Gentherapie bei Bluterkrankheit: Heilbar, nur wie lange?

Bluter sind lebenslang auf Spritzen oder Blutpräparate angewiesen. Eine Studie zeigt nun erstmals: Der Gendefekt lässt sich weitgehend beheben.

Ein Mann hat eine Wunde am Finger

Bei der Bluterkrankheit Hämophilie sind Gene defekt, die dafür sorgen, Blutungen zu stillen Foto: Christin Lade/EyeEm/mauritius images

BERLIN taz | Für die Mehrheit der Menschen ist der Kontakt mit einer Tischkante schmerzhaft, aber selten gefährlich. Auch ein kleiner Luftsprung geht meist glimpflich aus, selbst wenn es ein paar feine Blutgefäße in den Gelenken dahinrupft. Ein wenig Blut strömt ins Gewebe, dann wird das Leck vom Körper gestopft – zumindest bei Gesunden.

Sogenannte Bluter können jedoch selbst an kleinsten Verletzungen sterben. Ein Erbdefekt stört ihre Blutgerinnung, vor allem innere Blutungen werden nicht gestillt. Die Patienten, die fast ausschließlich männlich sind, bleiben ein Leben lang auf Medikamente angewiesen. Bisher jedenfalls. Die Hoffnung wächst, dass sich das absehbar ändern könnte.

Erstmals hat ein US-Forschungsteam im Rahmen einer klinischen Wirksamkeitsstudie gezeigt, dass die Bluterkrankheit oder Hämophilie heilbar ist. Wie Bio­me­di­zi­ne­r:in­nen im New England Journals of Medicine berichten, war mehr als ein Drittel der 134 teilnehmenden Bluter ein Jahr nach der Behandlung nicht mehr hämophil, weitere 50 Prozent hatten nur noch leichte Gerinnungsstörungen.

Insgesamt sank der Bedarf an Gerinnungspräparaten unter den Probanden binnen eines Jahres um mehr als 98 Prozent. Nebenwirkungen traten zwar bei allen Teilnehmern der Studie auf, waren jedoch meist mild und behandelbar.

Viele Bluter starben an HIV

Die Bluterkrankheit ist keine sehr häufige Erkrankung, dennoch erlangte sie in den 1980er Jahren tragische Berühmtheit. Unter Blutern kam es damals weltweit zu einer Welle von HIV-Infektionen, der Aidserreger wurde durch die damals noch ungeprüften Blutpräparate zur Behandlung der Hämophilie übertragen. Viele Betroffene starben noch vor der Entwicklung wirksamer HIV-Medikamente.

Ihre Ursache hat die Bluterkrankheit in genetischen Defekte des Gerinnungssystems. Hämophilie-A-Patienten fehlt aufgrund eines solchen Defekts der Gerinnungsfaktor VIII, kurz Faktor acht genannt. In Hämophilie-B-Patienten ist das Gen für den Gerinnungsfaktor IX, kurz Faktor neun oder auch Christmas-Faktor genannt. Das Protein war 1952 erstmals in Blutproben von Stephen Christmas entdeckt worden, einem damals fünfjährigen Jungen, der sich über die zur Therapie nötigen Blutprodukte später mit HIV infizierte und an Aids starb. Hämophilie B wird heute oft noch als Christmas-Krankheit bezeichnet.

Beide Typen der Bluterkrankheit kommen fast ausschließlich bei Männern vor, weil die Gene der beiden Gerinnungsfaktoren auf dem sogenannten X-Chromosom sitzen, einem Geschlechtschromosom, das bei Männern nur einfach, bei Frauen aber doppelt vorhanden ist. Frauen haben deshalb meist eine gesunde zweite Kopie des Erbanlage für den Faktor und werden nicht krank. Sie vererben die Krankheit aber mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit an ihre Söhne oder über die Töchter auch an ihre Enkel.

Bisher wird eine Hämophilie behandelt, indem der fehlende Gerinnungsfaktor regelmäßig zugeführt wird. Neben aus menschlichem Blut gewonnenen Präparaten stehen heute zwar auch länger wirksame, gentechnisch hergestellte Faktoren zur Verfügung. Dennoch müssen die Betroffenen auch diese Mittel in der Regel mehrfach wöchentlich intravenös spritzen, um weitestgehend normal leben zu können. Zudem entwickelt das körpereigene Immunsystem bei einem substanziellen Teil der Patienten Antikörper gegen die zugeführten Gerinnungsfaktoren. Die Wirkung der Injektionen wird dadurch stark eingeschränkt.

Frühe Misserfolge

Eine Heilung der Bluterkrankheit ist nur durch den Ersatz der defekten Erbanlage möglich. Forschungen dazu begannen bereits in den Neunzigern, als erste gentherapeutische Ansätze auch für andere Leiden erprobt wurden. Das Konzept bestand und besteht darin, gesunde Kopien von defekten oder fehlenden Genen mithilfe einer sogenannten Genfähre – fachsprachlich Vektor – in den Körper und die Zellen einzuschleusen. Als Fähren dienen dabei bis heute Viren, die Menschen nicht krank machen, aber zuverlässig in menschliche Zellen eindringen können, damit ihr Gepäck auch zur Entfaltung kommt.

Die ersten Jahre, in denen solche Therapien an Pa­ti­en­t:in­nen erprobt wurden, endeten jedoch nicht glücklich. In einigen Studien lösten die Vektoren heftige, teils tödliche Immunreaktionen aus, in anderen Tests verursachten sie bei den Patienten Krebs. Das Forschungsfeld lag wegen dieser Zwischenfälle lange Zeit fast brach, seither bemühten sich Forscher:innen, das zen­tra­le Pro­blem der unzuverlässigen delivery, der Lieferung von Erbgutschnipseln mittels Genfähren, zu lösen.

Seit etwa fünf Jahren sieht es so aus, als sei komme man einer Lösung allmählich nahe. 2017 wurden zahlreiche viel versprechende Ergebnisse neuer Gentherapiestudien veröffentlicht – darunter Resultate einer ersten Studie mit Blutern. Zehn Patienten wurde mit einer neuartigen Genfähre das intakte Gen in Zellen der Leber eingeschleust. Der Vektor, der aus einem adeno-assoziierten Virus (AAV) entwickelt worden war, erwies sich als unproblematisch. Die Therapie zeigte zugleich Wirkung: Nach einem halben Jahr waren acht der zehn Probanden unabhängig von einer Medikation durch Spritzen.

Die neue Studie bestätigt nun den Erfolg von damals. Und sie legt auch nahe, dass die neue Genfähre zuverlässig ist. „Die relativ große Zahl von Patienten in der Studie spricht für eine hohe unmittelbare Sicherheit dieser Gentherapie mit AAV-Vektoren bei Erwachsenen“, sagt Boris Fehse vom Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf. Bei Kindern hatte es zuletzt schwere immunologische Nebenwirkungen mit AAV-Genfähren gegeben. Es gibt aber noch weitere Sicherheitsbedenken, sagt der Biomediziner Fehse: So könnten sich die Genfähren zufällig in das Erbgut der Zellen einbauen. Aus diesem Grund seien deshalb längere Nachbeobachtungen erforderlich.

Experten dämpfen Erwartungen

Selbiges wird auch für die Wirkung gelten. Auch hier hatten kleinere Untersuchungen bereits gezeigt, dass der Effekt der Gentherapie nach zwei bis drei Jahren schwindet. „Ein Nachteil ist sicherlich, dass man mit dieser gentherapeutischen Konstellation nur einen Schuss hat“, sagt der Forscher. Sollten sich die Leberzellen, die das neue Gen enthalten, erneuern – etwa infolge einer Hepatitis oder auch durch Alkoholkonsum – versiege auch die Produktion des Gerinnungsfaktors. „Ein weiteres Mal lässt sich die gleiche Gentherapie aber wahrscheinlich nicht an einem Patienten durchführen, weil das Immunsystem die Genfähren bei einem zweiten Kontakt erkennt und abfängt.“

Für Fehse wie auch andere Experten ist klar, dass eine direkte Korrektur – ein Editieren – des defekten Gens prinzipiell nachhaltiger sein dürfte als die bloße Ergänzung durch ein zusätzliches, gesundes Gen, das aber nicht Teil des Erbguts wird. Editierte Zellen würden das korrigierte Gen im Rahmen einer Zellteilung weitergeben, es ginge nicht so einfach verloren. Möglich wäre ein gezieltes Editing in Leberzellen etwa mit der Genschere Crispr-Cas9, die das Erbgut sehr präzise punktuell verändern kann. Allerdings müssten solche programmierten molekularen Scheren auch in die Zellen gebracht werden – und zwar in möglichst viele, weil je Zelle nur ein Gen korrigiert werden könne.

„Ein Vorteil der Gentherapie, wie sie jetzt untersucht wurde, ist, dass je Zelle mehrere Kopien des gesunden Gens eingeschleust werden können“, sagt Fehse. Wenn nur ein kleiner Teil der Zellen im sehr großen Organ Leber von den Vektoren erreicht würde, sei der Effekt schon sehr groß. Insofern ist man tatsächlich einen Schritt weiter. Zu Ende ist der Weg allerdings noch nicht. Man hat ihn gerade erst beschritten.

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