Krieg in der Ukraine: Russland droht und verliert

Putins Offensive stockt. Unterhändler der Ukraine und Russlands vereinbaren Gespräche an der belarussischen Grenze.

Ein brennendes Armeefahrzeug steht in Charkiw

Brennende und zerstörte Armeefahrzeuge der russischen Armee in Charkiw Foto: Marienko Andrew/ap

BERLIN taz | Vor dem Hintergrund steigender Verluste und ausbleibender Erfolge sucht Russlands Regierung jetzt das Gespräch mit der Ukraine. Beide Länder einigten sich am Sonntag auf Gespräche auf Delegationsebene an der ukrainisch-belarussischen Grenze ohne Vorbedingungen, wie die ukrainische Präsidentschaft mitteilte. Bereits am Morgen hatte Russlands Kremlsprecher Dmitri Peskow erklärt, Vertreter des russischen Präsidialamts sowie des Außen- und des Verteidigungsministeriums seien für Verhandlungen mit der Ukraine in Belarus eingetroffen.

Man warte in der belarussischen Stadt Gomel auf die ukrainischen Unterhändler. Die ukrainische Präsidentschaft erklärte aber, es werde keine Delegation nach Gomel reisen, solange Russland als Vorbedingung für Gespräche darauf bestehe, dass die Ukraine die Waffen niederlege. Auch Gesprächen in Belarus stimmte Kiew nicht zu, weil Belarus den russischen Angriffstruppen sein Staatsgebiet zur Verfügung stellt.

Offenbar ließ Russland seine Gesprächsbedingungen fallen, und nach einem Telefonat zwischen den Präsidenten der Ukraine und Belarus’ wurde das Treffen an die Grenze verlegt. Die Verhandlungen sollten demnach in der Nähe des Flusses Pripjat stattfinden. Der belarussische Präsident Alexander Lukaschenko habe zugesagt, dass „alle auf belarussischem Gebiet stationierten Flugzeuge, Hubschrauber und Raketen während der Reise der ukrainischen Delegation, der Gespräche und Rückkehr am Boden bleiben“, teilte die ukrainische Präsidentschaft am Nachmittag mit.

Noch am Freitag hatte Russlands Präsident Wladimir Putin zu einem Militärputsch in Kiew aufgerufen, um sich mit einer neuen, prorussischen Führung einigen zu können. Jetzt spricht Moskau mit der amtierenden Regierung der Ukraine.

Militärexperte spricht von Anfängerfehlern

Die neue Gesprächsbereitschaft trägt dem relativen bisherigen Misserfolg der russischen Invasion Rechnung. Auch am vierten Tag des Angriffs gelang es den russischen Streitkräften nicht, eine größere Stadt zu erobern. Ein befürchteter Großangriff auf Kiew wurde im Ort Irpen aufgehalten und abgedrängt. „Unser Militär, die Strafverfolgung und die territoriale Verteidigung fahren fort, Saboteure aufzuspüren und zu neutralisieren“, erklärte Kiews Bürgermeister Vitali Klitschko. Russische Einheiten, die in die Großstadt Charkiw vordrangen, wurden in mehrstündigen Gefechten wieder zurückgeschlagen.

Ramzan Kadyrow, Tschetscheniens Machthaber

Die Ukrainer sind „bis an die Zähne bewaffnet“, man muss sie „töten und zerstören“

37.000 ukrainische Zivilisten haben sich nach Angaben der Zeitung Kyiv Independent bisher der ukrainischen Territorialverteidigung angeschlossen und halten russische Verbände bei ihrem Vormarsch auf. Das „Institute for the Study of War“ in den USA nannte den ukrainischen Widerstand „bemerkenswert effektiv“. Die russischen Angriffe auf Kiew und Charkiw seien „schlecht koordiniert und schlecht ausgeführt“, insgesamt gebe es bei den russischen Streitkräften im Nordosten der Ukraine „zunehmende Moral- und Nachschubprobleme“. Effektiver seien die russischen Vorstöße im Süden und Osten, also aus der Krim und im Donbass.

Der britische Militärexperte Rob Lee nannte den Sonntag den „möglicherweise schlechtesten Tag“ der russischen Offensive bisher und erklärte, russische Kommandeure machten ständig „Anfängerfehler“. Andere Beobachter zeigten sich erstaunt, dass Russland Panzerkolonnen ohne Absicherung in Bewegung setze und immer wieder zahlreiche Tote und ausgebrannte Fahrzeuge hinterlassen müsse. Es wird von russischen Verbänden berichtet, denen irgendwo in der Ukraine der Nachschub ausgeht. Der ukrainische Journalist Illia Ponomarenko berichtete, in Schewtschenkowe bei Charkiw seien zwei russische Soldaten zur örtlichen Polizeiwache gegangen und hätten um Benzin zur Weiterfahrt gebeten; sie wurden gefangengenommen.

Tschetschenenführer Kadyrow gibt sich blutrünstig

Das Verteidigungsministerium in Kiew gab die Zahl der getöteten russischen Soldaten am Sonntagmittag mit 4.300 an, schränkte aber ein, dies müsse noch verifiziert werden. Russland habe außerdem unter anderem 27 Flugzeuge, 26 Hubschrauber, 146 Panzer und 706 Panzerfahrzeuge verloren.

Während Moskau nun Gesprächsbereitschaft zeigt, fordern manche Kräfte in Russland eine Ausweitung der Offensive. Das russische Vorgehen in der Ukraine sei zu langsam und zu zögerlich, kritisierte der Putin-treue Gewaltherrscher der russischen Teilrepublik Tschetschenien, Ramzan Kadyrow, in einer am Sonntag auf sozialen Medien verbreiteten Botschaft.

Die Ukrainer seien „bis an die Zähne bewaffnet“, man müsse sie jetzt „töten und zerstören“ und er erwarte einen entsprechenden Befehl aus Moskau an „alle Spezialkräfte“, schrieb Kadyrow. Vor zwei Tagen waren Aufnahmen aus der tschetschenischen Hauptstadt Grosny mit Tausenden zum Einsatz in der Ukraine mobilisierten Kämpfern veröffentlicht worden. Einige tschetschenische Kämpfer sollen in Kiew aufgespürt und festgenommen worden sein, wurde am Sonntag gemeldet.

Putin versetzte derweil Russlands Nuklearstreitkräfte in Alarmbereitschaft. Der russische Präsident sagte am Sonntag im Staatsfernsehen, das habe er der Militärführung befohlen. „Wie Sie sehen können, ergreifen die westlichen Länder nicht nur in wirtschaftlicher Hinsicht unfreundliche Maßnahmen gegen unser Land“ sagte Putin zur Begründung. Zudem erlaubten sich Spitzenvertreter der führenden Nato-Länder „aggressive Äußerungen“.

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