Paralympics mit Russland und Belarus: Krieg bei den Spielen

Russische und belarussische Sportler dürfen bei den Paralympischen Spielen als neutrale Athleten teilnehmen. Lässt sich Sport entpolitisieren?

Ukrainischer Journalist mit Plakat am Mikrofon

Ein ukrainischer Journalist erinnert in Peking an Biathlet und Kriegsopfer Yevhen Malyshev Foto: Andy Wong/ap

Von einflussreichen Akteuren war der Ausschluss Russlands und Belarus’ von den am Freitag beginnenden Paralympischen Spielen in Peking gefordert worden. Die nationalen paralympischen Komitees aus den USA, Kanada, England und Deutschland hatten sich dafür wegen der Invasion Russlands in der Ukraine ausgesprochen. Am Mittwoch entschied das Internationale Paralympische Komitee (IPC) sich aber gegen einen Ausschluss der russischen und belarussischen Sportler:innen.

Das IPC erklärte, dass der Bruch der UN-Resolution, die rund um die Olympischen und Paralympischen Spiele die Teilnehmer zum Waffenstillstand verpflichtet, nicht unbestraft bleiben könne. Die Maßnahmen, für die man sich entschlossen habe, seien aber vom Prinzip der politischen Neutralität und dem Glauben an der verändernden Kraft des Sports geleitet gewesen.

Beschlossen hat das IPC, dass Athleten aus den beiden Ländern nur als neutrale Athleten unter der paralympischen Flagge und ohne nationale Hymne antreten dürfen. Zudem werden ihre Leistungen im Medaillenspiegel nicht berücksichtigt. Die militärische Intervention Russlands 2014 auf der Krim vor den Paralympischen Spielen in Sotschi hatte das IPC tatenlos hingenommen.

„Ich erwarte nun von allen Teilnehmern, dass sie die neutralen Athleten wie jeden anderen Athleten bei diesen Spielen behandeln, egal wie schwierig dies auch sein mag“, sagte IPC-Präsident Andrew Parsons: „Im Gegensatz zu ihren jeweiligen Regierungen sind diese paralympischen Athleten und Funktionäre nicht die Aggressoren. Sie sind hier, um wie alle anderen an einem Sportereignis teilzunehmen.“

Hintertür vom IOC geöffnet

Am Sonntag hatte das Internationale Olympische Komitee noch empfohlen, dass alle russischen und belarussischen Sportler und Funktionäre nicht mehr an internationalen Wettbewerben teilnehmen sollten. Allerdings hatte man für die Paralympischen Spiele bereits eine Hintertür offengelassen. Wo dies kurzfristig oder aus juristischen Gründen nicht möglich sei, hieß es, sollten diese als neutrale Athleten ohne Flagge und Hymne antreten. Unter neutraler Flagge mussten Russlands Ahtleten übrigens bereits 2018 bei den Spielen in Pyeongchang antreten. Das war damals einer der Sanktionsmaßnahmen, die das Staatsdoping nach sich zog.

IPC-Chef Parsons versuchte an diesem Mittwoch präventiv dem Vorwurf zu großer Milde entgegenzutreten: „Wofür wir uns entschieden haben, ist die härteste Bestrafung, die wir im Rahmen unserer Verfassung und der aktuellen IPC-Regeln verhängen können.“

Dass nicht nur die knappe Frist zum Beginn der Paralympischen Spiele ein Problem ist, sondern es auch um Grundsätzliches geht, das machte Andrew Parsons im Vorfeld des Beschlusses deutlich. Er sagte: „Wir sehen die Gefahr, dass wir anfangen, politisch zu werden oder uns von politischen Meinungen oder politischen Entscheidungen leiten zu lassen.“ Die Frage sei, wo man die Grenze ziehe, warum man den einen Konflikt so und einen anderen auf andere Weise bewerte.

Die Entscheidung des IPC wird bei vielen Sport­le­r:in­nen für großen Unmut sorgen. In einem offenen Brief, der von zahlreichen Sport­le­r:in­nen aus der Ukraine unterschrieben wurde, hatte die Athletenvereinigung Global Athlete mit Blick auf die Paralympischen Spiele die sofortige Suspendierung der Verbände Russlands und Belarus’ verlangt: „Wenn das IOC und das IPC sich weigern, tätig zu werden, ermutigen Sie die Verletzung internationaler Gesetze sowie ihrer eigenen Charta durch Russland und Belarus.“

Entsetzt über die Zulassung von Russen und Belarussen bei den Paralympics zeigte sich Friedhelm Julius Beucher, der dem Deutschen Behindertensportverband vorsteht: „Das ist enttäuschend und mutlos. Angesichts der täglichen Kriegsgräuel in der Ukraine hätten wir einen solchen Beschluss nicht für möglich gehalten.“ Der Beschluss sende ein „völlig falsches Signal“.

In der IPC-Pressemitteilung wird die Niederländerin Jitske Visser, die Vorsitzende des IPC-Athletenrats, wie folgt zitiert: „Ich hoffe jetzt, dass nach dieser Entscheidung der Fokus wieder auf den Sport gerichtet werden kann …“ Mit den Hoffnungen der 20 paralympischen ukrainischen Athletinnen und Athleten, die an den Spielen in Peking teilnehmen, wird sich das vermutlich nicht decken. Der Krieg wird auch bei den Paralympischen Spielen ein Thema bleiben, erst recht nach dieser Entscheidung.

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