Im Plenarsaal des rheinland-pfälzischen Landtags, in dem die steile politische Karriere der Grünenpolitikerin begann, musste sie als Zeugin vor dem parlamentarischen Untersuchungsausschuss zur Flutkatastrophe im Ahrtal Rede und Antwort stehen. Allein dort waren 134 Menschen in der Nacht des 14. Juli 2021 zu Tode gekommen, Tausende hatten ihr Hab und Gut verloren.

Bis zur Bundestagswahl war Spiegel in Mainz Landesumweltministerin. Zu ihrem damaligen Verantwortungsbereich gehörte die Verfolgung der Pegelstände von Flüssen und Bächen des Landes, die Grundlage für Hochwasserwarnungen und den Katastrophenschutz sind. Der parlamentarische Untersuchungsausschuss ist auf der Suche nach möglichen Pannen und Fehlentscheidungen vor und in der Flutnacht.

Sachverständige haben vor dem Ausschuss ausgesagt, in den Tagen vor der Flut habe es klare Hinweise auf ein bevorstehendes Extremhochwasser gegeben. Hätte man Menschen retten können, wenn sie früher und nachhaltiger gewarnt und aus den Überflutungsgebieten evakuiert worden wären? Diese Frage steht im Raum, als Spiegel sich einem Dutzend Fotografen und Kameraleuten stellt.

Sie erscheint mit schwarzer Mund- und Nasenmaske in einem dunkelgrauen Hosenanzug, unter dem Jackett trägt sie einen schwarzen Pullover. Während ihrer Vernehmung bis weit nach Mitternacht spricht sie mit leicht belegter Stimme, immer wieder muss sie sich räuspern. Auch ihrem ungewohnt blassen Gesicht sind die Spuren einer gerade überwundenen Coronainfektion anzusehen.

„Anne braucht eine glaubwürdige Rolle“

Ihre ersten Worte gelten den Opfern jenes „furchtbaren tragischen Unglücks der tragischen Nacht“ und ihren Familien. Die Ministerin versichert ihr aufrichtiges Beileid und tiefes Mitgefühl. Energisch stellt sie fest: „Es ist absolut falsch, dass ich zu irgendeinem Zeitpunkt ein anderes Ziel hatte, als den Menschen zu helfen“.

Genau der gegenteilige Eindruck hatte in den vergangenen Tagen entstehen können. Aus den Akten, die dem Ausschuss vorliegen, haben Medien Chatprotokolle der Ministerin mit ihren Mitarbeitern veröffentlicht. Am Morgen nach der Flut sorgt sich ihr Sprecher Dietmar Brück vor allem um das Bild der Ministerin in der Öffentlichkeit.

Anne Spiegel trägt eine schwarze Umhängetasche

Spiegel: „Es ist falsch, dass ich ein anderes Ziel hatte, als den Menschen zu helfen“ Foto: Arne Dedert/dpa

„Anne braucht eine glaubwürdige Rolle“ heißt es in seiner SMS. Die Ministerin stimmt zu und befürchtet das „blame Game“, also das Spiel um Schuldzuweisungen. Spiegel verlangt nach einem „wording“, also einer plausiblen Sprachregelung: „Dass wir rechtzeitig gewarnt haben, wir alle Daten immer transparent gemacht haben, ich im Kabinett gewarnt habe, was ohne Präventionsmaßnahmen alles noch schlimmer geworden wäre“. Ihr schwant Übles: Sie könne sich gut vorstellen, dass „Roger“ (der rheinland-pfälzische Innenminister Roger Lewentz) Schuldzuweisungen in ihre Richtung abwälzen könnte, „dass er sagt, die Katastrophe hätte verhindert werden können, wenn wir als Umweltministerium früher gewarnt hätten,“ schreibt sie.

Diese verstörenden Texte aus der internen Kommunikation des Ministerbüros seien Zeichen „moralischer Abgründe“, sagt die Landtagsopposition. Grünen-Landtagsfraktionschef Bernhard Braun beklagt dagegen eine „bösartige Kampagne“ gegen die Ministerin, die bis dahin stets als persönlich integre und empathische Politikerin gegolten hatte.

CSU-Generalsekretär fordert Spiegels Rücktritt

Auch nach ihrer mehr als dreistündigen Befragung ist die Frage unbeantwortet, wie es zu den finsteren Gedanken im Ministerbüro kommen konnte. Das persönliche und dienstliche Verhältnis zu Innenminister Lewentz bezeichnet Spiegel gar als „freundschaftlich“ und „professionell“. Bei dem Dialog handle es sich lediglich um „zwei von Tausenden“ Chatprotokollen. Der dokumentierte Gedanke sei ihr damals gekommen und danach nie wieder, betont sie.

Vor dem Ausschuss versichern ihr Staatssekretär Erwin Manz und sie mehrfach, in der Flutnacht hätten die Meldeketten und die Übermittlung der bedrohlichen Daten des Extremhochwassers durchgängig funktioniert. Dass sie selbst und das Ministerium in der Nacht nicht von sich aus tätig oder gar vor Ort gewesen seien, erklärt ihr Staatssekretär mit den klar geregelten Zuständigkeiten.

„Wir wussten, dass wir in dieser Situation, in denen Rettungskräfte und Katastrophenschutz gefragt sind, nicht helfen konnten“, sagt Manz. Er habe der Ministerin deshalb dringend abgeraten, noch in der Nacht ins Katastrophengebiet zu fahren. Dem zeitweilig in der Öffentlichkeit entstandenen Eindruck, die Ministerin sei in der Nacht für ihre MitarbeiterInnen nicht erreichbar gewesen und eher abgetaucht, tritt er energisch und detailreich entgegen. Sie sei stets über die dramatische Lage im Bild gewesen.

Bei der Mainzer Landtagsopposition kann Spiegel an diesem Abend nicht punkten. Sie habe sich am Morgen nach der Flut vor allem um ihr Bild in der Öffentlichkeit gesorgt, um ihr Versagen zu verschleiern, bilanziert der Ausschuss-Obmann der Freien Wähler, Stephan Wefelscheid. In Berlin fordern Unions-Politiker Spiegels Rücktritt vom Amt der Bundesfamilienministerin. Eine „Belastung für die Bundesregierung“ nennt sie CSU-Generalsekretär Stephan Mayer. Spiegel habe sich in der Krise mehr um ihr Image als um Warnung und Hilfe für die Bevölkerung gekümmert.

Warum die Menschen in der Region nicht früher gewarnt und aus gefährdeten Bereichen nicht rechtzeitig evakuiert wurden, diesen Fragen wird der Ausschuss im April nachgehen. Dann werden der für den Katastrophenschutz zuständige Innenminister und die örtlich verantwortlichen Landräte gehört werden.

Die Staatsanwaltschaft ermittelt gegen den damaligen Ahrtal-Landrat Jürgen Pföhler wegen des Verdachts der fahrlässigen Tötung durch Unterlassen. Im Ahrtal war der Katastrophenalarm erst spät in der Nacht ausgelöst worden, obwohl schon Stunden zuvor im oberen Ahrtal Häuser eingestürzt, Brücken geborsten und geparkte Autos und entwurzelte Bäume von den Fluten mitgerissen worden waren.

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