Forderungen des IPCC-Berichts: Ein Pakt mit der Natur

Der neue Bericht des Weltklimarats vermittelt eine revolutionäre Botschaft: Ohne gesunde Ökosysteme ist der Klimawandel nicht zu stoppen.

Das Innere eines Gewächshauses. Die Kameraperspektive ist von oben auf Pflanzen und Besucher gerichtet

Wasserfall und tropische Bergwälder: Die beiden Gewächshäuser in Singapur sind eine Attraktion Foto: Jan Richard Heinicke/laif

BERLIN taz | Gleich der erste Satz irritiert, obwohl er eigentlich gar nicht so spektakulär klingt: „Dieser Bericht erkennt die gegenseitige Abhängigkeit von Klima, Ökosystemen und Biodiversität sowie menschlichen Gesellschaften an“. Anfang dieser Woche wurde der zweite Teil des neuen Weltklimaberichts veröffentlicht und dieser liest sich so ganz anders als die fünf vorangegangenen Berichte, die der IPCC im Abstand von im Schnitt sechs Jahren veröffentlicht: Die 270 Hauptautoren haben diesmal nicht „nur“ den Sachstand zu Klimafolgen und Klimaanpassung zusammengefasst und aktualisiert – sie haben das Dokument aus einer ganz neuen Sichtweise geschrieben.

Bislang taten die Berichte des Weltklimarats mehr oder weniger so, als würde der Mensch alleine auf dem Planeten leben. Es ging um physikalische Grundlagen, um die Folgen des Klimawandels auf den Menschen, um technische Lösungen. Alles, was mit Artenvielfalt zu tun hatte, dafür war der weniger bekannte Weltbiodiversitätsrat zuständig. Diese auf den Menschen zentrierte Sichtweise hat der Weltklimarat nun aufgegeben.

Von der ersten bis zur letzten Zeile deklinieren die Autoren die Auswirkungen des Klimawandels sowohl für den Menschen als auch die Natur durch. Als die südafrikanische Biogeografin Debra Roberts den Bericht vorstellte, den sie maßgeblich koordiniert hat, forderte sie einen „neuen sozialen Pakt“ zwischen den Menschen sowie den Lebewesen, mit denen wir die Erde teilen. Und die Chefin des UN-Umweltprogramms Inger Andersen erklärte: Die Menschheit habe in ihrer Geschichte die Natur immer wie „ihren schlimmsten Feind“ behandelt, nun müsse sie einsehen, dass sie unrecht hatte.

Der Klimawandel hat begonnen, das Gesicht der Ökosysteme auf der ganzen Welt zu verändern und zwar schneller, als es Ökologen vorausgesagt haben: Ganze Wälder sterben aufgrund von Dürren, Bränden oder Insektenbefall ab. Der Amazonas-Regenwald verliert zunehmend seine Widerstandsfähigkeit gegen Megadürren und könnte sich bald schon in eine Savanne verwandeln, heißt es in einer am Mittwoch veröffentlichten Studie im Fachblatt Nature Climate Change.

Tiere flüchten ins Kühle

Korallenriffe und Tangwälder gehen aufgrund von marinen Hitzewellen ein. Feuchtgebiete trocknen aus. Fledermäuse, Hummeln oder Opossums fallen in großer Zahl während extremer Hitze tot vom Himmel oder von Bäumen. Und die Hälfte aller beobachteten Arten hat sich schon auf den Weg in kühlere Gefilde gemacht – sie wandern in Richtung der Pole, die Berge hinauf, die Ozeane hinab. „Niemand hat all das schon zum jetzigen Zeitpunkt erwartet“, sagt die Ökologin Camille Parmesan von der Plymouth Universität, eine der Hauptautorinnen des Berichts.

Erst jetzt, da erste Ökosysteme kippen, erkennt man, was man an ihnen hat. Ohne die Natur, so die Botschaft des Weltklimaberichts, können wir es nicht mehr schaffen, den Klimawandel in den Griff zu kriegen. Ökosysteme speichern riesige Mengen an CO2 – in den Ozeanen, im Boden und der Vegetation. Diese Fähigkeit nimmt allerdings im Zuge des Klimawandels mancherorts schon ab: Bestimmte Gebiete im Amazonas-Regenwald haben sich ebenso wie im borealen Nadelwald in Nordamerika von einer Treibhausgas-Senke in eine Quelle verwandelt. Auch der auftauende Permafrostboden entlässt bereits große Mengen an Methan und Kohlendioxid.

Ohne widerstandsfähige Ökosysteme dürfte es schwerfallen, uns an die Folgen des Klimawandels anzupassen. „Bei jeder Entscheidung müssen wir zuerst überlegen: Welches Ökosystem kann uns am besten helfen“, sagt Parmesan. „Und dann müssen wir alles dafür tun, dass dieses so gesund wie möglich ist.“

Gibt man begradigten Flüssen ihr natürliches Bett zurück, lässt die Ufer bewachsen und schützt Feuchtgebiete, bremst das Überschwemmungen infolge von extremen Regenfällen, da Wasser besser versickern kann und die Fließgeschwindigkeit abnimmt. Mangrovenwälder, Korallenriffe und Salzwiesen schützen die Küsten davor zu erodieren, dämpfen Sturmfluten ab und wirken sogar dem Meeresspiegelanstieg entgegen.

Die Natur kann uns helfen

Statt Wälder für Ackerbau und Tierhaltung zu roden, lässt sich beides kombinieren: Die Wurzeln der Bäume halten den Boden zusammen und speichern Wasser, das Blätterdach kühlt und schützt vor Hitze und Trockenheit. „Vieles davon haben wir bislang nicht mal in Betracht gezogen“, kritisiert Parmesan.

Selbst in Städten lässt sich der Natur helfen, damit sie uns hilft: Parks, Stadtbäume, begrünte Dächer und Fassaden sowie innerstädtische Naturschutzinseln und Feuchtgebiete schützen vor Überschwemmungen, indem sie Wasser aufsaugen, und schaffen ein kühleres Mikroklima. Und das kann in Städten, die sich im Vergleich zu ihrem Umland unverhältnismäßig stark aufheizen, Tausende Menschenleben retten.

Die Stadt New York zum Beispiel legte schon im Jahr 2010 ein 2,4-Milliarden-US-Dollar-Programm für grüne Infrastruktur auf, um sich an den Klimawandel anzupassen. Dazu gehören Feuchtgebiete und mit Bäumen bepflanzte Mulden in Parks, in denen sich Regenwasser sammeln kann, Straßen, die regendurchlässig und mit Bäumen gesäumt sind, sowie grüne Dächer.

Andersherum unterstützen grünere Städte die Artenvielfalt. Australische Ökologen haben vor ein paar Jahren Golfplätze, Parks und Gärten im Südosten von Melbourne untersucht und kamen 2017 im Journal of Applied Ecology zum Ergebnis, dass schon 10 bis 30 Prozent mehr einheimische Baumarten mitsamt Unterwuchs die Belegung mit Fledermäusen, Vögeln, Bienen und Käfern um bis zu 130 Prozent erhöhte.

Endlich begreift es auch die Politik

Je mehr Raum die Natur zurückbekommt, umso besser können Tier- und Pflanzenarten auch auf den Klimawandel reagieren, also in kühlere Gefilde abwandern – im Idealfall entlang von geschützten Korridoren oder Trittsteinen von Schutzgebiet zu Schutzgebiet sowie durch vielfältigere Wälder als bisher, die sich als stabiler gegen den Klimawandel erweisen.

Ganz neu ist die Erkenntnis natürlich nicht, dass der Mensch im Kampf gegen den Klimawandel abhängig ist von Ökosystemdienstleistungen. „Ökologen sagen das schon seit langer Zeit“, sagt Parmesan. „Aber jetzt erkennen die Regierungen der Welt das auch an.“

Daran werden sie sich in Zukunft messen lassen: Ob sie die Ökosysteme ihrer Länder erhalten, schützen und wiederherstellen. Am meisten würde es aber helfen, den Ausstoß von Treibhausgasen rasch zu senken. Denn so gut uns die Natur auch helfen mag, sie gelangt irgendwann an ihre Belastungsgrenze. Schon jetzt – bei einer globalen Erwärmung von 1,2 Grad Celsius – beginnt es, dass manche Ökosysteme ihre Funktionen nicht mehr erfüllen können.

Deshalb, so Parmesan, sei das Kalkül auch so problematisch, sich ein wenig mehr Zeit und die Erde über die Marke von 1,5 oder 2 Grad Celsius erwärmen zu lassen, in der Hoffnung, dass sie sich irgendwann – etwa dank technologischer Neuerungen wie der Fusionsenergie zur Stromerzeugung – wieder unter jene Schwelle abkühlen lässt.

„Die Biosphäre befindet sich bereits heute im Niedergang und je stärker sich die Erde erwärmt, desto mehr wird uns die Kontrolle entgleiten“, sagt die Ökologin. Sollte der Klimawandel im derzeitigen Tempo voranschreiten, könnten bis zum Jahr 2070 ein Drittel aller Pflanzen- und Tierarten aussterben.

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