Georgiens gescheiterter Nato-Beitritt: Ein betrogenes Land

Eine große Mehrheit Georgiens wünscht sich den Nato-Beitritt – aus Angst vor Russland. Dessen Präsident verhindert, dass es dazu kommt.

Soldaten auf einem Panzer, im Hintergrund weht die Flagge Georgiens und der Vereinigten Staaten

Gemeinsame Militärübung: Soldaten der USA und Georgiens in Tiflis im Jahr 2016 Foto: Xinhua/imago

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Russlands Präsident Wladimir Putin war in Aufruhr, als am 4. April 2008 der Nato-Gipfel in Bukarest mit der Zusage endete, Georgien und die Ukraine würden definitiv Mitglieder des Bündnisses werden. Putin nannte das eine „direkte Bedrohung der Sicherheit Russlands“. Sollte die Ukraine der Nato beitreten, würde sie als Staat aufhören zu existieren“, drohte Putin im Gespräch mit seinem US-Amtskollegen Georges W. Bush wenig später.

Doch nicht nur Putin war verärgert. Georgien und die Ukraine bekamen nicht, auf was sie gehofft hatten. Auf Drängen von Frankreich und Deutschland wurde den beiden Staaten eine Aufnahme in den Nato-Aktionsplan verweigert. Die Absage der Nato raubte Georgien jede Chance auf politische Freiheit. Und Putin hatte verstanden, dass er anstelle Georgiens und der Ukraine entscheiden konnte.

Heute, fast 14 Jahre später, bezeichnet der frühere Nato-Generalsekretär Anders Fogh Rasmussen die Entscheidung von 2008 als „Fehler“. Man habe „Putin ein falsches Signal gesendet“. In Georgien lässt sich kaum jemand finden, der Rasmussen nicht Recht geben würde. Im August 2008 marschierten russische Truppen in Georgien ein und stoppten erst 40 Kilometer vor der Hauptstadt Tiflis. Sie sind bis heute dort.

Russland erkannte die beiden abtrünnigen Regionen Abchasien und Südossetien an und stationierte dort 8.000 Soldaten. Übrigens: Im Fall der „Volksrepubliken“ Donezk und Luhansk zitierte der Kreml dieses Dokument fast Wort für Wort, nur das Datum und die Bezeichnung des Territoriums wurden geändert. Auch der Vorwand für die Invasion war derselbe – ein Genozid an der lokalen Bevölkerung.

Gegen Russland wurden keine Sanktionen verhängt. Der nächste Nato-Gipfel fand im Dezember 2008 statt. Ein Nato-Aktionsplan für Georgien und die Ukraine? Wieder Fehlanzeige. Dafür begann 2009 die sogenannte Borderization. Russische Truppen verschoben die sogenannte Grenze zwischen Südossetien und Georgien regelmäßig immer weiter ins Landesinnere von Georgien hinein – ohne Rücksicht auf die ortsansässige Bevölkerung, die ihre Häuser verlor.

Der Krieg um Südossetien war bereits der vierte in Georgien seit dem Zusammenbruch der Sowjetunion 1991. In einem Land, in dem 3,7 Millionen Menschen leben, ist je­de*r dreizehnte Be­woh­ne­r*in ein Flüchtling. Mit der Demokratie in Georgien ging es sofort nach dem russischen Einmarsch bergab. Der damalige Präsident Michail Saakaschwili, der noch nach der „Rosenrevolution“ bei der Wahl 2004 mehr als 90 Prozent der Stimmen erhalten hatte, verwandelte sich in einen Autokraten.

Als wenig später an seine Stelle die Partei „Georgischer Traum“ des Oligarchen Bidsina Iwanischwili trat, der in den 90er Jahren mit Geschäften in Russland reich geworden war, verlangsamte sich die Annäherung Georgiens an den Westen. Dass Georgien 2014 dennoch das Assoziierungsabkommen mit der Europäischen Union unterzeichnete, war Folge von Prozessen, die lange vorher in Gang gesetzt worden waren.

In all den Jahren hat Russland die politische Stabilität in Georgien untergraben. Das stärkte die Bevölkerung in ihrem Glauben, die Nato sei die einzige Chance, um die Sicherheit des Landes zu garantieren. Die Regierung steht unter dem Druck der Bevölkerung, entschlossen zu handeln. Doch die politischen Kreise in Georgien sind gespalten.

All dies überwacht eine Mission der Europäischen Union, die jedoch die „Grenze“ nach Südossetien nicht überqueren darf. Gleichzeitig hat die Regierung den Versuch nicht aufgegeben, sich die Nato-Mitgliedschaft zu „erkaufen“. Georgische Truppen haben an der Nato-Mission in Afghanistan teilgenommen. 22.000 georgische Soldaten waren dort über die Jahre im Einsatz. 32 von ihnen wurden getötet.

Deutschland lehnte Nato-Beitritt Georgiens ab

Nach dem Krieg 2008 hatte die Nato drei Generalsekretäre. Jeder von ihnen wiederholte das Versprechen von 2008. Aber niemand hatte es eilig, wenigstens ein ungefähres Datum zu nennen. Gleichzeitig ist seit 14 Jahren die Zahl der Befürworter eines Nato-Beitritts nie unter die Marke von 70 Prozent gefallen. Jedoch bietet sich der Bevölkerung ein paradoxes Bild: Der Nato-Beitritt Georgiens war gerade wegen Russland notwendig, aber genau deswegen wurde er nicht vollzogen.

Im Dezember 2021, während Russland seine Truppen an der Grenze zur Ukraine zusammenzog, forderte Moskau die Nato auf, ihre Expansionspolitik aufzugeben. Nach dem Beginn des russischen Angriffskriegs wurden die Ge­or­gie­r*in­nen von einem Gefühl der Solidarität, aber auch von einer wahnsinnigen Angst ergriffen. Schließlich ist Russland der Ansicht, dass es das Recht habe zu entscheiden, wie das ukrainische Volk weiterleben soll. Was hält Moskau davon ab, das Gleiche in Georgien zu tun?

Andererseits sind viele Menschen in Georgien davon überzeugt, dass der Krieg in der Ukraine und zahlreiche andere Probleme hätten vermieden werden können, wenn Georgien Teil des nordatlantischen Bündnisses geworden wäre. Die Frage der Aufnahme Georgiens und der Ukraine war bereits im April 2014 nach der Annexion der Krim aktuell. Auch damals war Deutschland dagegen.

Anderthalb Jahre später flog der damalige Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel nach Moskau, um Putin zu versichern, dass der Bau der Gaspipeline Nord Stream 2 garantiert sei. Offiziell wurden Georgien und die Ukraine nicht aufgenommen, da zuerst Reformen nötig seien. Doch auf den Fluren klang das anders: bloß keine Konfrontation mit Russland. Der russische Oppositionelle Boris Nemzow, der im Februar 2015 im Zentrum von Moskau erschossen wurde, dachte anders darüber. „Putin“, sagte er, „will einfach keine Demokratie an Russlands Grenzen.“

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ist 31 Jahre alt und arbeitet als freier Journalist in Tiflis. Unter anderem ist er für den georgischen Dienst von Radio Freies Europa tätig. Seine Schwerpunkte sind Menschenrechte und digitale Sicherheit. Er hat einen Masterabschluss in Journalistik und Kommunikation. Er war Teilnehmer eines Workshops der taz Panter Stiftung.

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