Deutsche Reaktionen auf Ukraine-Krieg: „Das ist Putins Krieg“

Die Bundesregierung kündigt harte Sanktionen gegenüber Russland und volle Solidarität mit der Ukraine an. Waffen will sie aber nicht liefern.

Olaf Scholz mit ernstem Gesicht, Akte und schwarzem Schlips

Olaf Scholz auf dem Weg zu einer Pressekonferenz im Kanzleramt am 24.02.2022 Foto: Michael Kappeler/dpa

BERLIN taz | „Der 24. Februar ist ein furchtbarer Tag für die Ukraine und ein düsterer Tag für Europa“. Des schwarzen Schlips' hätte es gar nicht bedurft, Miene und Worte des Bundeskanzlers sprachen Bände als Olaf Scholz (SPD) am Donnerstagvormittag nach einer Sitzung des Sicherheitskabinetts in Berlin vor die Presse trat. Was unter allen Umständen vermieden werden sollte, ist eingetreten: Russland überfällt die Ukraine, in Europa herrscht Krieg. „Das ist Putins Krieg“, wie Scholz klar stellte. Und dieser werde einen bitteren Preis dafür zahlen.

Scholz kündigte harte Sanktionen noch am selben Tag an, in Absprache mit den europäischen und transatlantischen Partnern. Die Termine diesseits und jenseits des Atlantik sind eng getaktet. Am Donnerstagnachmittag trafen sich die G7-Staaten zum Videogipfel, für den Abend waren die EU-Staatslenker:innen in Brüssel verabredet. Die Nato will sich in Kürze in Präsenz treffen.

„Volle Solidarität“, versicherte Scholz der Ukraine. Wobei klar ist, dass diese Solidarität einen Aspekt ausschließt: Militärischen Beistand. Deutschland wird weder Soldaten noch Waffen schicken. Die Drohung Putins war in diesem Punkt deutlich: Es sollte kein Zweifel daran bestehen, dass ein direkter Angriff auf Russland zu schlimmen Konsequenzen für jeden potenziellen Angreifer führen würde, hatte er in seiner Rede am Donnerstagmorgen angekündigt. Und die Ukraine gehört nach Putins Lesart zu Russland.

Auch Außenministerin Annalena Baerbock (Grüne) hatte am Donnerstagmorgen nach einer Sitzung des Krisenstabes im Auswärtigen Amt harte, zusätzliche Sanktionen angekündigt. „Wir werden das volle Paket mit massivsten Sanktionen gegen Russland auf den Weg bringen“, sagte Baerbock.

Deutsche sollen Ukraine verlassen

Der Krieg in der Ukraine und die Sanktionen des Westens würden aber auch Auswirkungen auf die Bundesrepublik haben, sie wies auf steigende Preise und fallende Aktienmärkte hin. „Wir haben uns diese Situation nicht ausgesucht. Wir können, aber wir wollen ihr auch nicht aus dem Weg gehen.“ Die europäische Friedensordnung der vergangenen Jahrzehnte sei die Grundlage für das Leben in Wohlstand und in Frieden. „Wenn wir jetzt nicht entschlossen dafür eintreten, werden wir einen noch höheren Preis bezahlen.“

Baerbock rief alle in der Ukraine lebenden Deutschen auf, das Land unverzüglich zu verlassen. „Falls Sie das Land nicht auf einem sicheren Weg verlassen können, bleiben Sie vorläufig an einem geschützten Ort.“ Eine Evakuierung durch deutsche Behörden sei derzeit nicht möglich. Die Außenministerin wies aber darauf hin, dass die deutschen Auslandsvertretungen in den Nachbarländern Polen, Slowakei, Ungarn und Moldau an den Grenzen Unterstützung leisten würden. Verbliebenes entsandtes Personal der deutschen Vertretung sei aus Sicherheitsgründen aus Kiew abgezogen worden, ob die Arbeit in Lwiw oder an einem anderen Ort wieder aufgenommen werde, sei noch unklar.

Vor dem Hintergrund des russischen Angriffs auf die Ukraine ist auch der Verteidigungsausschuss des Bundestages am Donnerstag zu einer Sondersitzung zusammengekommen. Verteidigungsministerin Christine Lambrecht (SPD) sprach nach der Sitzung von „einem brutalen Angriffskrieg“ und einem „klaren Verstoß gegen das Völkerrecht“. Sie forderte Putin zum Truppenrückzug auf. Wichtig sei, dass die Nato nun ganz klar zusammenstehe. „Unsere Alliierten können sich zu 100 Prozent auf uns verlassen“, sagte Lambrecht und betonte, dass die Bundeswehr auch dazu in der Lage sei.

An der Sitzung nahm auch CDU-Parteichef Friedrich Merz teil, der eigentlich nur stellvertretendes Mitglied im Ausschuss ist. Ein Signal, dass die Union hinter der Bundesregierung steht. „Es ist Krieg in Europa. Es ist nicht nur ein Krieg gegen die Ukraine, sondern es ist ein Krieg gegen die Demokratie, gegen unsere Freiheit“, hatte Merz bereits am Morgen im ZDF gesagt. Dass die Nato Putin bedrohe, sei „ein Popanz der russischen Propaganda“. Die Nato bedrohe niemanden. Putin fühle sich vielmehr durch die Demokratiebewegung in der Ukraine und in Belarus bedroht.

Debatte um Zustand der Truppe

Vor Beginn der Sitzung, sprach die Ausschussvorsitzende Marie-Agnes Strack-Zimmermann (FDP) von einer „dramatischen Situation für Europa, aber auch für diese Welt“. Sie bekräftigte, dass Deutschland die Ukraine nicht militärisch unterstützen werde, auch nicht mit Waffenlieferungen. Dies wäre auch angesichts „der russischen Übermacht“ nicht sinnvoll. Allerdings seien die Nato-Truppen, auch die der Bundeswehr, an den Grenzen des Nato-Gebiets „natürlich in Bereitschaft“.

Auch Unions-Fraktionsvize Johann Wadephul schloss Waffenlieferungen an die Ukraine aus. „Wenn man Waffen hätte liefern wollen, dann hätte man das früher machen können. Jetzt geht es nicht mehr. Es ist ein laufender Krieg“, sagte er dem Fernsehsender Phoenix.

Damit reagierte er auch seinen Parteifreund Norbert Röttgen, der Waffenlieferungen in die Ukraine gefordert hatte. Strack-Zimmermann und Wadephul pochten aber auf eine Stärkung der Bundeswehr, die in den vergangenen Jahren versäumt worden sei.

Scharf kritisierte der Chef des Heeres, Alfons Mais, den Zustand der Bundeswehr. Diese stehe angesichts eines Krieges in Europa „mehr oder weniger blank da“, postete Mais in den Sozialen Netzwerken. „Die Optionen, die wir der Politik zur Unterstützung des Bündnisses anbieten können, sind extrem limitert“. Man sei mit den Argumenten, Folgerungen aus der Krim-Annexion zu ziehen, nicht durchgedrungen. „Ich bin angefressen!“

Keine Verständnis für Russland, nirgends

Versäumnisse räumte auch die ehemalige Bundesverteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer (CDU) ein. Auf Twitter schrieb sie: „Ich bin so wütend auf uns, weil wir historisch versagt haben.“ Nach Georgien, Krim und Donbass habe man nichts vorbereitet, was Putin wirklich abgeschreckt hätte. „Wir haben die Lehre von Schmidt und Kohl vergessen, dass Verhandlungen immer den Vorrang haben, aber man militärisch so stark sein muss, dass Nichtverhandeln für die andere Seite keine Option sein kann.“

Selbst jenen, die lange um Verständigung mit Russland warben, fehlt angesichts des Überfalls auf die Ukraine nun jegliches Verständnis. In einer persönlichen Erklärung schrieb der Vorsitzende des deutsch-russischen Forums und ehemalige Brandenburger Ministerpräsident Matthias Platzeck (SPD), er fassungslos und erschüttert über den nichts zu rechtfertigenden Überfall. „Ich habe mich immer für Verständnis für russische Sichtweisen und für Freundschaft zwischen unseren Völkern eingesetzt. Für das verantwortungslose Vorgehen des russischen Präsidenten gegen den souveränen Staat Ukraine fehlt mir jedwedes Verständnis.“

Der parlamentarische Geschäftsführer der Linksfraktion im Bundestag, Jan Korte, erklärte, Putins Überfall der Ukraine sei „ein völkerrechtswidriger Angriffskrieg“, der durch nichts zu rechtfertigen sei. Die Menschen in der Bundesrepublik rief er dazu auf, sich an den vielfältigen Friedensaktionen zu beteiligen.

Am Sonntag wird auch der Bundestag zu einer Sondersitzung zusammenkommen. Bundeskanzler Scholz kündigte eine Regierungserklärung an. Die Op­po­si­ti­ons­füh­re­r:in­nen waren darüber schon telefonisch unterrichtet worden. Auch innenpolitisch schließen sich angesichts der russischen Eskalation die Reihen.

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