Tiktok-Comedian Toxische Pommes: Battleground Humor

Die Wienerin Toxische Pommes gehört zu einer neuen Generation Comedians. Sie demaskieren auf Tiktok und Instagram die Dominanzgesellschaft.

Portrait

Irina aka Toxische Pommes Foto: Muhassad Al-Ani

Was kann Humor? Nach unten treten, beispielsweise. Im Idealfall aber auch: nach oben. Er kann sich über bestehende Verhältnisse lustig machen oder über die Menschen, die sowieso schon von den Strukturen an den Rand gedrängt werden. Vor allem ist Humor ein Schlachtfeld zwischen denen, die schon immer die Fernsehplätze und Comedybühnen besetzt haben, und denen, die die Schenkelklopfer von einst heute als rassistisch, misogyn oder klassistisch kritisieren.

Und dann gibt es noch Tiktok. Die Plattform wächst seit einigen Jahren rapide, in der breiten Öffentlichkeit ist sie vor allem für tanzende Teenager bekannt. Gleichzeitig entwickelt sich das Medium aber zu einer Plattform für eine neue Generation von Comedians, die nicht auf Open-Mic-Nächten und in Poetry Slams ihre Routinen entwickelt haben, sondern in 15-sekündigen Sketchvideos. Eine von ihnen: Toxische Pommes.

Innerhalb weniger Monate entwickelte sich die Juristin aus Wien zu einem deutschsprachigen Tiktok-Phänomen mit Zehntausenden Fol­lo­wer*­in­nen und unzähligen kurzen Videos, in denen sie bourgeoise Ju­ris­t*in­nen auf die Schippe nimmt, rassistische Internettrolle, ihre vom Balkan stammende Familie oder die Verhältnisse an und für sich.

Dabei schlüpft sie in Rollen. Laurenz etwa, der reiche Wiener Juraschnösel. Oder Renate, die österreichische Wiedergängerin der US-amerikanischen Klischeefigur „Karen“, dem Prototyp der alltagsrassistischen Spießbürgerin. Meist stellt sie eine kleine Alltagsszene nach oder eine Interviewsituation, da meint etwa Laurenz, dass Ungeimpfte ausschließlich an den hohen Coronazahlen schuld seien. Schnitt. In der nächsten Einstellung steht Toxische Pommes als Laurenz, diesmal im Skioutfit, vor einem Stockfoto einer Après-Ski-Hütte und feiert. Oft entsteht der Witz auch durch die Kombination mit dem kommentierenden Text auf dem Video.

Humor auf persönliche Erfahrung bezogen

Geplant war das alles nicht: „Im Lockdown hat mir eine Freundin die App gezeigt.“ Anfangs hatte sie Klischees über die Plattform im Kopf. „Aber dann habe ich gemerkt, wie viel ich bei diesen Videos gelacht habe, und dachte: Was, wenn ich nicht nur Zuschauerin bin, sondern auch selbst Dinge produziere, die ich lustig finde?“

In Kroatien geboren und Anfang der Neunziger mit ihren Eltern nach Österreich geflohen, bezieht sich der Humor von Toxische Pommes, die im wahren Leben Irina heißt und alle weiteren Details über ihre Identität und ihr Leben für sich behält, vor allem auf persönliche Erfahrungen. Und zwar durchaus auch, wie es in ihrer Kanalbeschreibung steht, mit den „hässlichen Seiten des Lebens“ und den schmerzhaften. „Da gibt es einfach Themen in meiner Biografie, die mich aufgrund der Tatsache, dass ich Migrationshintergrund habe, beschäftigen. Comedy-Videos zu machen kann auch als eine Art persönliches Ventil zur Verarbeitung von Erlebnissen dienen, die nicht immer so toll waren.“

Es zählen nicht nur Herzchen

Der Künstlername verweist auf eine dieser Erfahrungen, eine toxische Beziehung, die sie kurz vor dem Start ihres Tiktok-Kanals beendet hatte, die Pommes dagegen stehen, wie könnte es anders sein, für ihr Lieblingsessen. Die Resonanz seit ihrem ersten Video im Juli 2020 war für die selbst erklärte Technik-Laiin ziemlich überwältigend: Der österreichische Radiosender FM4 wählte sie 2021 zur „Influencerin des Jahres“, sie drehte Videos mit Altmeister Josef Hader, absolvierte ihren ersten Liveauftritt als Stand-up-Comedian im Rahmen des Wiener Politically Correct Comic Club und erreicht mittlerweile 4,3 Millionen Likes auf Tiktok.

Aber für sie zählen nicht nur die Herzchen unter den Videos, vielmehr ist Humor für Toxische Pommes ein Werkzeug: „Es tut gut zu sehen, dass andere Menschen ähnliche Erlebnisse gemacht haben, es tut auch seelisch gut, so einen empathischen Widerhall zu bekommen.“

Werkzeug für Empowerment

Dass Comedy ein Werkzeug für Empowerment sein kann, ist keine Neuigkeit: UN Women richtete 2018 schon Veranstaltungen mit dem Titel „Comedy for Equality“, also „Comedy für Gerechtigkeit“, aus, um „die Kraft des Lachens“ für „Empowerment und Frieden“ zu nutzen. Mittels Humor können althergebrachte Stereotype und Ideologien infrage gestellt und einfach verständliche Werte wie die Gleichstellung der Geschlechter vermittelt werden. Ganz so ambitioniert sind Irinas Pläne nicht, aber auch sie sieht Comedy als eine Form des Empowerments, auch der Kommunikation: „Durch Humor kannst du an Leute herantreten und mit ihnen in eine Kommunikation kommen. Die meisten Menschen lachen gerne und es eröffnet eine niedrigschwellige Kommunikation, mit der man aber auch ernste Themen ansprechen kann.“

Ihre Videos beziehen sich oft auf sehr spezifische Erfahrungen als Mensch mit postjugoslawischer Migrationsbiografie in Österreich – doch die dahinterliegenden Grundprobleme von rassistischer, sexistischer und klassistischer Ausgrenzung transzendieren die zugespitzt dargestellte Situation. „Ich sehe auch oft Videos, zu denen ich einen Bezug habe, obwohl mir nicht dasselbe widerfahren ist. Das verbindet, empowert und gibt dir das Gefühl, nicht allein zu sein. Humor ist ein sozialer Kleber. Er kann zeigen, okay, du bist mit deinen Erfahrungen nicht alleine. Er kann zu Denkprozessen anregen und verbinden.“

Kritik annehmen

Dazu gehöre auch, Kritik anzunehmen, mit ihr transparent umzugehen, Videos zu löschen oder zu verändern und offen mit dem Lernprozess umzugehen, wie Humor neu und diskriminierungsarm gedacht werden kann. Humor, der vermeintlich „politisch korrekt“ ist, bedeutet nicht, dass er weniger bissig sein muss. Im Gegenteil, er greift bestehende Machtverhältnisse in einer Gesellschaft an.

Aber das bedeutet auch, dass es vielleicht einfach schwieriger ist, eine gute Punchline zu entwickeln, wenn man sich wie Toxische Pommes und internationale Vorbilder wie Hannah Gadsby nicht auf bestehende Klischees und Topoi der Comedy verlassen will. Auf Tiktok im Allgemeinen und dem deutschsprachigen im Besonderen gehört Toxische Pommes noch zu einer verhältnismäßig kleinen Nische von Comedy-Creators mit explizit progressiven Inhalten – aber einer, deren Publikum beständig wächst, wie es ihre Followerzahlen zeigen.

Berechtigte Kritik

Diese Ausdrucksformen stellen auf sozialen Medien natürlich nicht die Mehrheit. Insbesondere Tiktok und Instagram stehen nun schon seit geraumer Zeit unter berechtigter Kritik, weil die Plattformen Falschinformationen, Hetze, Mobbing und Hass dulden.

Dabei gerät manchmal aber aus dem Fokus, dass soziale Medien trotz aller Unzulänglichkeiten immer noch auch jenen Mitsprache ermöglichen, die sonst keinen Zugang zum vorherrschenden Diskurs erlangen: „Dadurch, dass soziale Medien eine so leicht zugängliche Form von Meinungsäußerung sind, können sie auch Menschen eine Stimme geben, die sie sonst nicht so leicht hätten“, sagt Toxische Pommes.

„Doch wieder in der Bubble“

Die Sinnfrage stellt sich die Digitalsatirikerin allerdings trotzdem: „Manchmal denke ich mir: Du landest eben doch wieder in deiner Bubble. Ich weiß nicht, ob es die Menschen erreicht, die es wirklich betrifft, die ich kritisiere. Aber immerhin schreiben mir recht oft Leute, dass sie sich bei bestimmten Videos sehr ertappt fühlen.“

Mit der Resonanz entsteht aber auch eine gewisse Verpflichtung, immer wieder neue Inhalte zu produzieren. Das ist schon nicht leicht für Leute, die dem Beruf in Vollzeit nachgehen. Für Irina ist die Comedy nur ein Hobby nach Feierabend von ihrem Vollzeitjob als Juristin. „Vor einem Jahr hätte ich gesagt, dass das Videodrehen so etwas ist wie vielleicht ein Sportklub.

Aber mittlerweile merke ich, dass es vor allem mehr emotionale Arbeit ist und einen Einfluss auf mich hat. Es entsteht Druck, etwas Neues, aber auch etwas Sinnvolles mit dieser Plattform zu machen“, erzählt sie. „Ich habe jetzt diese Plattform, die viele nicht haben. Mache ich etwas Sinnvolles damit? Sollte ich etwas anderes machen? Soll ich sie jemand anderem geben, der etwas Sinnvolleres damit anfangen kann?“

Was Sinn ergibt und was nicht, ist aber immer Auslegungssache. Die Tausenden Fol­lo­wer*­in­nen von Toxische Pommes scheinen jedenfalls ihren persönlichen Sinn in Irinas Videos zu finden. Ob es nun das Gefühl ist, endlich verstanden zu sein, Selbstkritik – oder auch manchmal einfach nur ein ausgelassenes Lachen.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Wir würden Ihnen hier gerne einen externen Inhalt zeigen. Sie entscheiden, ob sie dieses Element auch sehen wollen.

Ich bin damit einverstanden, dass mir externe Inhalte angezeigt werden. Damit können personenbezogene Daten an Drittplattformen übermittelt werden. Mehr dazu in unserer Datenschutzerklärung.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.