Energie im nächsten Winter: Streit um Kohle und Atom

Kohle- und Atomkraftwerke länger nutzen, falls russisches Gas ausbleibt? Wirtschaftsminister Habeck zeigt sich offen.

Schornsteine eines kraftwerks stoßen Rauch aus, davor eine beleuchtete Stadt am Abend

Soll planmäßig noch dieses Jahr vom Netz: das Steinkohlekraftwerk Scholven in Gelsenkirchen Foto: Jochen Tack/imago

BERLIN taz | Es sind nicht die Geister, die wir riefen, sondern die, denen wir längst den Garaus machen: Die klimaschädliche Kohlekraft und die riskante Atomkraft erleben zumindest in der deutschen Debatte eine Renaissance. Schließlich drängt die Frage, ob Deutschland im nächsten Winter komplett ohne russisches Gas auskäme, sollte Russland nicht mehr liefern oder Europa nicht mehr empfangen wollen.

Etwas mehr als die Hälfte des in Deutschland verbrauchten Gases kommt aktuell aus Russland. Wäre als Ersatz ein Schritt rückwärts in die alte Energiewelt nötig?

Wirtschafts- und Klimaminister Robert Habeck (Grüne) scheint diesen Schritt zumindest schon rhetorisch vorzubereiten. „Im Zweifel ist das so“, sagte er dem Deutschlandfunk am Mittwochmorgen auf die Frage, ob denn Sicherheit wichtiger sei als Klimaschutz.

„Kurzfristig kann es sein, dass wir vorsichtshalber, um vorbereitet zu sein für das Schlimmste, Kohlekraftwerke in der Reserve halten müssen, vielleicht sogar laufen lassen müssen“, so der Minister. Die Versorgungssicherheit müsse man gewährleisten. „Und das werde ich auch tun.“ Zuvor hatte er gegenüber dem Bayrischen Rundfunk gesagt, dass er eine Laufzeitverlängerung der verbleibenden Atomkraftwerke „nicht ideologisch abwehren“ werde, auch wenn es nicht wahrscheinlich sei, dass das überhaupt technologisch gehe.

AKW liefern nicht passende Energieform

Eigentlich soll der Atomausstieg Ende dieses Jahres abgeschlossen sein, wenn die drei letzten AKW vom Netz gehen. Auch der Abschied von fast 5 Gigawatt Kohlekraftwerksleistung steht an. So sieht es das Kohleausstiegsgesetz vor, das aktuell noch auf 2038 als Abschlussjahr hinausläuft. Die Ampelregierung hat sich sogar zum Ziel gesetzt, das schon bis 2030 zu schaffen. Eine Anfrage der taz dazu, ob Habeck davon ausgeht, dass die aktuelle Lage dieses Ziel gefährdet, ließ das Wirtschaftsministerium bis Redaktionsschluss unbeantwortet.

Dass das sein muss, ist keinesfalls Konsens. „Bei der Atomkraft erleben wir echt eine reine Gespensterdebatte“, sagte Energieökonomin Claudia Kemfert vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung in Berlin der taz. Dabei geht es nicht nur darum, dass ein Weiterlaufen technisch kaum möglich sein dürfte. „Die 6 Prozent des Stroms, den die restlichen AKW noch produzieren, können wir einfach durch die erneuerbaren Energien ausgleichen, und Wärme kommt von denen gar nicht.“

Die wäre aber entscheidend. Gas ist zurzeit vor allem als Wärmequelle wichtig, in den großen Industrieprozessen und in den Wohnzimmern. Die Atomkraftwerke sind beim Schließen einer möglichen Gaslücke also relativ nutzlos. Das sieht bei Kohlekraftwerken schon anders aus. Anders als die drei übrigen Atomkraftwerke sind diese teils an Fernwärmenetze angeschlossen. Also erst mal weiterlaufen lassen?

„Bevor wir gleich über eine Abweichung vom gesetzlichen Kohleausstiegspfad reden, sollten wir doch die Energiewende schneller umsetzen und das Ausbautempo erneuerbarer Energien massiv erhöhen“, meint Kemfert. Wenn man ihr zuhört, bekommt man den Eindruck: Was in der Coronapandemie die Luftfilter für Klassenräume sind, sind in der Gaskrise die Wärmepumpen. Wer im Winter gut vorbereitet sein will, muss den Sommer gut nutzen.

„Es sind doch noch Monate Zeit bis zum nächsten Winter“, gibt Kemfert zu bedenken. In der Zeit müsse man durch strategische Reserven Vorsorge treffen und „die Wärmewende beherzt angehen“ mit mehr Wärmepumpen, Power-to-Heat oder nachhaltiger Biomasse.

„Schreckhaft wieder mehr in fossile Energie zu investieren, diesen Fehler haben wir doch jetzt oft genug gemacht“, sagt die Ökonomin. „Nebenbei bemerkt, importieren wir auch die Hälfte unserer Steinkohle aus Russland, das ist also weder energiewirtschaftlich, noch geopolitisch besonders hilfreich.“ Einen „Energiewende-Booster“ wünscht sie sich stattdessen. „Das ist der Weg nach vorn.“

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Wir würden Ihnen hier gerne einen externen Inhalt zeigen. Sie entscheiden, ob sie dieses Element auch sehen wollen.

Ich bin damit einverstanden, dass mir externe Inhalte angezeigt werden. Damit können personenbezogene Daten an Drittplattformen übermittelt werden. Mehr dazu in unserer Datenschutzerklärung.

Wir alle wollen angesichts dessen, was mit der Ukraine derzeit geschieht, nicht tatenlos zusehen. Doch wie soll mensch von Deutschland aus helfen? Unsere Ukraine-Soli-Liste bietet Ihnen einige Ansätze fürs eigene Aktivwerden.

▶ Die Liste finden Sie unter taz.de/ukrainesoli

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.