Ukraine-Reise des Kanzlers: Um Glanz bemüht

Bei seinem Besuch in Kiew kann Kanzler Scholz der Ukraine nicht viel anbieten. Dennoch üben sich er und sein Gastgeber in Harmonie.

Scholz und Selensky vor ukrainischen und deutschen Flaggen

Scholz verspricht Selenski (rechts): „Wir stehen ganz eng an Ihrer Seite“ Foto: Valentyn Ogirenko/reuters

KIEW taz | Ein sonniger, klarer Wintertag in Kiew, auf dem Rasen vor dem Marianski-Palast der Residenz des ukrainischen Präsidenten pickt eine weiße Taube. Die ukrainische Hauptstadt bietet ein Bild des Friedens. Statt Säbeln rasseln höchstens die Bajonette der ukrainischen Nationalgarde, die Olaf Scholz um kurz vor 12 Uhr ukrainischer Ortszeit auf dem Kiewer Boryspil-Flughafen empfängt. Doch der friedliche Schein trügt. Auf dem Besuch des Besuch des deutschen Bundeskanzlers, der eigentlich mal als freundlicher Antrittsbesuch geplant war, lasten zentnerschwere Erwartungen.

Russland zieht seit Wochen Truppen und Waffen an der Grenze zur Ukraine zusammen, hat Landungsschiffe ins Schwarze Meer verlegt und hält mit dem befreundeten belarussischen Diktator Lukaschenko gemeinsame Manöver ab. Die USA haben nun Hinweise ihrer Geheimdienste veröffentlicht, dass der Angriff unmittelbar bevorsteht. Schon am Mittwoch soll es soweit sein.

Nachprüfen lässt sich das nicht. Russland dementierte – Präsident Wladimir Putin sprach von „provokativen Spekualationen“. Doch 35 Staaten, darunter Deutschland, forderten ihre Bürger schon mal zur Ausreise auf. Dienstag wird Scholz nach Moskau reisen und zum ersten Mal als Bundeskanzler mit Präsident Putin sprechen. Wird Putin einlenken oder wird Scholz der letzte sein, der es versucht hat, bevor es zum Krieg kommt? Welche Unterstützung kann er der Ukraine anbieten, die Deutschland bedrängt, sie endlich auch Waffen mit Waffen zu versorgen?

Zweieinhalb Stunden sitzen der ukrainische Präsident Wolodimir Selenski und Olaf Scholz zusammen. Deutlich länger als geplant. Anschließend treten sie unter opulenten Kronleuchtern vor die ukrainischen und deutschen Medienvertreter:innen. Die Ergebnisse des Austauschs sind nicht ganz so üppig, aber beide bemühten sich, sie mit etwas Glanz zu versehen.

Bonbon im Gepäck

Der ukrainische Präsident wiederholt die Forderungen der Ukraine nach Waffenlieferungen, dringt aber zugleich auf wachsende Wirtschaftshilfen. Gleichzeitig nimmt er seinen deutschen Gast gegen die zunehmenden Anwürfe aus dem eigenen Land in Schutz: Es sei schon ein Zeichen der Solidarität, dass Scholz da sei.

Auch die Aufforderung des Auswärtigen Amtes, deutsche Bürger sollten die Ukrai­ne möglichst verlassen, wischt er beiseite. Die deutsche Botschafterin sei ja da, darüber freue er sich. Wahrlich hat Selenski ganz andere Sorgen als die Deutschen: Ukrainische Un­ter­neh­me­r:in­nen verlassen das Land in Scharen, die Panik, vor der der Präsident immer gewarnt hatte, scheint nun doch um sich zu greifen. Scholz nickt seinem Gastgeber aufmunternd zu: „Wir stehen ganz eng an Ihrer Seite.“ Deutschland sei der ­kräftigste Geldgeber der Ukrai­ne und werde das auch bleiben.

Ein kleines Bonbon hat er auch mitgebracht: die beschleunigte Auszahlung von 150 Millionen Euro aus einem bereits gewährten Kredit sowie einen neuen Kredit über 150 Millionen Euro.

Doch in der Tat ist Deutschland neben den USA der größte Finanzhelfer, seit 2014 flossen 1,83 Milliarden Euro von Deutschland in die Ukraine. Dazu kommen ungebundene Kredite in Höhe von 500 Millionen Euro und 1,5 Millionen Impfdosen für die 41 Millionen Ukrainer.

Deutschen Waffenlieferungen erteilte Scholz routiniert eine Absage mit Verweis auf die Rüstungsexportrichtlinien, die da besagen: Keine Waffen in Krisengebiete. Doch er bestätigte, was man schon früher hörte: Deutschland prüfe die Lieferung von Rüstungsgütern, die Prüfung sei noch nicht abgeschlossen. Auf der Wunschliste der Ukrainer stehen auch Nachtsichtgeräte, aus Regierungskreisen hieß es dazu allerdings im Vorfeld der Reise schon, die lägen bei der Bundeswehr auch nicht herum.

Was nimmt Scholz also mit, wenn er am Dienstag nach Moskau und zu Wladimir Putin reist? Die Bereitschaft, im Falle eines russischen Angriffs schnell und entschlossen zu ­reagieren. Man erarbeite derzeit in der EU ein Sanktionspaket. Das Versprechen, die Ukraine auf ihrem europäischem Weg zu unterstützen. Und die Zusicherung Selenskis, er werde für weitere Gespräche im Minsker Format zur Verfügung stehen.

Die Minsker Abkommen und insbesondere das zweite davon harren seit 2015 einer Umsetzung. Weder wurden die schweren Waffen aus den Separatistenregionen Donezk und Lugansk abgezogen noch Wahlen abgehalten und der Autonomiestatus verkündet.

Russland und die Ukraine haben es zwar beide unterzeichnet, beschuldigen sich aber seit Jahren gegenseitig, ihre Verpflichtungen nicht einzuhalten. Tatsächlich haben die von Russland ausgerüsteten Separatisten die Regionen Lugansk und Donezk fest im Griff, die Ukrai­ne hat die Zahlung von Renten und Gehältern eingestellt. Das Interesse der Ukraine an dem Abkommen ist mittlerweile arg geschrumpft.

Keine Alternative zu Minsker Abkommen

Weder will man Wahlen in den Separatistengebieten, noch will man dauerhaft zwei prorussische Gebiete mit Sonderrechten auf dem eigenen Territorium.

Die deutsche Regierung aber hält das Abkommen nach wie vor für eine gute Grundlage, ja: die Grundlage allen Handelns. Haben es doch beide Seiten unterschrieben. Und eine Alternative gibt es nicht.

Bevor er am späten Nachmittag wieder zum Flughafen düste, gedachte Scholz der Opfer des Maidan. Vor fast genau acht Jahren wurden bei den Protesten auf dem Maidan-Platz über 100 Menschen von Scharfschützen getötet.

Die heutige Krise zwischen den ehemaligen Brudervölkern nahm damals ihren Anfang, als die ukrainische Regierung auf Druck Russlands das Assoziierungsabkommen mit der EU kündigte. Und sie ist bis heute ungelöst.

Am Mahnmal hatten seit dem Vormittag 20 DemonstrantInnen auf den Besuch von Bundeskanzler Scholz gewartet. Sie forderten die Einfrierung der Konten russischer Oligarchen in Deutschland. Neben Bildern von Putin und russischer Oligarchen, wie Oleg Deripaska, Roman Abramowitsch und Alischer Usmanow, fanden sich auch Plakate von deutschen Geschäftsleuten, die eng mit Russland zusammenarbeiten, wie Hartmut Mehdorn und der ehemalige Bundeskanzler Gerhard Schröder.

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