Cum-Ex-Steuerraub: Scholz' Gedächtnislücken angezeigt

Der Hamburger Anwalt Gerhard Strate zeigt in der Cum-Ex-Affaire Bundeskanzler Scholz und Hamburgs Bürgermeister Tschentscher an.

Kanzler Scholz und Hamburgs Bürgermeister Tschentscher umarmen sich

Eher milde im Umgang mit der Warburg-Bank: Kanzler Scholz und Hamburger Bürgermeister Tschentscher Foto: Daniel Reinhardt/ dpa

HAMBURG taz | Im Cum-Ex-Skandal um Steuererstattungen an die Hamburger Privatbank MM Warburg hat der prominente Strafverteidiger Gerhard Strate jetzt Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) angezeigt. Dieser habe sich vor dem Untersuchungsausschuss der Hamburger Bürgerschaft einer uneidlichen Falschaussage schuldig gemacht. Bürgermeister Peter Tschentscher (SPD) wirft er Beihilfe zur Steuerhinterziehung vor. Mit seiner Anzeige knüpft er an Ermittlungen der Hamburger Staatsanwaltschaft gegen Scholz an, die drei Wochen vor der Bundestagswahl eingestellt wurden – mit einer aus Sicht Strates unbefriedigenden und nicht mehr aktuellen Begründung.

Strates Vorwürfe beziehen sich auf die Jahre 2016 und 2017, in denen Tschentscher Finanzsenator und Scholz Erster Bürgermeister war. Damals beschloss die Hamburger Finanzverwaltung, Steuerrückforderungen an Warburg in Höhe von insgesamt 90 Millionen Euro verjähren zu lassen. 2017 zwang das Bundesfinanzministerium die Hamburger mit einer Weisung, sich das Geld zurückzuholen.

Bei der in Rede stehenden Summe ging es um Steuererstattungen aus Cum-Ex-Geschäften. Dabei wurden Aktien um den Dividendenstichtag herum mehrfach gehandelt, sodass am Ende kaum mehr nachzuverfolgen war, wer wann die Aktien eigentlich besaß, wer Kapitalertragssteuer bezahlt hatte und diese somit zurückfordern konnte. Die Geschäfte waren darauf angelegt, dass sich die Beteiligten einmal bezahlte Kapitalertragssteuer mehrfach erstatten lassen konnten.

Der Hamburger Fall ist besonders brisant, weil sich Bürgermeister Scholz im zeitlichen Zusammenhang mit der 2016 getroffenen Entscheidung des Hamburger Finanzamtes und der Finanzbehörde mehrfach mit Vertretern der Warburg-Bank traf und mit diesen auch telefonierte. In diesem Zeitraum revidierte das Hamburger Finanzamt seine ursprüngliche, ausführlich begründete Entscheidung, die Steuern zurückzufordern, mit einer dürren Stellungnahme. Ob Scholz und Tschentscher auf die Revision dieser Entscheidung Einfluss genommen haben, ist Gegenstand eines Parlamentarischen Untersuchungsausschusses der Hamburgischen Bürgerschaft.

Räuberische Natur der Cum-Ex-Geschäfte

Strate argumentiert, dass Scholz und Tschentscher die räuberische Natur von Cum-Ex-Geschäften bereits 2016 bewusst gewesen sein muss. Dafür spricht, dass die Hamburger Steuerverwaltung 2014 das erste Cum-Ex-Verfahren erfolgreich durchgefochten hatte. Strate führt eine Gesetzesänderung 2007 und zwei Urteile von Finanzgerichten an. Außerdem müssten Scholz und Tschentscher gewusst haben, dass die Kölner Staatsanwaltschaft schon Anfang 2016 gegen die Warburg-Bank wegen Cum-Ex-Geschäften ermittelte.

Uneidliche Falschaussage wirft Strate dem ehemaligen Bürgermeister Scholz vor, weil sich dieser vor dem Hamburger Untersuchungsausschuss zum Inhalt seiner Gespräche mit Warburg-Vertretern angeblich nicht erinnern konnte. 40 mal habe Scholz gesagt, er könne sich nicht erinnern, zählte Strate. „Diese Aussage ist falsch“, stellt der Anwalt fest, der betont, im eigenen Namen aufzutreten.

Auf das Gespräch im September 2016 mit den Gesellschaftern der Warburg-Bank sei Olaf Scholz durch ein anderthalbseitiges Papier aus der Wirtschaftsbehörde vorbereitet worden. Darin werde bereits in der ersten Zeile als „möglicher Ansprechpunkt“ die „Cum-Ex-Geschäfte“ genannt, die Anfang 2016 „auch in Verbindung mit der Privatbank M. M. Warburg gebracht wurden“. In dem Papier werde auch ein Bericht in der Süddeutschen Zeitung von Anfang 2016 erwähnt, demzufolge die Warburg-Bank in „kriminelle Aktiengeschäfte“ in Höhe von bis zu 150 Mio. Euro verwickelt sei.

„Aufgrund des Gewichts der gegen die Warburg-Bank erhobenen Vorwürfe hatten diese Gespräche einen sehr viel höheren Aufmerksamkeitswert als sonstige Gespräche, in denen Vertreter der Hamburger Stadtgesellschaft aus Politik, Wissenschaft, Kultur und Wirtschaft dem Bürgermeister ihre Anliegen vortragen“, schreibt Strate. Dass der Kanzler sich hier an nichts erinnern könne, sei „nicht ansatzweise glaubhaft“.

Beihilfe zur Steuerhinterziehung

Tschentscher wirft Strate Behilfe zur Steuerhinterziehung vor und zwar nicht, weil er unberechtigterweise auf die Entscheidungen des Finanzamtes Einfluss genommen habe, sondern weil er als Hamburger Senator gerade für die Entscheidungen seiner nachgeordneten Behörden verantwortlich sei. Tschentscher habe die Entscheidung, 2016 nichts zurückzufordern, billigend zur Kenntnis genommen und 2017 ausdrücklich gebilligt, dass sich die Chefin der Finanzverwaltung gegen die Weisung aus dem Bundesfinanzministerium wandte.

Tschentscher hatte aus Strates Sicht das nötige Wissen und zudem „die Befugnis und die Pflicht, einzuschreiten“. Wenn er sich darauf berufe, der Senat lasse die Finanzämter nach Recht und Gesetz ihre Arbeit machen und nehme keinen Einfluss auf deren Entscheidungen, offenbare sich das „letztlich als verfassungswidriger Versuch, sich dieser Pflicht zu entziehen und die staatsrechtlich übertragene Verantwortung durch wohlfeile Redensarten abzuschütteln“.

Tschentscher soll am 6. Mai vor dem Hamburger Untersuchungsausschuss aussagen.

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