Russische Bevölkerung und die Ukraine-Invasion: Noch ist keine Reisesaison

Die Mehrheit der Russen steht hinter Putin, ob aus Überzeugung oder Bequemlichkeit. Die Sanktionen spüren sie noch nicht sehr.

Weiße Limousine vor dem russischen Parlament in Moskau

Weiße Limousine vor dem russischen Parlament in Moskau Foto: Jordi Salas/imago-images

MOSKAU taz | Tatjana hat Geld besorgt. Die Schlange vorm Automaten sei länger gewesen, aber nicht so endlos wie noch vor Tagen, sagt die 74-jährige Rentnerin. Sie ist unruhig, hat aber keine Angst zu reden. Sie möchte jedoch nur dort reden, wo niemand zuhört.

Tatjana stammt aus einer Generation, die noch unter Diktator Stalin zur Welt kam. Sie ist schockiert. „Viele Russen unterstützen Wladimir Putins Krieg gegen die Ukraine. Auch aus meinem Bekanntenkreis“, sagt sie und schüttelt den Kopf. Zwei Drittel der Bevölkerung nähmen Putins Lügen über die ukrainische Bedrohung für bare Münze. Nur ein Viertel spricht sich gegen den Krieg aus, sagt sie und wird leiser.

Russlands Zivil­gesellschaft ist im letzten Jahr mit der Festnahme von Alexei Nawalny eingeschüchtert worden

Der Kreml spreche vom ukrainischen Brudervolk, in Russland begegne man den Ukrainern jedoch mit Vorsicht. „Sie sind selbstständig, aktiver, haben einen eigenen Willen und verteidigen ihre Freiheit.“ Vom eher autoritären Charakter des russischen Nachbarn heben sie sich ab, meint Tatjana und wägt die Worte. „Das macht sie suspekt.“ Sie flüstert fast schon.

Dies erkläre auch die Gleichgültigkeit vieler Russen, als ginge sie der Krieg nichts an. Antikriegsproteste sind in Russland verboten. An die 6.000 Demonstranten sollen in der letzten Woche landesweit festgenommen worden sein. Das sind zwar nicht wenige, viele fürchten sich, an Protesten teilzunehmen. Doch alles in allem sind es nicht viele, die sich für Frieden einsetzen. Russlands Zivilgesellschaft ist im letzten Jahr mit der Festnahme des Oppositionellen Alexei Nawalny eingeschüchtert worden.

Sascha, ein aufrechter Russe

Auch Sascha, ein 22-jähriger Student aus der russischen Provinz, hat ein sehr spezifisches Bild dieses Krieges. Bei ihm wären die „Politruks“ vorgestern im Seminar erschienen und hätten die Ereignisse beim Nachbarn erklärt, sagt er.

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Politruks sind politische Lehrer, die den Studenten die Politik entlang der Kreml-Linie erklären. Die Politruks stammen aus den ersten Jahren der Sowjetunion. In der UdSSR begegnete man den ideologischen Mitarbeitern eher mit Skepsis.

Sascha ist da völlig unbefangen. Er möchte Karriere machen, der Studienplatz in Moskau war schon ein „Hauptgewinn“, sagt er. Sascha stammt aus dem Süden Russlands. Was sollte er gegen den Krieg haben?, fragt er. Die Nazis in der Ukraine hätten Russland angegriffen, Moskau müsse sich doch wehren! Das ist seit Jahren ein Argument, mit dem zunächst Stimmung gegen die Ukraine gemacht wurde, bevor der Kreml den Nachbarn mit Krieg überzog.

Sascha scheint daran zu glauben, was der Kreml verbreitet. Vielleicht will er es auch nur glauben. Alles andere wäre Widerstand und ein Abschied aus dem bequemen Kollektiv. Sascha ist nicht dumm. Daher hält er sich an die offiziellen Erklärungen.

Nach Informationen des FOM (Fonds für öffentliche Meinung) gaben 71 Prozent in der letzten Woche an, sie würden Wladimir Putin vertrauen. 69 Prozent hielten auch die Anerkennung der Volksrepubliken in der Ostukraine für eine richtige Maßnahme. Auch das VCIOM-Institut bestätigte dem Präsidenten mehr als 67 Prozent Vertrauen.

Schuld sind immer die anderen

Russland ist sehr schnell beleidigt, nie trägt es an irgendetwas Schuld. Mit diesem Selbstbild kam Moskau durch die Geschichte. Die Unbeflecktheit des Einzelnen spiegelt sich auch in der Selbstdarstellung des Moskauer Außenministeriums wider. Das ist Russlands DNA.

Noch haben Sanktionen die russische Wirtschaft nicht erfasst. Der Umtauschkurs des Euro ist von 90 Rubel kurz vor dem Krieg auf 124 Rubel emporgeschnellt. Der Westen sperrte den Luftraum, doch noch herrscht in Russland keine Reisezeit. Erste Engpässe tauchten zunächst bei der Versorgung mit Medikamenten auf. Westliche Logistikfirmen wollen Arzneimittellieferungen jedoch aufrechterhalten.

Schwer erwischt wurden der liberalere Radiosender Echo Moskwy und der digitale TV-Bezahlkanal Doschd. Ihnen wurde vorgeworfen, Unwahrheiten zu verbreiten und Unzutreffendes über den Beschuss ukrainischer Städte und zivile Opfer zu behaupten. „Seit Ende letzter Woche ist auch der Gebrauch von Begriffen wie „Überfall“, „Kriegserklärung“ und „Invasion“ verboten. Beide oppositionellen Sender sind aus dem Äther verschwunden. Die Aufsichtsbehörde Roskomnadsor soll bereits Strafen in Höhe von 5 Millionen Rubel (52.000 Euro) gegen Echo Moskwy verfügt haben.

Die Sperrung von Doschd kann durch VPNs umgangen werden. Das schränkt aber gerade die Zahl der ­älteren Nutzer ein. Echo Moskwy hingegen löschte am Freitag auch seine Profile in Netzwerken wie Twitter und Youtube.

Derweil sind auch Russlands Katzen von Sanktionen betroffen. Die FIFE – der internationale Katzenverband – teilte in dieser Woche mit, russische Katzenhalter seien von Schönheitswettbewerben mit sofortiger Wirkung ausgeschlossen.

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