Macron-Besuch in Moskau und Kiew: Minsk heißt das Zauberwort

Beim Besuch in der Ukraine drängt Frankreichs Präsident auf die Umsetzung der Minsker Vereinbarungen. Kiew spricht von roten Linien.

Emmanuel Macron mit dem ukrainischen Präsidenten Selenski

Von Moskau nach Kiew: Emmanuel Macron mit dem ukrainischen Präsidenten Selenski am Dienstag Foto: Efrem Lukatsky/ap

KIEW/MOSKAU taz | Es war der erste Besuch eines französischen Präsidenten in Kiew seit 24 Jahren. Am Dienstagmorgen traf Frankreichs Präsident Emmanuel Macron in Kiew ein. Ihm wird zu Wolodimir Selenski wird ein gutes Verhältnis nachgesagt, hatte doch Macron im April 2019 Präsidentschaftskandidat Selenski gleichzeitig mit dem damals amtierenden Staatschef Petro Poroschenko nach Paris eingeladen.

Bei einer gemeinsamen Pressekonferenz dankte Präsident Selenski Frankreich für die Unterstützung und verkündete, dass Frankreich weitere Makrofinanzhilfen in Höhe von 1,2 Milliarden Euro für die Ukraine zugesichert habe. Die Ukraine und Frankreich, so Selenski, hätten die Lieferung von 130 Lokomotiven des französischen Unternehmens Alstom im Wert von 900 Millionen Euro vereinbart. Macron lobte in seiner Rede die Ruhe, die die Ukrai­ne­r:in­nen trotz der großen Konzen­tration russischer Truppen an ihren Grenzen bewahrten.

„In den kommenden Tagen und Monaten müssen wir gemeinsam alles Notwendige tun, damit wir Garantien vorlegen können und als Ergebnis eine deutliche Deeskalation und eine deutliche Stärkung der Sicherheit mit den neuen Sicherheitsmechanismen erhalten“, erklärte Macron. Gleichzeitig betonte er die Wichtigkeit einer Umsetzung der Minsker Vereinbarungen. Präsident Selenski, so Macron, habe ihm zugesichert, dass die Ukraine die Vereinbarungen umsetzen werde.

Natürlich warte man mit Interesse auf die Signale, die Herr Macron aus Moskau mitgebracht habe, hatte Außenminister Dmitro Kuleba im Vorfeld verlauten lassen. Die Ukraine, so Kuleba, sei offen für einen Dialog. „Aber wir werden unsere ‚roten Linien‘ nicht überschreiten und niemand kann uns zwingen, sie zu überschreiten“, sagte Kuleba auf einer Pressekonferenz mit den Außenministern Österreichs, Tschechiens und der Slowakei am Dienstag morgen in Kiew.

Kein Konsens

In der Ukraine gibt es keinen Konsens zu dem in den Minsker Vereinbarungen vorgesehenen Sonderstatuts für den Donbass. Auf dem Portal von NV formuliert Anatolij Amelin vom Ukrainischen Zukunftsinstitut die Kritikpunkte an einem derartigen Sonderstatus. Dies würde bedeuten, dass dort Wahlen unter Aufsicht der Separatisten abgehalten würden, alle die, die für die „Volksrepubliken“ von Donezk und Lugansk gearbeitet hatten, mit Straffreiheit rechnen können sowie die Ukraine die Existenz von Milizen der „Volksrepubliken“ auf ihrem Territorium zulassen müsste.

Und auf dem Portal gordonua.com fürchtet Jurij Romanenko, Chefredakteur des Portals Chwilja, dass der Westen und Russland gemeinsam die Ukraine zu einem neutralen Kurs und einer Umsetzung aller Punkte der Minsker Vereinbarungen zwingen könnten.

Am Tag zuvor hatte Macron am großen Konferenztisch im Moskauer Kreml gegenüber seinem russischen Amtskollegen Wladimir Putin Platz genommen. Sie duzten sich kurz auf englisch und führten dann ein Vier-Augen-Gespräch. Mehr als fünf Stunden lang. Das Ergebnis: bescheiden. Doch allein, dass die beiden miteinander sprachen, werteten Russland wie Frankreich als Erfolg.

Als sie um kurz nach Mitternacht Moskauer Zeit vor die Presse traten, setzte Putin sogleich zu allseits bekannte Klagen an. Dass die Nato nicht dazu verpflichtet sei, jemanden aufzunehmen, aber die Länder in Russlands Nähe geradezu zu einem Beitritt auffordere. Dass der Westen die Ukraine mit Waffen „vollstopfe“ und eine gefährliche Situation erzeuge, dass die Ukraine die Minsker Vereinbarungen nicht erfülle, die sie selbst unterzeichnet habe.

Satz voller Gewalt

„Ob es dir gefällt oder nicht, halte es aus, meine Schöne“, sagte Putin in Richtung Kiew. „Die Vereinbarungen müssen erfüllt werden.“ Offenbar wollte der russische Präsident mit diesem Spruch seinen Hang zu Zitaten ausleben, Kreml-Sprecher Dmitri Peskow bemühte sich wenige Stunden danach, diesen „Satz aus der Folklore“ zu erklären. Er sei eben schwer ins Französische zu übersetzen.

Der Satz steckt voller Gewalt. Und selbst wenn russische Kom­men­ta­to­r*in­nen in den sozialen Netzwerken den Spruch als alltäglich verharmlosten und damit begründeten, dass ihn auch Kinder gesagt bekämen, die kein Brokkoli essen wollten, erklärt er doch in aller Kürze die russische Haltung: Eine Wahl gibt es nicht, man muss einfach alles aushalten.

Was für Moskau selbst nicht länger zu ertragen ist, wiederholte Putin mehrmals vor den Kameras: die „Ignoranz des Westens“ vor den „zentralen Anliegen in unseren Forderungen nach Sicherheitsgarantien“.

Darunter versteht Moskau den Verzicht auf die weitere Osterweiterung der Nato, die Begrenzung der Stationierung von Raketen und den Rückzug der Nato-Truppen auf ihre Positionen wie im Jahr 1997. In den russischen Dokumenten sehe er keinen Punkt, der nicht zu erfüllen sei, meinte Putin in der Nacht.

Wohlwollende Kommentare

In den russischen Fernsehsendungen wurde das Treffen wohlwollend kommentiert. Eigentlich sei Macrons „Mission“ nicht sonderlich gefragt, denn Russland bedrohe ja niemanden, meinte der Kommentator im staatlichen Ersten Kanal am Tag nach dem Treffen. Aber ein „konstruktiver Dialog“ sei dennoch gut.

Auch Putin bezeichnete die Gespräche als „sinnvoll und nützlich“. Macron sprach von „fundamentalen Unstimmigkeiten, aber auch einigen Übereinstimmungen“. Das Treffen lobten beide, Zugeständnisse machten sie nicht.

Wenn Kiew in der Nato sei, so Putin, müsste Russland Krieg mit der Nato führen, weil die Ukraine festgeschrieben habe, die Halbinsel auch militärisch zurückgewinnen zu wollen. „Die Krim ist russisches Territorium, diese Frage ist für uns abgeschlossen“, sagte Putin und fixierte mit scharfem Blick die französischen Jour­na­lis­t*in­nen: „Wollen Sie mit Russland kämpfen?“

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