Prozess in Göttingen nach Femizid: Die Entmenschlichung von Besma A.

In Göttingen steht ein Mann vor Gericht, der seine Frau erschossen hat. Das Landgericht will klären, ob es Versehen oder eine vorsätzliche Tat war.

Blumen und Flyer liegen auf dem Asphalt. "#keinemehr"

Vor dem Gericht erinnern Ak­ti­vis­t*in­nen an den Femizid Foto: Initiative Prozessbeobachtung Besma A.

GÖTTINGEN taz | Es ist der 14. April 2020 im niedersächsischen Einbeck. Besma A., Mutter von drei Kindern, schläft auf dem Sofa. Gegen Mitternacht tötet sie ein Kopfschuss. Der Täter ist Cemal A., ihr Ehemann. Seine Version des Abends besagt, dass sich der Schuss versehentlich, beim Reinigen der illegal erworbenen Waffe, gelöst haben soll. Er war in der Nacht sehr betrunken. Die Anklage geht von Mord aus.

Cemal A. rief selbst den Notruf. Verhaftet wurde er nicht, auch weitere Ermittlungen blieben zunächst aus. Erst nachdem Frauenorganisationen in einem offenen Brief gefordert hatten, die Tat als Femizid zu benennen, wurde die Staatsanwaltschaft aktiv. Einige Monate später, im September, kam es zur Verhaftung. Im Januar letzten Jahres startete schließlich der Prozess vor dem Landgericht Göttingen.

Am Montag stand der 30. Verhandlungstag an. Angehörige von Cemal A. und auch von Besma A., die teilweise aus den Niederlanden angereist sind, waren vor Ort. Der Richter wollte die Beweisaufnahme eigentlich beenden, der Nebenklage-Anwalt Manfred Koch rechnete daher mit einem baldigen Ende des Prozesses und mobilisierte im Vorfeld die Angehörigen.

Vor Ort entstand eine Diskussion über die begrenzten Plätze auf der Besucher*innentribüne: Wie viele Angehörige des Angeklagten dürfen dem Prozess beiwohnen? Wie viele Angehörige der Getöteten? Als Justizbeamte Cemal A. in den Saal führten, grüßte dieser die Verwandtschaft mit einem kurzen, reservierten Heben der Hand. Über diese beinahe unbemerkte Geste hinaus zeigte sich der Angeklagte zu keiner Zeit emotional betroffen.

Patriarchale Strukturen auch im Gericht

Die feministische „Initiative Prozessbeobachtung Besma A.“ begleitet den Prozess seit Mai. Mit Mahnwachen und weiteren Aktionen will sie auf den Fall aufmerksam machen. Es brauche eine juristische Sensibilisierung für die Gewalt an Frauen als gesellschaftliches Problem, lautet ihre Forderung.

Patriarchale Strukturen würden auch im Gericht sichtbar: Sprachnachrichten und Fotos von Besma A. hätten darauf hingedeutet, dass ihr Mann schon lange gewalttätig war, erzählte eine Aktivistin. Ein Foto zeigt Besma Gesicht nach Gewalteinwirkung. Die beiden Anwält*in­nen des Angeklagten wiesen dieses Indiz einer gewaltvollen Beziehung jedoch mit dem Argument zurück, es könne sich um Herpes handeln.

An anderer Stelle zweifelten sie daran, ob es Besmas Stimme sei, die in Sprachnachrichten zu hören ist, die an Familienangehörige gingen. Die Prozessbeobachterin sagt: „Besma ist soweit entmenschlicht worden, dass selbst ihre Stimme in Frage gestellt wird.“

Eine Nachbarin des Ehepaares beschrieb die 27-Jährige als gut angezogen und liebevoll im Umgang mit den Kindern. Eine Aussage, die als Beleg für eine gute Ehe gelten und gegen ein Mordmotiv sprechen soll, heißt es in einem weiteren offenen Brief der Initiative.

Anders als erwartet beantragte die Verteidigung am Montag die Sichtung privater Foto- und Videoaufnahmen von Besma A. Das Material solle beweisen, dass sie eine „moderne“ und „gut gekleidete“ – und nicht, wie die Nebenklage es suggeriere – eine „entrechtete Frau“ gewesen sei.

Unklar bleibt, warum die Aufnahmen gezeigt werden

Tatsächlich zeigen die Aufnahmen die Frau aus Şengal im Irak mit ihren Kindern, auf Feiern, gemeinsam mit Familienangehörigen, lächelnd. In einem Video scheint die Stimmung ausgelassen zu sein; Erwachsene und Kinder sitzen auf dem Boden im Wohnzimmer, auf dem Tisch stehen Getränke, im Hintergrund läuft der Fernseher. Der emotionale Wert der Aufnahme zeigen die Reaktionen der Hinterbliebenen wie Kopfschütteln oder Tränen trocknen.

Je länger das Video läuft, desto unklarer erscheint der Zusammenhang des Materials mit der Frage, ob Cemal A. seine Frau vorsätzlich oder versehentlich getötet hat. Die Beobachtungsgruppe kritisiert die mangelnde Sensibilität im Umgang mit Besmas Angehörigen. Sie will sich mit der Familie solidarisieren, die retraumatisierenden Inhalten ausgesetzt sei – wie etwa Fotos der Leiche.

Wann der Prozess enden soll, ist unklar. Die Verteidigung stellte am Montag einen neuen Beweisantrag. Der bereits vernommene ärztliche Sachverständige konnte keine klare Aussage über den Einfluss des Alkohols zum Tatzeitpunkt treffen, weswegen sie ein weiteres Gutachten will. Die Beweisführung der Verteidigung zielt darauf ab, den 49-jährigen Schützen als schuldunfähig darzustellen.

Der kaum wahrnehmbare Staatsanwalt bezog dazu keine Stellung. „Dieser Antrag führt völlig in die Irre“, sagte der Nebenkläger-Vertreter Koch. Es handele sich um eine „weitere Inszenierungsstrategie“.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.