Kurs der Keniakoalition in Sachsen: Menschlicher abschieben?

Sachsen will Geflüchtete künftig freundlicher in ihre Herkunftsländer zurück zwingen. Nachtabschiebungen und Familientrennung bleiben.

Polizisten stehen zwischen einem Flugzeug und einem Bus

Polizisten überwachen die Ankunft abgelehnter Asylbewerber auf dem Flughafen Leipzig Foto: Sebastian Willnow/picture alliance

LEIPZIG taz | Nach langem Streit hat sich die schwarz-rot-grüne Landesregierung in Sachsen auf den sogenannten Leitfaden Rückführungspraxis geeinigt. Dieser legt Regeln zur Abschiebung abgelehnter Asyl­be­wer­be­r:in­nen fest und soll dafür sorgen, dass Abschiebungen aus Sachsen künftig weniger unmenschlich ablaufen.

Der Leitfaden ist Teil des 2019 geschlossenen Koalitionsvertrages. Nach fast zwei Jahren und mehreren Aufforderungen hatte das CDU-geführte Innenministerium im Oktober 2021 erstmals einen Entwurf vorgelegt. Diesen haben SPD und Grüne scharf kritisiert. Seither wurde der Leitfaden überarbeitet.

Obwohl SPD und Grüne immer wieder gefordert haben, Familien mit minderjährigen Kindern nicht zwischen 20 Uhr abends und 6 Uhr morgens abzuschieben, verbietet der neue Leitfaden Nachtabschiebungen nicht – auch nicht von Familien. Zwar sollen Abschiebungen „soweit möglich“ tagsüber durchgeführt werden. Sei aber eine Abschiebung „zur Tagzeit nicht möglich, ist eine Vollstreckung zur Nachtzeit in Betracht zu ziehen, insbesondere, wenn dies im Hinblick auf den Abflugtermin erforderlich ist“, so steht es in dem 21 Seiten langen Papier.

Darüber hinaus sollen Familien „möglichst“ nicht getrennt, sondern „grundsätzlich gemeinsam“ abgeschoben werden – Familientrennungen sind also nicht gänzlich untersagt. Weiterhin heißt es, dass Kleinkinder bis zu einem Alter von drei Jahren nicht von ihren Eltern, auch nicht nur von einem Elternteil, getrennt werden sollen.

„Ein Fall von Kindeswohlgefährdung“

Petra Čagalj Sejdi, die asylpolitische Sprecherin der Grünen-Fraktion, hat diese Passage schon im Oktober scharf kritisiert: Es sei für alle Kinder traumatisierend, wenn sie von einem Elternteil getrennt würden, „auch für Kinder über zehn Jahre“.

Der Leitfaden sieht außerdem vor, dass Minderjährige „grundsätzlich“ nicht aus der Kita oder der Schule zur Abschiebung abgeholt werden sollen, auch eine Abholung vom Arbeitsplatz solle „möglichst“ vermieden werden. Ausdrücklich verboten sind aber auch diese Maßnahmen künftig nicht.

Noch im November 2021 wurde ein sieben Jahre alter Junge aus Tsche­tschenien in Delitzsch aus der Grundschule von der Bundespolizei abgeholt, um abgeschoben zu werden. Diesen Vorfall kritisierten Linke, SPD und Grüne stark. „Das entspricht nicht unserer Vorstellung von Humanität und ist ein Fall von Kindeswohlgefährdung“, sagte etwa die Grünen-Politikerin Čagalj Sejdi.

Immerhin: In dem Leitfaden ist festgeschrieben, dass das Kindeswohl bei Abschiebungen stärker berücksichtigt werden soll. Künftig sollen sich Be­treue­r:in­nen um die anwesenden Kinder kümmern und ihnen die Situation kindgerecht erklären.

Nur ein erster Schritt?

Sowohl die CDU als auch die SPD und Grüne bezeichnen den Leitfaden als „Kompromiss“. Für Grünen-Politikerin Čagalj Sejdi und Albrecht Pallas, den innenpolitischen Sprecher der SPD im Sächsischen Landtag, sei der Leitfaden nur ein erster notwendiger Schritt hin zu mehr Menschlichkeit.

Die Linksfraktion im Sächsischen Landtag erwarte aufgrund des Leitfadens keine tiefgreifenden Änderungen in der „harten“ Abschiebepraxis Sachsens, wie die migrationspolitische Sprecherin Juliane Nagel der taz mitteilte. Statt eines Leitfadens fordere die Linksfraktion ohnehin, Abschiebungen generell zu vermeiden. „Menschen, die seit Langem hier leben und gut integriert sind, müssen die Chance auf einen sicheren Aufenthalt bekommen“, sagte Nagel der taz.

Auch Dave Schmidtke vom sächsischen Flüchtlingsrat lehnt das Konzept Leitfaden für Abschiebungen ab: „Abschiebungen geschehen gegen den Willen der Menschen und zerstören in vielen Fällen Existenzen, die über Jahre aufgebaut wurden.“

Nach Angaben des sächsischen Innenministeriums haben die Ausländerbehörden nun bis zum 1. Juni Zeit, um sich mit dem Leitfaden vertraut zu machen und ihre Abläufe an die neuen Regeln anzupassen.

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