Widerwille gegen erneute Lockdowns: In China liegen die Nerven blank

Bislang haben die Chinesen die Null-Covid-Politik stets akzeptiert. Aber nach neuen harten Lockdowns zeigt sich aufgestauter Frust.

Sicherheitskräfte, die Schutzanzüge zum Schutz vor dem Coronavirus tragen

Sicherheitskräfte bringen Waren in ein verriegeltes Wohngebiet in Peking Foto: Andy Wong/AP

PEKING taz | Halb Schanghai war von Dienstag auf Mittwoch auf den Beinen, um die nächstgelegenen Gemüseläden und Spätkaufs aufzusuchen und leerzuräumen. Der Grund für die plötzlichen Panikkäufe: Wie ein Lauffeuer verbreitete sich in der Nacht das Gerücht, dass die Stadtregierung einen vollständigen Lockdown verhängen würde. Dabei hatten die meisten Wohnanlagen erst wenige Stunden zuvor die Stahlschlösser an den verplombten Toren geöffnet.

Dieser Tage wird die Belastungsgrenze der Chinesen auf die bisher schwerste Probe seit Frühjahr 2020 gestellt. Unzählige Millionenstädte sind bereits abgeriegelt, überall im Land werden wieder provisorische Quarantänecamps und Covid-Spitäler errichtet.

Die täglich gemeldeten Infektionen liegen seit einer Woche relativ konstant bei knapp 5.000, die Dunkelziffer dürfte deutlich höher sein. Für die Nulltoleranzstrategie ist jedoch im Grunde jeder noch so kleine Infektionsstrang eine existenzielle Bedrohung.

Die Bevölkerung hat die Zero-Covid-Maßnahmen bislang als notwendiges Übel bereitwillig hingenommen. Nun jedoch, mit Omikron, scheint sich der Frust um ein Vielfaches erhöht zu haben. Wie viel Wut sich zuweilen aufgestaut hat, belegt ein Handyvideo aus der südchinesischen Tech-Metropole Shen­zhen: Mit rabiater Gewalt bahnt sich die Menschenmasse ihren Weg durch die Stahlzäune, die das Viertel zuvor 23 Tage lang abgeriegelt hatten. „Wir wollen leben, wir wollen arbeiten“, schreien einige der Anwohner in Richtung der Sicherheitskräfte.

Tagelöhner und Fabrikarbeiter leiden

Für die mittelständischen Großstädter mag der Lockdown eine mentale Belastung sein, doch den Fabrikarbeitern und Tagelöhnern entzieht er ihre einzige Einkommensquelle. Denn die chinesische Regierung zahlt praktisch keine finanzielle Entschädigung für einen Verdienstausfall, stattdessen werden fast ausschließlich die Unternehmen unterstützt. Um überleben zu können, schlafen bereits jetzt etliche Lieferkuriere in Shenzhen auf der Straße in Zelten, damit sie tagsüber weiterarbeiten können. Denn zu Hause in ihren Unterkünften droht jederzeit ein zweiwöchiger Lockdown.

Lieferkuriere schlafen auf der Straße, um tagsüber weiterarbeiten zu können

Die Lage in der Volksrepublik scheint langsam, aber sicher aus dem Ruder zu laufen – und zwar nicht wegen des Virus selbst, sondern wegen der dagegen eingeleiteten Maßnahmen. Im Nordosten stehen Menschen bei Schneesturm und zweistelligen Minusgraden vor den Testzentren Schlange. In einigen Provinzstädten töten Mitarbeiter des Gesundheitspersonals die – potenziell infizierten – Hunde und Katzen von Anwohnern, die in Quarantänecamps verschleppt wurden; und Polizisten marschieren in Wohnungen ein, um „Testverweigerer“ mit körperlichem Zwang zum Einlenken zu bringen. Immer wieder kommt es zudem in abgesperrten Wohnsiedlungen zum Handgemenge.

Klar ist, dass die Volksrepublik bisher aufgrund radikaler Maßnahmen unzählige Virustote in der Bevölkerung verhindert hat. Doch immer mehr zeichnet sich ab, dass im Zuge von Omikron der chinesische Vorschlaghammeransatz regelrecht kontraproduktiv ist. In einigen Extremfällen führt der Null-Covid-Ansatz gar zu tödlichen Kollateralschäden: In der vorherigen Woche ist eine Krebspatientin aus Schanghai während ihrer Chemotherapie gestorben, da sie aufgrund des Lockdowns nicht aus ihrer Wohnung und ins Krankenhaus gelassen wurde. In Changchun starb sogar ein 4-jähriges Kind, da das Spital darauf bestand, eine Kehlkopfentzündung erst nach Eintreffen eines negativen Tests zu behandeln.

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