Impfpflicht im Bundestag: „Vor die Welle kommen“

Fünf Vorschläge haben Abgeordnete und Fraktionen zur Impfpflicht vorgelegt. Ob einer davon eine Mehrheit bekommt, ist unklar.

Spritze drin dank Impf-Drive-In Foto: Christophe Gateau/dpa

BERLIN taz | Pünktlich kommt die allgemeine Impfpflicht schon mal nicht. Im Herbst hatte Olaf Scholz, damals noch nicht ganz Bundeskanzler, ihr Inkrafttreten bis Anfang März angekündigt. Als sich erste Probleme abzeichneten, interpretierte die SPD die Zielmarke mal eben um – in einen Bundestagsbeschluss bis Ende März.

Daraus wird jetzt wohl auch nichts: Erst seit Mittwoch liegt der letzte von fünf Vorschlägen zur Impfpflicht vor, später als gedacht. Das Parlament kann die Entwürfe erst in der nächsten Sitzungswoche Mitte März erstmals diskutieren. Weil danach genügend Zeit für Ausschussberatungen bleiben soll, fällt vor Anfang April wohl keine Entscheidung.

Vor allem aber: Ob einer der Vorschläge eine Mehrheit bekommt, ist offen. Zur Erinnerung: Weil sich die Ampel nicht auf eine Regelung einigen konnte, überließ es die Regierung dem Parlament, frei vom Fraktionszwang eine Lösung zu finden. AfD und Union haben trotzdem als Fraktionen Anträge vorgelegt.

Die radikal Rechten wenden sich gegen jede Form der Impfpflicht, die Konservativen fordern eine Pflicht auf Vorrat: Sie würde zunächst nur auf dem Papier existieren und erst scharfgestellt, falls der Bundestag in einer kritischen Pandemielage einen entsprechenden zweiten Beschluss fällt. Eigentlich befürworten CDU und CSU eine Impfpflicht, Bedenken haben sie aber, weil diese gegen die Omikronwelle nichts mehr nütze und unklar sei, wie sich die Pandemie weiter entwickele. Dazu kommen verfassungsrechtliche Einwände.

Impfpflicht kann noch Mehrheit bekommen

Die Unterstützung von Ampel-Abgeordneten und einigen Linken verteilt sich dagegen auf drei interfraktionelle Anträge: Eine Gruppe um Wolfgang Kubicki (FDP) fordert, weiter fürs Impfen zu werben, aber es nicht zur Pflicht zu machen. Zwei weitere Gruppen haben als einzige schon fertige Gesetzentwürfe statt reiner Anträge eingebracht: einer, am Mittwoch präsentiert, für eine mögliche Impfpflicht ab 50 Jahren im Herbst. Und einer, noch weitgehender, für eine Pflicht ab 18 schon vorher.

Auf den ersten Blick können diese Entwürfe etwas aus der Zeit gefallen erscheinen: Erst in dieser Woche haben Bund und Länder beschlossen, die Infektionsschutzmaßnahmen bis zum Frühlingsbeginn runterzufahren. Was soll da noch eine Impfpflicht? Die Un­ter­stüt­ze­r*in­nen verweisen allerdings auf den nächsten Herbst: Mit ihren Regelungen wollen sie dem Risiko begegnen, dass dann eine neue, gefährlichere Virusvariante zirkulieren könnte. „Unser Ziel ist, endlich mal vor die Welle zu kommen“, sagt Andrew Ullmann (FDP), Initiator des Entwurfs für die Impfpflicht 50+.

Auch wenn sich die Be­für­wor­te­r*in­nen derzeit hinter unterschiedlichen Modellen versammeln: Dass eine Impfpflicht, in welcher Ausgestaltung auch immer, eine Mehrheit bekommt, ist noch möglich. Noch vor der Abstimmung könnte es zu Kompromissen kommen, sodass verschiedene Entwürfe zusammengelegt werden. Denkbar ist auch, dass im April zunächst über den Entwurf der Gruppe 18+ abgestimmt wird. Fällt er durch, würden dessen An­hän­ge­r*in­nen wohl der Pflicht für Ältere zustimmen – wäre ja besser als nichts.

Eine Mehrheit wäre aber auch in diesem Fall nicht garantiert. Schon gar keine breite, die bei einem so sensiblen Thema wie der Impfpflicht eigentlich geboten wäre. In den Ampel-Fraktionen hofft man daher auf Kompromissbereitschaft bei CDU und CSU. „Wir suchen jetzt mit allen die Gespräche und sprechen auch die Union an. Ich schließe nicht aus, dass am Ende eine zusammengeführte Fassung verschiedener Modelle zur Abstimmung steht“, sagt Till Steffen (Grüne), der die Pflicht für alle Volljährigen befürwortet.

Die Union allerdings will der Koalition, der vor allem wegen der FDP eine eigene Mehrheit zur Einführung der Impfpflicht fehlt, nicht aus der Patsche helfen. Schließlich ist man nun in der Opposition und will sich gegen die Regierung profilieren. „Wir sind nicht die Reservebank der Regierung“, sagte denn auch Thorsten Frei, der Parlamentarische Geschäftsführer der Unionsfraktion. Er schließe aus, dass sich die Unionsabgeordneten einem der Gruppenanträge anschließen. Wenn keiner davon eine Mehrheit bekomme, sei man aber bereit, über Kompromisse zu sprechen. Im Klartext heißt das: Zunächst einmal soll sich aber die Ampel für alle sichtbar eine blutige Nase holen.

So sehen die fünf Anträge und Entwürfe im Details aus:
1. Impfpflicht ab 18

Alle Volljährigen müssen sich bis zum Herbst dreimal impfen lassen, das fordert ein Gruppenantrag, den Abgeordnete von SPD, Grünen und FDP vorgelegt haben. Es ist der weitestgehende Vorschlag. Ziel ist eine Grundim­munisierung der Bevölkerung, bevor die nächste Coronavirusmutation eine erneute Infektionswelle auslöst. Mittels Impfschutz soll verhindert werden, dass Menschen massenhaft schwer erkranken und im Krankenhaus und auf Intensivstationen behandelt werden müssen.

Damit, so die Hoffnung der Antragsteller*innen, erübrigen sich auch erneute Lockdowns im kommen-den Winter. Zuständig für die Kontrolle der Impfnachweise sollen die Krankenkassen sein. Diese sollen bis Mitte Mai alle 73 Millionen Versicherten anschreiben und über Impfangebote informieren, Beratungen anbieten und auf die Impfpflicht verweisen. Wer bis zum 1. Oktober keinen Impfnachweis vorgelegt hat, soll dann mit einem Bußgeld bis zu 2.500 Euro rechnen müssen. (Anna Lehmann)

2. Impfpflicht ab 50

Eine weitere Gruppe von Abgeordneten aus SPD, Grünen und FDP hat einen Gesetzesentwurf vorgelegt, der eine Impfpflicht für alle Personen ab 50 Jahren vorsieht – und auch das nur unter Vorbehalt. Zunächst soll die Impfkampagne noch einmal ausgeweitet werden. Alle erwachsenen Personen in Deutschland sollen durch ihre Krankenkassen kontaktiert und über Beratungs- und Impfmöglichkeit informiert werden.

Bis zum 15. September müssten dann alle Erwachsenen nachweisen, dass sie geimpft beziehungsweise genesen sind oder eine ärztliche Beratung in Anspruch genommen haben. Damit die Impfpflicht für alle über 50 in Kraft tritt, wäre dann im zweiten Schritt ein neuer Bundestagsbeschluss nötig. Bedingung wäre, dass es „die Infektionslage und der Stand der Impfkampagne nach den zum betreffenden Zeitpunkt vorliegenden wissenschaftlichen Erkenntnissen erfordern“. Auch diese Regelung soll bis 31. Dezember 2023 befristet werden. (Tobias Schulze)

3. Impfpflicht auf Vorrat

CDU und CSU im Bundestag haben sich dazu entschieden, einen eigenen Fraktionsvorschlag einzubringen. Sie wollen ein sogenanntes Impfvorsor­gegesetz. Das soll jetzt zwar vorbereitet und verabschiedet werden, muss aber bei Bedarf – also wenn sich die Pandemielage möglicherweise im Herbst wieder verschärft – noch vom Bundestag „scharf geschaltet“ werden, wie es Unionsfraktionsvize Sepp Müller nennt.

Das Verfahren ist an den Mechanismus zur Feststellung der epidemischen Lage von nationaler Tragweite angelehnt. Wenn bestimmte Voraussetzungen vorliegen, soll eine bestimmte Stufe eines etwa nach Alter oder Tätigkeiten gestaffelten Impfme­chanismus in Gang gesetzt werden. Die Voraussetzungen hat die Union konkret noch nicht benannt. Eine allgemeine Impfpflicht zum derzeitigen Zeitpunkt hält die Union für rechtlich nicht durchsetzbar. Zwingend notwendig aber sei die Einführung eines Impfregisters. (Sabine am Orde)

4. Keine Impfplicht, aber …

Gegen eine allgemeine Impfpflicht wendet sich ein Antrag aus den Reihen der FDP, der unter anderem von Bundestagsvizepräsident Wolfgang Kubicki initiiert wurde. Dessen Unterstützer*innen, darunter auch Linken-Abgeordnete wie Gregor Gysi und Sahra Wagenknecht, halten eine solche Impfpflicht für einen unver­hältnismäßigen Eingriff in Persönlichkeitsrechte.Sie sprechen sich zugleich aber für neue Anstrengungen aus, um mehr Menschen mit Impfangeboten zu erreichen.

So fordert die Gruppe unter anderem, „niedrigschwellige Beratungsangebote in der Fläche zu schaffen“, etwa für Menschen ohne Hausarzt. Der Antrag enthält einen Dank an Wissenschaftler*innen, die Impfungen ermöglicht haben. Er erkennt den Nutzen der Impfstoffe an und dankt allen Bürger*innen, die sich bereits haben impfen lassen. Und er enthält den Appell, dass sich „weiter möglichst viele Menschen“ durch eine Impfung schützen. (Tobias Schulze)

5. Keine Impfpflicht

Wie die Union bringt auch die AfD einen Fraktionsantrag ein. Sie wendet sich darin nicht nur gegen eine Ausweitung der Impfpflicht, sondern plädiert auch dafür, die einrichtungsbezogene Impfpflicht aufzuheben. Eine Impfpflicht stellt nach Auffassung der extrem Rechten „einen Eingriff in das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit aus Artikel 2 des Grundgesetzes“ dar.

Die AfD fordert in ihrem Antrag die Regierung auf, eine Verordnung zu erlassen oder ein Gesetz vorzubereiten, das „eine direkte sowie eine indirekte Pflicht“ explizit als unzulässig erklärt. In der Begründung verweist die AfD unter anderem darauf, dass bei Corona-Impfstoffen die „Daten zur Nutzen-Risiko-Bilanz noch nicht vollständig“ seien. Als Beispiel führt sie an, dass bei männlichen Jugendlichen zwischen 12 und 15 Jahren das Risiko einer Herzmuskelentzündung erhöht sei. Für diese spezifische Gruppe fordert im Bundestag aber auch niemand eine Impfpflicht. (Tobias Schulze)

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