Münchner Sicherheitskonferenz 2022: Die Angst vor einem Krieg wächst

Auf der Münchner Sicherheitskonferenz drohen die westlichen Staaten Russland mit harten Sanktionen. Die Ukraine-Krise sorgt auch China.

Kamala D. Harris, US-Vizepräsidentin, spricht bei der 58. Münchner Sicherheitskonferenz.

Droht Russland mit sehr harten wirtschaftlichen Sanktionen: US-Vizepräsidentin Kamala Harris Foto: Tobias Hase/dpa

MÜNCHEN taz | Die Aufrufe werden eindringlicher, die Drohungen konkreter. Die diesjährige Münchner Sicherheitskonferenz (Siko) steht ganz im Zeichen der sich zuspitzenden Ukraine-Krise. Falls es zu einem Einmarsch komme, werde Russland dafür „einen signifikanten und nie dagewesenen wirtschaftlichen Preis“ bezahlen müssen, warnte US-Vizepräsidentin Kamala Harris bei ihrem Auftritt am Samstag. Die USA und ihre Bündnispartner würden geeint und koordiniert handeln.

Für den Fall einer Invasion werde es weitreichende finanzielle Sanktionen geben, kündigte Harris an. Betroffen davon wären Moskaus finanzielle Institutionen ebenso wie die Schlüsselindustrien Russlands, die mit harten Exportkontrollen getroffen werden sollen.

Zuvor hatte bereits EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen von einem robusten und umfassenden Paket gesprochen, das die EU gemeinsam mit den USA, Kanada und Großbritannien geschnürt habe. Dazu gehöre, Russland und der russischen Volkswirtschaft den Zugang zum Finanzmarkt abzuschneiden.

„Es sieht nicht gut aus, deswegen müssen wir hier stark sein und zusammenstehen“, sagte der britische Premierminister Boris Johnson. „Wenn Russland in das Nachbarland einmarschieren sollte, dann werden wir russische Einzelpersonen und auch Unternehmen mit Sanktionen belegen, die strategisch wichtig für Russland sind“, kündigte er an. Johnson rief den Kreml dazu auf, zu deeskalieren und „den Dialog wieder aufzugreifen“. Es gebe immer noch die Gelegenheit, „das Desaster abzuwenden.

Hoffnung auf friedliche Lösung scheint verflogen

Die kurze Hoffnung auf eine friedliche Lösung der Ukraine-Krise, die während des Besuchs des deutschen Bundeskanzlers Olaf Scholz beim russischen Präsidenten Wladimir Putin am vergangenen Dienstag aufgekommen war, scheint inzwischen weitgehend verflogen zu sein. Die Angst vor einem Krieg in der Ukraine ist wieder dramatisch gewachsen.

„Trotz Moskaus Behauptungen haben wir bisher keine Anzeichen von Rückzug und Deeskalation gesehen“, sagte Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg. „Im Gegenteil: Russlands Aufmarsch geht weiter.“ Es sähe so aus, „als würde Russland alles dafür tun, um einen Vorwand für eine Invasion zu erzeugen“, sagte Stoltenberg.

„Die russische Aggression folgt einem Drehbuch“, sagte US-Vize Harris. „Wir erhalten jetzt Berichte über offensichtliche Provokationen und wir sehen, wie Russland Falschinformationen, Lügen und Propaganda verbreitet.“ Die russische Regierung behaupte zwar weiterhin, bereit für Gespräche zu sein, schränke aber gleichzeitig die Möglichkeiten der Diplomatie ein. „Ihre Taten stimmen einfach nicht mit ihren Worten überein“, sagte sie.

Scholz hofft weiter auf Diplomatie

„In Europa droht wieder ein Krieg“, sagte Kanzler Scholz auf der Siko sichtlich besorgt. Auch er warnte, jede weitere Verletzung der territorialen Integrität der Ukraine werde „hohe Kosten haben für Russland – politisch, ökonomisch und geostrategisch“. Gleichzeitig signalisierte der deutsche Regierungschef erneut Gesprächsbereitschaft und den Willen, diplomatische Auswege zu finden. „So viel Diplomatie wie möglich, ohne naiv zu sein – das ist der Anspruch“, sagte er.

„Wir werden die Krisendynamik nur durchbrechen, wenn wir verhandeln“, sagte Scholz. Es müssten „noch so kleine Türen genutzt werden, durch die möglicherweise der Spielraum für Verhandlungen geöffnet werden kann“. Es gehe darum, dass „wir unsere Unterschiede in ein Gespräch übersetzen, und hoffen, dass das gelingt“.

Doch seine Zweifel daran, waren unüberhörbar. „Es bleibt und ist eine gefährliche Situation“, sagte Scholz. Für wie gefährlich die Bundesregierung die aktuelle Lage hält, zeigt die verschärfte Reisewarnung für die Ukraine, die das Auswärtige Amt am Samstagmittag herausgegeben hat: „Deutsche Staatsangehörige werden dringend aufgefordert, das Land jetzt zu verlassen“, teilte es mit. „Eine militärische Auseinandersetzung ist jederzeit möglich“, heißt es zur Begründung.

Besorgnis auch in China

Dass offenkundig auch das eigentlich an der Seite Russlands verortete China äußerst besorgt über die dramatische Situation an der russisch-ukrainischen Grenze ist, demonstrierte am Samstagmittag der aus Peking zugeschaltete chinesische Außenminister Wang Yi. In den Formulierungen diplomatisch, war seine Botschaft doch eindeutig. Die Prinzipien der UN-Charta müssten aufrechterhalten werden und kein Land solle sich über das Völkerrecht stellen, „nicht einmal eine Supermacht“, sagte der Minister.

„Souveränität, Unabhängigkeit und territoriale Integrität eines jeden Landes sollten geschützt und respektiert werden“, sagte Wang Yi. „Und die Ukraine macht hier auch keine Ausnahme.“ Er forderte dazu auf, sich auf die Umsetzung des Minsker Abkommen zu konzentrieren, denn das sei „für das Ukraine-Problem die einzige Lösung“. Jetzt sollten „alle Länder Verantwortung übernehmen und für eine friedliche Lösung eintreten“.

„Ich weiß nicht, was der Präsident der russischen Föderation möchte“, sagte der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj auf die Frage, ob er davon ausgehe, dass Putin schon eine Entscheidung über einen Einmarsch getroffen habe. „Wir möchten eine diplomatische Lösung statt eines militärischen Konflikts“, versicherte Selenskyj. Doch für den Eventualfall werde sich die Ukraine nicht kampflos ergeben: „Wir werden unser Land schützen, mit oder ohne Unterstützung unserer Partner.“

Ukraine-Krise bestimmt auch die Anti-Siko-Proteste

Auch die traditionellen Proteste gegen die Münchner Sicherheitskonferenz stehen in diesem Jahr ganz unter dem Eindruck der Ukraine-Krise. Wie könnte es anders sein? „Wir brauchen jetzt sofort eine diplomatische Initiative der Bundesregierung, statt sich hier auf der Sicherheitskonferenz in immer neuen Drohgebährden zu ergehen“, sagte die Linkspartei-Bundestagsabgeordnete Sevim Dağdelen auf der Abschlusskundgebung des „Aktionsbündnisses gegen die Nato-Sicherheitskonferenz“ am Samstag.

Dağdelen forderte „einen sofortigen Truppenrückzug beider Seiten an der Kontaktlinie“. Erforderlich sei „jetzt hier eine politische Lösung“. An der Demonstration des Aktionsbündnisses vom Stachus zum Marienplatz nahmen laut Polizeiangaben etwa 1.600 Menschen teil, die Veranstalter zählten rund 3.000.

Auf der parallel zur Siko stattfindenden Internationalen Münchner Friedenskonferenz hatte bereits am Freitagabend der frühere brandenburgische Ministerpräsident und Ex-SPD-Vorsitzende Matthias Platzeck zu größeren diplomatischen Anstrengungen aufgerufen. „Wir befinden uns mitten in einer Eskalationsspirale“, sagte er in einer Videobotschaft.

„Wir müssen alles, aber auch wirklich alles dafür tun, um zu deeskalieren“, forderte Platzeck, der Vorstandsvorsitzender des Deutsch-Russischen Forum ist. Es sei ein schwerer Fehler gewesen, über Jahrzehnte die legitimen Sicherheitsinteressen Russlands nicht zu akzeptieren.

„Heute ernten wir die bitteren Früchte dieser Realitätsverweigerung“, sagte Platzeck. Gefordert sei jetzt „die hohe Kunst der multilateralen Diplomatie“, wobei „immer auch selbstverständlich die Bedürfnisse der Ukraine gleichberechtigt mit zu berücksichtigen“ seien.

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