Tanztheater in Berlin: Dein Körper spricht zu mir

In der Halle Tanzbühne beschäftigt sich das Stück „talk to me!“ mit Kommunikation. Das Ensemble besteht aus gehörlosen und hörenden Tänzer*innen.

Tänzerinnen in der Gruppe

Im Stück „Talk to me!“ kommunizieren die Tän­ze­r*in­nen mit ihren Körpern Foto: Magda Myjak

Die Körper der sechs Tän­ze­r*in­nen berühren sich selten, sie tanzen dennoch eng zusammen. Freude, Wut, Zärtlichkeit, Eifersucht, Angst, Erschöpfung. Die Gefühlsregungen, an denen die Per­for­me­r*in­nen ihr Publikum teilhaben lassen, sind mindestens so vielseitig wie die Themen, die das Tanzstück „talk to me!“ in der „Halle Tanzbühne Berlin“ in Prenzlauer Berg streift: Liebe, Rassismus, (sexuelle) Selbstbestimmung, um nur ein paar zu nennen.

Die Choreografin Vanessa Huber, die 2009 das Künst­le­r*in­nen­kol­lek­tiv tanzApartment in Berlin gründete, hat für „talk to me“ fünf Dar­stel­le­r*in­nen und einen Musiker mit unterschiedlichen biografischen Hintergründen zusammengebracht: Helena Fernandino kommt aus Brasilien und arbeitet seit 2003 in Deutschland. Medhat Aldaabal flüchtete 2015 aus Syrien nach Berlin. Bettina Kokoschka kommt ursprünglich aus Kassel und kam taub zur Welt. Der Tänzer Dodzi Dougban ist in Nordrhein-Westfalen geboren und nach einer Ohrenentzündung in der Kindheit gehörlos. Für die Tänzerin Katja Scholz, aufgewachsen in Guben „verschwand mit der DDR ein Stück ihrer Sprache und Identität“, und der Musiker Lorenz Huber, ebenfalls Gründer von tanzApartment, kommt ursprünglich aus der Schweiz.

Tanztheater „talk to me!“, wieder am: 11.03.2022 um 19.30 Uhr, 12.03.2022 um 19.30 Uhr und 13.03.2022 um 12.00 Uhr

Wo? HALLE Tanzbühne Berlin, Eberswalder Straße 10, 10437 Berlin

Karten ermäßigt 11 Euro/ normal 20 Euro.

Was bedeutet Sprache für dich? Wie können wir uns verstehen, was ermöglicht uns Kommunikation? In „talk to me!“ zeigen die Tän­ze­r*in­nen Teile ihrer eigenen Geschichten. Nicht alles davon erschließt sich auf Anhieb. Etwa weil man die Gebärden nicht versteht, die Sprache nicht spricht oder den Text auf dem Beamerbild so schnell nicht lesen kann.

Vielleicht aber auch, weil die Lücken und die Vorurteile, die die Tän­ze­r*in­nen in der alltäglichen Kommunikation erleben, einem selbst nicht passieren: Sprachbarrieren, Ausgrenzung, Ablehnung. Durch die Interaktion der Spielenden im Tanz wird in jeder Szene ein Gefühl vermittelt. Das aber kann sich durch nur eine kleine Bewegung mit dem Kopf, mit dem Arm in das komplette Gegenteil verändern.

Von Gedichten zu Gebärden zu Tanz

Kommuniziert wird in „talk to me!“ an manchen Stellen auch durch gesprochenes Wort und durch Schrift. „Frieden ist schön“ steht etwa auf einer Tür. Der Satz in Bezugnahme auf den Liedermacher Gerd Eggers hängt gerade jetzt länger nach. Auch die Erinnerung an die #SchauHin-Initiative, die 2013 viral ging und Alltagsrassismus sichtbar machte, bleibt hängen, wird im Anschluss nochmal in die Suchmaschine getippt.

Projektion einer Tänzerin vor einem Rollladen durch den Hände greifen

Wer darf mich berühren und wann, wer nicht? Die Tänzerin Helena Fernandino Foto: Magda Myjak

Amusänt auch die kleine Intervention mit der Spracherkennungssoftware Siri, die künstlerische Selbstkritik fördert: „Siri, was ist der Sinn des Lebens?“ -„Das kann ich Dir im Moment nicht beantworten. Wenn Du mir jedoch etwas Zeit gibst, schreibe ich ein sehr langes Theaterstück, in dem absolut nichts passiert.“

Hauptsächlich wird im Stück aber durch die tanzenden Körper, mit Gebärden und Musik kommuniziert. Lorenz Huber zeigt dabei musikalische Vielfältigkeit an Saxofon, Klarinette, Querflöte und Schlaginstrumenten. Die Gruppe arbeitete auch mit Gedichten, übersetzte diese in Gebärdensprache und ließ die Gebärden dann in ihre Tanzstücke einfließen. Die verschiedenen Tanzstile der Per­fo­me­r*in­nen harmonieren, besonders schön sind die immer wieder eingeschobenen synchronen Tanzparts, die verdeutlichen, wie wenig wichtig das Hören – oder Nicht-hören in der Kommunikation im Tanz ist.

Toll eingesetzt wird auch das auf den ersten Blick einfache, dann im Laufe des Stückes sehr vielseitige Bühnenbild. Die kleine dargestellte Wohnung wird zum Begegnungsraum. Getanzt wird mit und auf einem Klappsofa, musiziert wird an Wänden, Tischen und mit Geschirr. Auf Fenstern gibt es Schattenspiele, das rhythmische Öffnen von Türen wird zur unterhaltsamen Choreografie. Das Bühnenbild wird dabei immer wieder humoristisch eingesetzt, sodass das Stück trotz ernster Themen nie die Leichtigkeit verliert, die auch im Tanz zu sehen ist.

Nach anderthalb Stunden intensiven Bewegungsphasen, dabei besonders ausdrucksstarken Momenten der Tän­ze­r*in­nen Helana Fernandino und Dodzi Dougban, gibt es am Donnerstagabend gebührenden Premierenapplaus. Dass dieser ein wenig leiser ausfällt, liegt nur daran, dass einige im Publikum die Hände heben und die Handgelenke nach links und rechts drehen: die Gebärde für Applaus.

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