Roman über Liebe in Nordkorea: Das Fremde mit der Seele suchend

Autor Andreas Stichmann erzählt in seinem Roman über „Eine Liebe in Pjöngjang“. Dabei wirft er die Verhältnisse zwischen nah und fern durcheinander.

Die deutsche Bibliothek in Pjöngjang im Goethe Institut kurz nach der Eröffnung 2004

Die deutsche Bibliothek in Pjöngjang im Goethe Institut kurz nach der Eröffnung 2004 Foto: dpa

Der Titel des Buchs, „Eine Liebe in Pjöngjang“, enthält eine Plattheit und ein Versprechen. Einfach noch eine Liebesgeschichte braucht kein Mensch. Aber es steht da wirklich Pjöngjang, und Nordkorea ist das Land, in dem die zentrale Begegnung, die hier Liebe genannt wird, sich tatsächlich abspielt.

Es geht hinein in das sehr fremde, lange fast komplett abgeriegelte, totalitär regierte Land. Und die Geschichte endet auch dort, weil eine der beiden, die sich hier lieben, die, man sollte vorsichtiger sagen und bliebe in der etwas pathetischen Formulierung auch näher an der Sprache des Buchs: die hier die Möglichkeit einer Liebe erfahren, am Ende in Nordkorea bleiben wird, in ihrer Heimat.

Die andere heißt Claudia Aebischer, sie ist Deutsche – Ostdeutsche –, eine renommierte Intellektuelle, fünfzig Jahre alt, groß, kurze Haare, Vorliebe für Hosenanzüge, aktuell ohne Partnerin. Sie ist hier, um eine deutsche Bibliothek in Pjöngjang zu eröffnen, eine Gruppe junger Leute um sich, die ihr fremd bleiben, die bald auch wieder verschwinden, früher, als es vereinbart worden war.

Nun ist sie allein im Land. Noch dazu ist sie dabei, die Verbindung zu ihrer eigenen Vergangenheit zu kappen. Sie will ein neues Leben beginnen, vielleicht den Roman schreiben, von dem sie immer geträumt hat. Wir erfahren das alles, sonst weiß von ihren Plänen noch keiner. Wir können es wissen, denn die Erzählinstanz ist nahe an der Figur, auch an ihren Gedanken.

Andreas Stichmann: „Eine Liebe in Pjöngjang“. Rowohlt, Hamburg 2022, 160 Seiten, 20 Euro

Zweimal nimmt Claudia Aebischer eine jüngere Frau wahr, Nordkoreanerin, von der sich zeigen wird, dass sie ihr als Übersetzerin, Betreuerin, Aufpasserin, auch Verführerin (in politischer Absicht) zur Seite gestellt wurde. Ihr Name ist Sunmi, sie ist mit einem viel älteren einbeinigen Germanisten namens Wi (zwangs)verheiratet.

Claudia Aebischer ist von Anfang an fasziniert von Sunmi, ahnt, dass hinter der kühlen Fassade etwas pocht, wenn nicht lodert. Und kaum beginnt man zu fürchten, dass Andreas Stichmann hier das Fremde noch fremder, die nordkoreanische Frau zum exotischen Gegenstand einer westlichen Erotikprojektion machen könnte, bringt er die Verhältnisse zwischen nah und fern, fremd und vertraut komplett durcheinander.

Nicht nur kommt er Sunmi mit der Erzählinstanz so nah wie der Deutschen, ohne doch den Eindruck zu geben, es ließe sich die eine wie die andere völlig oder auch nur einfach verstehen. Sunmi, erfährt man, hat eine Doktorarbeit über die deutsche Ro­mantik geschrieben, im rauschhaften Schreiben an dieser Arbeit ist Sunmi, das Deutsche mit der Seele suchend, sich selbst fremd geworden und dadurch umso näher gekommen.

Doppelt kompliziert

Hier also die ihrer Vergangenheit entfremdete Deutsche, da die Nordkoreanerin, die im Klischee der Fremden nicht aufgeht. In dieser verdoppelten Komplizierung eröffnet sich für die beiden Frauen ein intimer Raum, in dem alles möglich scheint. Es ist, und das macht den Roman zu einem wirklich spannenden Buch, in erster Linie ein sprachlicher Raum.

Sunmi spricht ein sehr eigenes, von der Romantik geprägtes, formales, altertümliches, lyrisches Deutsch: Gegenstand der Faszination für Claudia Aebischer. Und nicht nur für sie: Auch Stichmann selbst hat offenkundig große Freude an dieser Lyrisierung der Normalsprache, zu der durchaus auch die Konfrontation mit denglischem Neudeutsch gehört – zumal auch der Erzählinstanz selbst, also der Sprache, die nicht einfach einer der Figuren zugeschrieben werden kann, gewisse Eigenheiten alles andere als fremd sind.

So ist dieser Roman, in dem das Unterdrückungsregime Nordkoreas immer präsent bleibt, anders politisch: Als Meditation über die Frage über das Eigene und das Fremde, die ihrerseits Eigentümlichkeiten nicht nur zulässt, sondern ausdrücklich sucht. Gerade in diesem Raum des Eigentümlichen, das aber keinem Kollektiv restlos als Identität zuschreibbar wäre, nicht der Nationalität und nicht der sexuellen Identität, gerade in diesem Raum scheint die Option einer Utopie auf.

Im Roman selbst wird es ausdrücklich formuliert: „Im Anderen das Fremde gelten lassen, als das Unverständliche.“ Wie alle Resümees oder Thesen klingt das farblos, selbst schon nah am Klischee. Stichmann aber gelingt es, mit seinem lustvoll perspektivwechselnden Text diese These in ein Vexierbild zu überführen. Wohin das am Ende führt, ist gar nicht der Punkt. Der an Beobachtungen und Schönheiten reiche Weg ist das Ziel.

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