Behindertenbeauftragter schlägt Alarm: Kaum Jobs für Leute mit Behinderung

Menschen mit Behinderung litten noch immer besonders stark unter der Pandemie, so der Behindertenbeauftragte. Er stellt Forderungen an die Ampel-Koalition.

Ein junger Mann sitzt in einem Rollstuhl und arbeitet in einer Tischlerwerkstatt

David Völzmann hat im Rollstuhl eine Ausbildung zum Tischler absolviert Foto: Andie Weiland/Gesellschaftsbilder

BERLIN apf/dpa | Während der Corona-Pandemie hat sich die Jobsituation von Menschen mit Behinderung nach Ansicht des Behindertenbeauftragten der Bundesregierung deutlich verschlechtert. Aktuell gebe es in Deutschland mehr als 170.000 Schwerbehinderte ohne Beschäftigung, sagte Jürgen Dusel am Dienstag in Berlin. „Von der Erholung des Arbeitsmarktes nach der Pandemie werden vor allem Menschen mit Schwerbehinderung erst ganz zum Schluss profitieren.“ Daher müsse es intensive Bemühungen geben, diese Menschen jetzt aktiv in das Arbeitsleben einzubinden.

Dusel, stellte für viele Lebensbereiche klare Forderungen an die neue Bundesregierung. Es gehe dabei nicht um etwas, das „nice to have“ sei, sondern „letztlich um die Umsetzung fundamentaler Grundrechte“, sagte Dusel. Das Thema Inklusion müsse „aus dem Betulichen“ herausgeholt und als etwas verstanden werden, was „unser Land einfach reicher“ mache.

Konkret verlangte Dusel, beim sozialen Wohnungsbau nur noch Projekte zu fördern, die barrierefrei sind. Bedenken wegen höherer Kosten wies Dusel zurück: Zumindest bei Neubauten sei die Kostensteigerung „marginal“.

Als weiteren Bereich, im dem mehr getan werden müsse, nannte Dusel Bus und Bahn. Laut Gesetz müsse der öffentliche Nahverkehr seit dem Jahreswechsel barrierefrei sein – es gebe dabei aber ein „Umsetzungsproblem“, weil andere Prioritäten gesetzt würden. Nötig sei „eine Art von Mobilitätspakt“ mit allen Beteiligten wie etwa Verkehrsunternehmen und Kommunen.

Ein weiteres Anliegen: Besserer Schutz vor Gewalt

Auch bei der Deutschen Bahn gebe es weiterhin Probleme. So müssten etwa Rollstuhlfahrende ihre Reisewünsche 24 Stunden im Voraus anmelden und könnten auch nicht überall auf den so genannten Mobilitätsservice der Bahn zurückgreifen. Dies sei in einem der reichsten Länder Europas nicht akzeptabel.

Auch im Gesundheitswesen mahnte Dusel an, Barrierefreiheit umfassend zu berücksichtigen. Behinderte könnten wegen Mängeln in diesem Bereich oft ihr Recht auf freie Arztwahl nicht verwirklichen. Barrierefreiheit bedeute dabei nicht nur, dass Arztpraxen für Rollstühle zugänglich sein müssten, mahnte Dusel. Dazu gehörten etwa auch barrierefreie Internetseiten von Kliniken und die Möglichkeit von Gehörlosen, sich im Gesundheitswesen in Gebärdensprache zu verständigen.

Dass das Bundesgesundheitsministerium für diese Fragen bis Ende des Jahrs einen Aktionsplan aufstellen wolle, lobte der Beauftragte. Minister Karl Lauterbach (SPD) habe „mich an seiner Seite“, versicherte Dusel.

Weitere Baustellen seien die Stärkung von Familien mit schwerbehinderten oder chronisch kranken Kindern sowie besserer Gewaltschutz für Menschen mit Behinderungen. Zudem müsse die Teilhabe von Behinderten am Arbeitsleben verbessert werden.

Koalitionsvertrag „schon sehr gut“

Laut Gesetz müssen Betriebe ab 20 Mitarbeitenden mindestens fünf Prozent der Jobs mit Schwerbehinderten besetzen. Es müsse „Schluss sein“ damit, dass ein Viertel dieser Unternehmen gar keine Schwerbehinderten beschäftigte, sagte Dusel. Die so genannte Ausgleichsabgabe, die Betriebe bei Nichterfüllen der Vorgabe zahlen müssen, solle für Firmen ohne schwerbehinderte Mitarbeiter auf rund 750 Euro pro Monat und nicht korrekt besetztem Arbeitsplatz verdoppelt werden.

Zum Ampel-Koalitionsvertrag sagte Dusel, dieser sei in Fragen der Partizipation von Behinderten „schon sehr gut“. Er beschreibe erstmals, dass Politik für Menschen mit Behinderungen „als Querschnittsaufgabe gedacht wird“. Deutschland sei in diesem Bereich „ganz gut dabei, aber noch lange nicht am Ende der Veranstaltung“, mahnte er.

Dusel ist seit Mai 2018 Beauftragte der Bundesregierung für die Belange von Menschen mit Behinderungen. Mitte Januar wurde er vom Kabinett im Amt bestätigt; er kann es damit bis zum Ende der laufenden Legislaturperiode ausüben. Der Bundesbeauftragte wirkt laut Gesetze darauf hin, dass die Verantwortung des Bundes in allen Bereichen des gesellschaftlichen Lebens erfüllt wird, für gleichwertige Lebensbedingungen für Menschen mit und ohne Behinderungen zu sorgen.

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