Kritik an Gedenken zum Hanau-Anschlag: „Hätten uns das anders gewünscht“

Vor dem Gedenken zum Hanau-Anschlag gibt es Unmut von Hinterbliebenen. Freunde seien nicht eingeladen worden, auch Bouffier steht in der Kritik.

Demonstrierende erinnern im Februar 2021 auf dem Marktplatz Hanau an den Hanau-Anschlag.

Gedenken am in Hanau zum 1. Jahrestag des rassistischen Anschlags Foto: Moritz Kegler/imago

HANAU/BERLIN taz | Es wird ein hochrangig besuchtes Gedenken. Am Samstagvormittag wollen Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD), Hessens Ministerpräsident Volker Bouffier (CDU) und andere Po­li­ti­ke­r:in­nen auf dem Hanauer Hauptfriedhof dem rassistischen Anschlag in der Stadt vor zwei Jahren gedenken. Doch kurz vorher gibt es Unmut unter einigen Hinterbliebenen: Mehrere Verwandte der Mordopfer und Freunde können nicht an der Veranstaltung teilnehmen.

Organisiert haben das Gedenken die hessische Staatskanzlei und die Stadt Hanau. Geladen sind auf den Hauptfriedhof – wo die Mordopfer Hamza Kurtović, Said Nesar Hashemi und Ferhat Unvar beerdigt sind –, neben Po­li­ti­ke­r:in­nen die direkten Angehörigen der Mordopfer und Religionsvertreter:innen. Bouffier, Faeser und Hanaus Oberbürgermeister Claus Kaminsky (SPD) wollen Kränze ablegen und Reden halten. Auch mehrere Betroffene sollen sprechen. Aber die Teilnahme ist begrenzt: auf 100 geladene Gäste.

Daran gibt es nun Kritik – auch weil die Opferfamilien davon spät erfuhren. „Wir werden am Samstag nicht mit allen, die wollen, gemeinsam auf dem Hanauer Friedhof sein können“, heißt es in einer aktuellen Erklärung der Initiative 19. Februar, in der sich Hinterbliebene der Anschlagsopfer und Un­ter­stüt­ze­r:in­nen engagieren. „Viele, die sonst an jedem 19. an unserer Seite sind, bleiben durch die Auflagen des Landes Hessen ausgeschlossen.“

Seit der „kurzfristigen Bekanntgabe“ der Auflagen gebe es zahlreiche Nachfragen, berichtet die Initiative. „Darauf zu reagieren fällt schwer und schmerzt. Wer eingeladen wird und wer nicht, das haben wir, die Familienangehörigen, nicht entscheiden können.“ Und: „Wir hätten uns das anders gewünscht.“

„Ich weiß nicht, wie ich das den Leuten erklären kann“

Said Etris Hashemi, der Bruder des ermordeten Said Nesar Hashemi, hatte bereits am Dienstag in einem Onlinegespräch mit Innenministerin Faeser und SPD-Chef Lars Klingbeil beklagt, dass viele Freun­d:in­nen und selbst ein Überlebender des Attentats, auf den geschossen wurde, nicht zu dem Gedenken eingeladen seien. Das mache ihn „traurig und auch ein bisschen wütend“, sagte Hashemi. „Ich weiß nicht, wie ich das den Leuten erklären kann.“

Der Überlebende soll inzwischen doch zu dem Gedenken eingeladen worden sein. Aber der Unmut bleibt. Die hessische Staatskanzlei ließ eine Anfrage zu der Gedenkveranstaltung zunächst unbeantwortet. Die Stadt Hanau begründete den eingeschränkten Teilnehmerkreis mit der Coronapandemie und dem begrenzten Platz auf dem Friedhof. Die Veranstaltung sei aber über den städtischen Opferbeauftragten mit den Hinterbliebenen abgestimmt, auch was die Einladungen angehe, versicherte eine Sprecherin. Allen direkten Angehörigen der Opfer werde die Teilnahme ermöglicht. „Wir gehen nach Möglichkeit auf die Wünsche der Opferfamilien ein.“

Aus dem Kreis der Initiative hält man indes dagegen, dass der Friedhof durchaus Platz für mehr Teilnehmende biete und man mit Masken und Impfnachweisen für Infektionsschutz sorge. Einige Betroffenen kritisierten zudem, dass überhaupt der Friedhof für das Gedenken ausgewählt wurde. Dieser sei ein Ort der Trauer, nicht der politischen Reden. Von der Stadt heißt es dazu, man habe den Friedhof gewählt, eben weil er „ein Ort des Trauerns und des Innehaltens“ sei. Zudem sei dort mehr Platz als in der Congresshalle, in der das letztjährige Gedenken stattfand.

Bouffier schon länger in der Kritik

Zudem regte sich Kritik auch am angekündigten Auftritt von Bouffier. Angehörige hatten ihn und Innenminister Peter Beuth (CDU) immer wieder kritisiert und beiden mangelnden Aufklärungswillen zu dem Anschlag vorgeworfen. So seien bis heute Fragen zum kaum erreichbaren Notruf in der Tatnacht oder einem verschlossenen Notausgang an einem der Tatorte ungeklärt. Auch habe sich die Landesregierung wenig empathisch mit den Opferfamilien gezeigt.

Emis Gürbüz, die Mutter des erschossenen Sedat Gürbüz, nannte Bouffier im hessischen Untersuchungsausschuss zu dem Anschlag „herzlos, gefühllos, eiskalt“. Und auch Serpil Temiz-Unvar, Mutter des ermordeten Ferhat Unvar, beklagte am Freitag in einem Offenen Brief an die Bundesregierung, dass die Hinterbliebenen „fast zwei Jahre von den Verantwortlichen in Hessen mit Worten vertröstet, aber doch wie Menschen zweiter Klasse behandelt wurden“. Bis heute fehle es an Aufklärung. „Zwei Jahre sind vergangen und noch immer warten wir auf Antworten. Antworten auf Fragen, die uns quälen.“

Die Initiative 19. Februar verweist nun auch auf Gedenken, die am Samstag auf den Friedhöfen in Offenbach und Dietzenbach stattfinden sollen, wo die Mordopfer Mercedes Kierpacz und Sedat Gürbüz beerdigt sind. Dort könne man „gemeinsam gedenken“. Zudem sei dies auch auf einer Demonstration am Nachmittag in Hanau und bei Gedenken am Abend an den zwei Tatorten in der Stadt möglich. Auch in vielen weiteren Städten wollen Initiativen am Samstag mit Demonstrationen und Kundgebungen an den Anschlag erinnern.

Hinterbliebene fordert Aufklärung und Gedenken

Serpil Temiz-Unvar setzt in ihrem Offenen Brief aber auch Hoffnung in den hessischen Untersuchungsausschuss. Und auch mit der neuen Bundesregierung gebe es nun die Chance, dass sich etwas ändere. „Seit ein paar Monaten sprechen wir endlich über Rechtsextremismus“, schreibt sie. Die Veränderung stehe aber „noch am Anfang und muss weitergehen“.

So brauche es Aufklärung nicht nur zum Hanau-Anschlag, sondern auch zu anderen rassistischen Taten der vergangenen 30 Jahre. „Wagen Sie einen Neuanfang, rollen Sie die Geschichten neu auf“, appelliert Temiz-Unvar an die Regierung. „Denn Hanau war nicht der Anfang.“ Die Opfer müssten gegen Rechtsextremismus verteidigt und endlich angemessen entschädigt werden. „Unterstützen Sie uns bei unserem Kampf für Aufklärung und Gerechtigkeit in Hanau – und darüber hinaus.“

Bei dem Anschlag in Hanau hatte ein 43-Jähriger am 19. Februar 2020 neun Menschen in drei Bars und einem Kiosk erschossen: Ferhat Unvar, Hamza Kurtović, Said Nesar Hashemi, Vili Viorel Păun, Mercedes Kierpacz, Kaloyan Velkov, Fatih Saraçoğlu, Sedat Gürbüz und Gökhan Gültekin. Danach tötete er auch seine Mutter und sich selbst. Zuvor hatte er in Schreiben und Videos einen Verfolgungswahn und rassistisches Gedankengut offenbart.

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Am 19. Februar 2020 erschoss der Rechtsextremist Tobias R. an drei verschiedenen Tatorten in der Hanauer Innenstadt neun Menschen:

Kaloyan Velkov, ermordet mit 33 Jahren.

Fatih Saraçoğlu, ermordet mit 34 Jahren.

Sedat Gürbüz, ermordet mit 30 Jahren.

Vili Viorel Păun, ermordet mit 22 Jahren.

Gökhan Gültekin, ermordet mit 37 Jahren.

Mercedes Kierpacz, ermordet mit 35 Jahren.

Ferhat Unvar, ermordet mit 22 Jahren.

Hamza Kurtović, ermordet mit 22 Jahren.

Said Nesar Hashemi, ermordet mit 21 Jahren.

Später ermordete der Attentäter seine Mutter Gabriele R., 72 Jahre alt.

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Hier erfährst du mehr

Rechtsextreme Terroranschläge haben Tradition in Deutschland.

■ Beim Oktoberfest-Attentat im Jahr 1980 starben 13 Menschen in München.

■ Der Nationalsozialistische Untergrund (NSU) um Beate Zschäpe verübte bis 2011 zehn Morde und drei Anschläge.

■ Als Rechtsterroristen verurteilt wurde zuletzt die sächsische „Gruppe Freital“, ebenso die „Oldschool Society“ und die Gruppe „Revolution Chemnitz“.

■ Gegen den Bundeswehrsoldaten Franco A. wird wegen Rechtsterrorverdachts ermittelt.

■ Ein Attentäter erschoss in München im Jahr 2016 auch aus rassistischen Gründen neun Menschen.

■ Der CDU-Politiker Walter Lübcke wurde 2019 getötet. Der Rechtsextremist Stephan Ernst gilt als dringend tatverdächtig.

■ In die Synagoge in Halle versuchte Stephan B. am 9. Oktober 2019 zu stürmen und ermordete zwei Menschen.

■ In Hanau erschoss ein Mann am 19. Februar 2020 in Shisha-Bars neun Menschen und dann seine Mutter und sich selbst. Er hinterließ rassistische Pamphlete.

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