Mindestlohn und Minijobs im Kabinett: Mindestlohn hui, Minijobs pfui

Ab Oktober soll nicht nur der Mindestlohn, sondern auch die Minijob-Grenze steigen. Das stößt bei Gewerkschaften und Sozialverbänden auf Kritik.

Frau zapft Bier

Besonders Beschäftigte in der Gastronomie werden von der Mindestlohnerhöhung profitieren Foto: Nicolas Armer/dpa

BERLIN taz | Ihr Protest kommt spät, möglicherweise zu spät. In einem am Mittwoch veröffentlichten Aufruf fordern Gewerkschaften und Sozialverbände die Abgeordneten aller demokratischen Parteien im Bundestag auf, ein Vorhaben der Ampelkoalition zu stoppen: die Anhebung der Hinzuverdienstgrenze bei Mini­jobs. Denn das führe zu einer Ausweitung dieser umstrittenen Beschäftigungsform.

Dieser Plan verfestige „geringfügig entlohnte und sozial prekäre Beschäftigung und treibt vor allem Frauen in ungewollte finanzielle Abhängigkeiten und Altersarmut“, heißt es in dem Aufruf, den unter anderem die Spitzen der IG Metall und von Verdi, Jörg Hofmann und Frank Werneke, der Präsident des Sozialverbands Deutschland Adolf Bauer, die Vorsitzende des Deutschen Frauenrats Beate von Miquel sowie Daniela Jaspers, die Bundesvorsitzende Verband alleinerziehender Mütter und Väter, unterschrieben haben.

Die Anhebung der Minijobgrenze von derzeit 450 auf 520 Euro monatlich ist Teil eines Gesetzentwurfs von Bundesarbeitsminister Hubertus Heil (SPD), den das Bundeskabinett am Mittwoch beschlossen hat. Dessen zentraler Punkt ist die Anhebung des gesetzlichen Mindestlohns auf 12 Euro brutto. Dieses SPD-Wahlversprechen soll zum 1. Oktober umgesetzt werden.

Die Koppelung mit einer Erhöhung der Minijob-Verdienstgrenze hatte die FDP in den Koalitionsverhandlungen durchgesetzt. Begründet wird sie damit, dass dadurch auch künftig eine Wochenarbeitszeit von 10 Stunden zum Mindestlohn ermöglicht wird. Auf den Kabinettsbeschluss folgt nun das übliche parlamentarische Verfahren. Dass es dabei noch zu größeren Änderungen kommen wird, ist unwahrscheinlich.

„Dieser politische Kompromiss geht auf den Rücken abhängig Beschäftigter und der Versichertengemeinschaft“, kri­tisierte DGB-Vorstands­mitglied Anja Piel. Damit werde die Chance auf eine grundlegende Reform erst mal vertan. „Viele Millionen Beschäftigte fallen damit auch weiterhin nicht unter den Schutz der gesetzlichen Sozialversicherung“, konstatierte Piel.

Die Minijob-Aufstockung sei „eine krasse Fehlentscheidung der Ampelkoalition“, kritisierte auch der Verdi-Vorsitzende Frank Werneke. „Damit ist Altersarmut, insbesondere von Frauen, programmiert.“ Sie würden die Hauptleidtragenden dieser Entscheidung sein. Denn rund 70 Prozent der ausschließlich geringfügig entlohnten Beschäftigten seien Frauen.

Scharfe Kritik kommt auch von der Linkspartei. „Statt endlich den Niedriglohnsektor auszutrocknen, macht die Ampel den Arbeitgebern eine weitere Offerte und schreibt Minijobs als Zukunftsmodell fest“, sagte die stellvertretende Links­frak­tions­vorsitzende Susanne Ferschl. „Für die Arbeitgeber ist das ein lukratives Geschäft, für die Beschäftigten eine Armutsfalle.“

Auf Zustimmung sowohl der Gewerkschaften als auch der Linkspartei stößt hingegen die geplante Mindestlohnerhöhung. „Es ist gut, dass das Kabinett heute Nägel mit Köpfen bei der überfälligen Mindestlohnerhöhung gemacht hat“, lobte ­Ferschl. DGB-Vorstandsmitglied Stefan Körzell wies darauf hin, dass davon vor allem Beschäftigte im Gastgewerbe, im Handel und im Gesundheits- und Sozialwesen profitieren würden. „Also all jene, die den Laden in der Coronapandemie am Laufen gehalten haben.“

Laut dem vom Kabinett beschlossenen Gesetzentwurf können etwa 6,2 Millionen Beschäftigte durch den höheren Mindestlohn mit einer Gehaltssteigerung rechnen. Derzeit beträgt der Mindestlohn noch 9,82 Euro, am 1. Juli steigt er auf 10,45 Euro. Nach der gesetzlichen Erhöhung auf 12 Euro soll im nächsten Jahr wieder die Mindestlohnkommission die Höhe der Lohnuntergrenze festlegen, die dann ab 2024 gelten wird.

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