Schülerprotest gegen Ukraine-Krieg: Vormittags-Demo auf einmal erlaubt

Schulsenator Ties Rabe erlaubte Schülern in der Schulzeit auf die Straße zu gehen. Das zählte beim G20-Gipfel noch als „Schulpflichtverletzung“.

Junge Menschen mit blau-gelben Schildern stehen auf einem Platz

Gegen den Krieg: Zehntausende vorwiegend junge Menschen gingen in Hamburg auf die Straße Foto: Daniel Reinhardt/dpa

HAMBURG taz | Auf den ersten Blick wirkt es nur sympathisch: Hamburgs Schulsenator Ties Rabe (SPD) erlaubte seinen Schülern, am Donnerstag an der Friedensdemo teilnehmen, zu der die ukrainische Friday-for-Future-Gruppe aufrief. Alle Schüler ab 16 Jahren durften um 10.30 Uhr zur Demo gehen. Jüngere durften mit Entschuldigung der Eltern ebenfalls für die Demo die Schule verlassen.

Rabe schrieb an die Schulleitungen, er begrüße das Engagement der Schüler und wolle allen, die es möchten, „in dieser so außergewöhnlichen Situation“ die Demo-Teilnahme ermöglichen. Konkret stützt sich diese Aktion laut seinem Sprecher auf Paragraf 28 des Schulgesetzes. Dort steht, „auf Antrag“ kann die Schule ihre Schüler „aus wichtigem Grund“ vom Unterricht befreien.

Ein Blick ins Archiv zeigt, dass der Senator das auch schon mal anders handhabte. Zuletzt 2017 beim Protest gegen den G20-Gipfel in Hamburg, wandte sich seine Rechtsabteilung mit einem Schreiben gegen einen am Gipfel-Tag geplanten „Bildungsstreik“. Die Teilnahme der Schüler stelle eine „Schulpflichtverletzung“ dar, hieß es damals. Die Umdefinition einer Demo zum „praktischen Unterricht“, wie sie einige Lehrer damals erwogen, sei schon „wegen der politischen Neutralität des Schulwesens“ ausgeschlossen.

Zwar erlaubte Hamburgs Schulbehörde Eltern, ihre Kinder zu Hause zu behalten, doch eine Eltern-Entschuldigung mit der Begründung „Teilnahme an einer Demonstration“ würde nicht akzeptiert, erklärte seinerzeit Rabes Sprecher Peter Albrecht. Es gebe außerhalb der Unterrichtszeit eine „Fülle anderer Möglichkeiten“, seine Meinung kundzutun.

Es gibt noch mehr Demos

Nun ist der Krieg in der Ukraine ein so dramatisches Ereignis, dass auch Senatoren ein Umdenken gestattet sei. Rabe wird sich nur künftig bei anderen Protesten in der Schulzeit am Beispiel der Ukraine-Demo messen lassen müssen. Denn es bleibt eine Irritation. Die Regeln für die Schulpflicht sollten nicht politisch dehnbar, „demofrei“ keine persönliche Entscheidung eines Senators sein. Schulstreiks sind immer auch ein Akt zivilen Ungehorsams, der durch so eine Erlaubnis an Schärfe verliert. Ohnehin gibt es ja noch in Hamburg die Anti-Kriegsdemo am Samstag.

Wie will die Behörde damit in Zukunft umgehen? Derzeit können sich noch alle hinter dem Demo-Aufruf #staywiththeukraine vereinen. Aber was, wenn sich der Protest differenziert und demnächst auch Demos für oder gegen Waffenlieferungen antreten?

Eine linke Gruppe innerhalb der Grünen hat laut „Spiegel online“ bereits einen Brief an die Grünen-Spitze geschickt und die deutschen Waffenlieferungen kritisiert. „Wir bitten euch eindringlich, keine Waffenlieferungen in die Ukraine, Verhandlungen zur Deseskalation sofort“, heißt es darin. Muss also bald Rabes Büro abwägen, welche Demo man in der Schulzeit besser findet? Ein Dilemma das Ganze – und viel Stoff für den Politikunterricht. Kaija Kutter

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Jahrgang 1964, seit 1992 Redakteurin der taz am Standort Hamburg für Bildung und Soziales. Schwerpunkte Schulpolitik, Jugendhilfe, Familienpolitik und Alltagsthemen.

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