Blau-gelber Nationalkitsch: Holt die Flaggen ein

Wer Solidarität mit den Menschen in der Ukraine zeigen will, sollte das anders tun, als mit Nationalflaggen zu wedeln. Denn das erzeugt mehr Hass.

Blaue und gelbe Luftballons steigen in den Himmel.

Auf dem Weg zum Horizont: Empathie für die Ukrai­ne­r:in­nen Foto: Moritz Frankenberg / dpa

Es gibt viele gute Wege, sich gegen den Krieg und für Geflüchtete zu engagieren und seine Solidarität mit den Opfern zu zeigen. Eine blau-gelbe Flagge in sein Twitter-Profil oder aus dem Fenster zu hängen, mit Kindern blau-gelbe Blumen auf dem Schulhof zu pflanzen oder blau-gelbe Freundschaftsarmbänder zu knüpfen, gehört ganz sicher nicht dazu. Wer den Nationalkitsch unbedingt braucht, soll sich das bitte für Fußballspiele aufsparen. Da gehören die Emotionen hin, die so erzeugt werden.

Nicht nur bei Kindern und Jugendlichen entsteht derzeit der falsche Eindruck, im Krieg könne es wie bei einer Weltmeisterschaft Gewinner und Verlierer geben. Und noch schlimmer: Mit der einseitigen Parteinahme für ein Land – zudem eins, von dem nur wenige vor dem Krieg eine Vorstellung hatten – wird ein Bild von Opfern und Tätern geschaffen, von Guten und Bösen. Die Flagge hat Pop-Charakter, die Story „David gegen Goliath“ mit einem kameratauglichen und -gewohnten Helden lässt das Ganze wie einen Film erscheinen, in dem „die Russen“ wieder mal den Part der Schurken bekommen.

Das ist einerseits unangemessen angesichts des realen Leids. So entsteht keine Empathie, etwa mit den Eingekesselten in Mariupol, im Gegenteil, es schafft Distanz. Flaggen-wedelnd und Button-tragend können wir uns das Elend spitzenmäßig vom Hals halten und die ganze Scheiße besser aushalten. Denn wir gaukeln so Handeln vor, tun damit aber nur etwas für uns, für unser Wohlgefühl. So wie Spenden, nur billiger und weniger effektiv.

Ein solcher Betroffenheitskult ist genau so unerträglich wie vor sieben Jahren die vielfach wiederholte Behauptung „Je suis Charlie“ nach dem Terroranschlag auf die Redaktion der französischen Satirezeitschrift Charlie Hebdo. Nein, wer nicht selbst dabei war, war nicht Opfer eines Attentats, verlor Leben, Gesundheit oder Freund:innen. Genauso wenig „sind wir Ukraine“. Wir sitzen im Trockenen und manche ziehen sich wieder mit wohligem Schauder die Nachrichtenbilder rein und zittern für „unsere“ Mannschaft – Pardon, „unsere“ Kämpfer:innen: Die mutigen Ukrainer:innen, in deren Haut wir nicht stecken wollen.

Das andere Problem mit der Fixierung auf die zwei Knallfarben Gelb und Blau: So geht verloren, dass noch sehr viele andere Menschen auf der ganzen Welt ebenfalls Opfer von Putins Politik sind. Manche, als Sol­da­t:in­nen, auch in der Weise, dass sie ihr Leben verlieren. Andere, weil sie gegen den Krieg demonstrieren oder sie ihre Arbeit verlieren werden infolge der wirtschaftlichen Sanktionen und Kriegsfolgen. Und ja, es gehen in Russland nur wenige auf die Straße, sei es aus Angst – vergleiche: demonstrieren in Berlin oder in Moskau – sei es, weil sie die Lügen des Kreml glauben. Glauben wollen.

Aber auch mit ihnen werden wir weiter zusammenleben müssen, während des Krieges und danach. Einerseits in einer Weltgemeinschaft, andererseits hier in Deutschland, als Nach­ba­r:in­nen oder Schüler:innen, die sich den Schulhof teilen. Deshalb wäre es besser, gelb-blau-rot-weiße Freundschaftsarmbänder zu knüpfen, Friedenstauben- und Peace-Flaggen aufzuhängen. Nebenbei würde so daran erinnert, dass es noch viele andere Kriege gab und gibt.

Das heißt nicht, das Leid der Ukrai­ne­r:in­nen zu relativieren oder zum Putinversteher zu mutieren. Es heißt nur, sich einem Schwarz-Weiß-Denken zu verweigern, das genau den Hass schürt, den es vermeintlich bekämp­fen soll.

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Seit 2003 bei der taz als Redakteurin. Themenschwerpunkte: Soziales, Gender, Gesundheit. M.A. Kulturwissenschaft (Univ. Bremen), MSc Women's Studies (Univ. of Bristol); Alumna Heinrich-Böll-Stiftung; Ausbildung an der Evangelischen Journalistenschule in Berlin; Lehrbeauftragte an der Univ. Bremen; in Weiterbildung zur systemischen Beraterin.

Wir alle wollen angesichts dessen, was mit der Ukraine derzeit geschieht, nicht tatenlos zusehen. Doch wie soll mensch von Deutschland aus helfen? Unsere Ukraine-Soli-Liste bietet Ihnen einige Ansätze fürs eigene Aktivwerden.

▶ Die Liste finden Sie unter taz.de/ukrainesoli

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