Ein Paar sitzt mit seinen Hunden in einer zum Luftschutzbunker umfunktionierten Hotel-Tiefgarage während eines Luftangriffsalarms in Kiew

27. Februar: Menschen in einer zum Luftschutzbunker umfunktionierten Hotel-Tiefgarage während eines Luftangriffsalarms in Kiew Foto: Vadim Ghirda/ap

Krieg in der Ukraine:Kampfmodus statt Emotionen

In der Hauptstadt Kiew wird gekämpft. Russische Truppen beschießen auch Wohnhäuser. Ein Blitzkrieg werde es wohl nicht, sagen Anwohner.

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26.2.2022, 18:44  Uhr

Beide heißen sie Nadja und sehen sich an diesem Abend einen Schutzraum am Stadtrand von Kiew an. Die eine ist 75, die andere 30 Jahre alt. Die Jüngere hat noch nie zuvor einen Schutzraum betreten. Sie lacht: „Es ist natürlich nicht schön, in so einem Raum sitzen zu müssen, aber ich glaube, da hat sich Russlands Präsident Wladimir Putin mit seinem Feldzug ganz schön verrechnet. Wird wohl doch kein Blitzkrieg für die Russen werden. Wir werden siegen,“ sagt sie in kämpferischem Ton. Die ältere Frau sagt gar nichts, schwitzt nur leicht und zittert. „Vielleicht hat sich in ein paar Tagen auch alles wieder beruhigt“ sagt die junge Nadja. Beim Verlassen des Kellers lächelt sie.

Die ältere Frau bleibt alleine zurück. „Ich weiß, was Krieg ist. Ich komme aus Donezk. Ich weiß, was es heißt, in einem Keller zu sitzen, wenn draußen geschossen wird. Ich weiß noch mehr. Wie ein Keller aussieht, wenn er seitlich und von oben beschossen wird.“ Diese Frau, mit der sie gerade im Keller war, habe eben noch nie einen Krieg erlebt. Sonst würde sie nicht so oberflächlich reden, sagt die ältere Nadja und weint. „Ich weiß, was es heißt, in einem Keller eingesperrt zu sein, wenn sich die Decke langsam nach unten senkt und du kannst rein gar nichts machen.“ Sie kann sich auch an Männer erinnern, die auf den Straßen lagen – mit abgetrennten Beinen. Sie weint und sagt nichts mehr.

Morgens um 6 Uhr fährt mein Nachbar Alik durch die Stadt. Eigentlich gilt noch Ausgangssperre bis 7 Uhr. „Ich war an der U-Bahn Station Schuljavki. Dort wird gekämpft. Unsere haben viele Russen umgebracht. Alles schrecklich hier.“

eine Gruppe Männer bereitet Flaschen zu Molotow-Ckocktails auf

27. Februar: Mitglieder der Zivilverteidigung bereiten Molotow-Cocktails in Kiew vor Foto: Efrem Lukatsky/ap

Unterdessen ist auf Videos zu sehen, dass die Russen auch Wohnhäuser beschießen. Tausende von Zivilisten erhalten Waffen, man bereitet sich auf blutige Straßenkämpfe vor. „Ja“ sagt mein Nachbar Alik, der Aserbaidschaner ist und einen ukrainischen Pass hat, „meinem Kollegen haben sie die Wohnung kaputt geschossen, hier am Sewastopol-Platz.“

Wenig Emotionen

Es gibt Dinge in mir, die ich nicht erwartet hätte. Vielleicht war das die gefährlichste Nacht in meinem Leben, es hat geknallt und gedonnert. Aber gleichzeitig habe ich wenig Emotionen. Eine Freundin aus Deutschland will wissen, ob ich mich geborgen fühle. Ich konnte sie nicht verstehen, was nicht an der Sprache lag.

In dieser Situation steht mir nicht der Sinn nach „Geborgenheit“. Ich fühle mich in einem Kampfmodus. Schon seit Tagen steht eine Flasche Wein, die ich mir für alle Fälle gekauft habe, ungeöffnet im Regal. Ich habe keine Lust, dieses Gefühl von höchster Wachsamkeit zu verlieren.

Feuerwehrmänner sitzen am Strassenrand mit Wasserflaschen

26. Februar: Feuerwehrleute sitzen nach eienr Löschaktion am Straßenrand Foto: Emilio Morentatti/ap

Die Kommunikation mit Freunden und Verwandten im deutschen Ausland (ja, so kommt mir jetzt meine Heimat vor) fällt schwer. Teilweise haben sie Tränen in den Augen. Glücklich die, die noch weinen können. Ich besitze gute Verdrängungsmechanismen.

Angenommen, heute Nacht kommen 40 Menschen in Kiew ums Leben, heißt das doch, dass bei vier Millionen Bewohnern die Möglichkeit zu sterben bei 1: 100.000 liegt. Nein, mich wird es nicht treffen, da bin ich mir sicher. Schon rein rechnerisch kann das doch gar nicht passieren, rede ich mir ein.

2014 in Donezk

Überhaupt Kommunikation. Ich erinnere mich an einen Aufenthalt in Jenakiewo bei Donezk. Das war 2014. Allen war klar, dass in wenigen Tagen Krieg sein würde. Ich war in die Stadt gefahren, um eine Reportage zu schreiben. Mein erster Anlaufpunkt war ein Schnellimbiss. Irgendwo muss man ja Leute treffen, die man zitieren kann.

Ich öffnete die Tür, vor mir sechs Tische. An jedem Tisch saß ein Mann, in der linken Hand ein Bier, ein Finger der rechten Hand auf dem Smartphone. Sie wirkten unbeweglich, so wie in einem Wachsfigurenkabinett. Sie schauten nicht einmal auf, als ich hereinkam.

Dafür war die Verkäuferin umso lebendiger. Sie sah mich mit riesigen, vor Angst geweiteten Augen an, nachdem ich sie gefragt hatte, wie ich denn von hier am besten nach Gorlowka käme. Diese Augen, diesen Blick werde ich nicht mehr vergessen. Und ich hatte eins verstanden: In einer Gruppe igeln sich die Menschen in so einer Situation ein, nur im Gespräch unter vier Augen geben sie etwas von ihren Gefühlen preis.

Ein nach einem Raketenangriff auf die Stadt Kiew beschädigtes Wohnhaus

26. Februar: Ein nach einem Raketenangriff auf die Stadt Kiew beschädigtes Wohnhaus Foto: Efrem Lukatsky/ap

So ist es auch in diesen Tagen in Kiew. Niemand spricht über seine Befindlichkeiten, alle versuchen die Ereignisse einzuordnen oder sprechen über andere Themen. Wie vor einem Sturm lassen alle die Rollläden hinunter. Nur im Gespräch unter vier Augen erfahre ich manchmal, was los ist – und das auch allermeistens nur von Frauen. Jetzt bin auch ich so geworden, fühle mich genervt, wenn mich meine Bekannte fragt, ob ich mich „geborgen“ fühle.

Die stellvertretende Umweltministerin Iryna Stavchuk berichtet, die ukrainische Flugabwehr habe den Beschuss des Wasserkraftwerks von Kiew verhindert. Irgendwie hat so eine Luftabwehr doch ihre Vorteile – vor allem, wenn dein Leben davon abhängt.

Der Kiewer Bürgermeister Vitali Klitschko hat eine Ausgangssperre von 17 Uhr bis acht Uhr morgens verfügt. Schnell drehe ich mit einem Fahrrad noch ein paar Runden und fahre dann zum Sewastopol-Platz. 58 Verletzte gebe es in der Stadt Mariupol, teilt deren Bürgermeister Vadim Boitschenko in einer Ansprache mit. Und mein Vermieter sagt, dass es in seinem Vorort von Kiew schon seit einem Tag keinen Strom mehr gebe.

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