Symbole in der Coronapandemie: Raubkopien in der Protestkultur

Es gibt ein weiteres Corona-Opfer zu beklagen, die Demonstrationskultur. Coronaprotestler eignen sich Symbole progressiver Bewegungen an.

Eine Deutschlandfahne bei einer Demonstration.

Wir sind das Volk: Nicht 1989 für die Freiheit, sondern 2021 gegen Coronamaßnahmen in Stuttgart Foto: M. Golejewski/AdoraPress

Es gibt ein weiteres Corona-Opfer zu beklagen, es ist die Demonstrationskultur. „Kultur“ sei hier als Menge der möglichen Ausdrucksformen verstanden, also die Motive, die Sprache, die Assoziationen, die Slogans und Plakate, so, wie wir sie von Straßenprotesten eben kennen. Diese Pandemie macht auch das noch kaputt – das jedenfalls dachte ich, als ich das Foto von einem Corona-Protestmarsch sah, auf dem ein Transparent quer über die Straße vorneweg getragen wurde, darauf ein FFP2-maskiertes Kindergesicht mit dem Satz „I can’t breathe“.

I can’t breathe, ich kann nicht atmen, das waren die letzten Worte von Eric Garner und einige Jahre später George Floyd, bevor beide Afroamerikaner in der Gewalt von US-Polizisten starben. Wozu aufregen über so ein Transparent, könnte man einwenden – wir haben auf den Anti-Impf-Protesten doch mit dem gelben Stern bereits das äußerste Maß an denkbaren Geschmacklosigkeiten gesehen?

Aber die Sache ist ja vertrackter. Der gelbe Stern lässt sich relativ routiniert verbuchen als antisemitische Volksverhetzung und Holocaust-Verharmlosung, und das wird entsprechend behandelt. Die Chiffre der neuen Antirassismusbewegung zu verwenden, ist dagegen auch deshalb so eine Provokation, weil ein neuer Zusammenhang hergestellt wird (Corona-Schutzmaßnahmen und Erwürgen durch Polizeikräfte), der einen zweiten Gedanken erzwingt.

Er ist natürlich bescheuert, dieser Gedanke – aha, sie finden, ein Kind mit Maske zur Schule zu schicken, ist das Gleiche, wie wenn US-Polizisten Schwarzen die Luft abschnüren. Aber er mündet wie gewünscht in die Vorstellung eines Kindes, das durch staatliche Maßnahmen misshandelt und ermordet wird, und genau das ist schon ein Problem: Das Transparent wird kulturell wirksam, indem es tut, was Kultur eben vermag, nämlich das scheinbar Unverbundene überraschend zusammenzubringen.

Auch die miefigste Parodie kann das Original lächerlich machen

Es ist nun nicht das erste Mal, dass ein Ausdruck von Protest durch Raubkopie entwertet wird. Im Osten stellen sich die ImpfgegnerInnen nun schon länger in die (kurze) Tradition friedlicher deutscher Systemumstürze. Die Berufung auf den Geist von 1989 ist im aktuellen Zusammenhang zwar verquast, trägt aber erkennbar erfolgreich zur Selbstvergewisserung bei.

Immerhin parodiert sich der Osten hier noch selbst und nicht das Leid anderer Leute (wobei dahinsteht, wie viele der ImpfkritikerInnen von heute vor 33 Jahren den Mut zur Demonstration hatten oder gehabt hätten). Aber auch die miefigste Parodie eignet sich halt, das Original lächerlich zu machen. Es kann sich nur um Tage handeln, bis sich irgendwo fünf MaskengegnerInnen auf eine Autobahnauffahrt setzen und sagen, sie seien die letzte Generation, die noch verhindern kann, dass Bill Gates uns alle mit mRNA umbringt.

Den neuen sozialen Bewegungen sitzt mit ihrer Protestkultur immer schon ihr eigenes Klischee im Nacken (erinnert sich noch jemand an die Clowns auf dem G8-Gipfel in Heiligendamm?). Ende März ist der nächste Klima­streik. Vielleicht fallen den Fridays ja noch Aktionsformen ein, die bis dahin nicht von ImpfgegnerInnen verwurstet worden sind. Aber wie anstrengend ist es, sich um kreativen Protest zu bemühen, wenn am nächsten Tag jemand mit der gleichen Idee für Verschwörungs­theorien wirbt.

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Chefredakteurin der taz seit Sommer 2020 - zusammen mit Barbara Junge in einer Doppelspitze. Von 2014 bis 2020 beim Deutschlandfunk in Köln als Politikredakteurin in der Abteilung "Hintergrund". Davor von 1999 bis 2014 in der taz als Chefin vom Dienst, Sozialredakteurin, Parlamentskorrespondentin, Inlandsressortleiterin. Zwischendurch (2010/2011) auch ein Jahr Politikchefin bei der Wochenzeitung „der Freitag“.

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