Neue und alte Vorbilder

Prominente wie Harry Styles, Timothée Chalamet oder Lil Nas X prägen heute das Bild von Männlichkeit mit. Mit ihren Outfits brechen sie klassische Rollenvorstellungen auf. Ungleichheiten zwischen den Geschlechtern lassen sich dadurch aber nicht abschaffen

Ohne den Kampf der Aktivistin Marsha P. Johnson gäbe es viele Freiheiten heute nicht Foto: Everett Collection/action press

Von Fikri Anıl Altıntaş

Der aktuelle James Bond scheint irgendwie aus der Zeit gefallen. Er ist ein wenig melancholischer und emotionaler geworden, aber noch immer besiegen sein muskulöser Körper und seine Liebe für Ihre Majestät letztlich das Böse auf der Welt. Als ich früher die Filme schaute, wollte ich genau so sein: in einer Welt, die nur Unsicherheit kannte, der Fels in der Brandung. Ein echter Mann eben. Das ist heute zum Glück anders. Heute haben wir neue Vorbilder. „Hybride Männlichkeit“ heißt der neueste Trend laut Berliner Morgenpost, bestens verkörpert von prominenten cis Männern wie Sänger Harry Styles oder Schauspieler Timothée Chalamet.

Sie sind nicht die Einzigen. Das Zukunftsinstitut, das seit 1998 Trend- und Zukunftsforschung in Deutschland betreibt, spricht von einer „Evolution von Männlichkeit“, weil Jungs und junge Männer mittlerweile vor allem „nett zueinander“ seien. Durch „Typen in Röcken“, wie besagtem Harry Styles, breche sogar eine neue Ära der Geschlechterverhältnisse an.

Zugegeben, es hat sich einiges verändert. Dass vermehrt über Männlichkeit und ihre negativen Auswirkungen auf Gesellschaft und Männer selbst gesprochen wird, ist wichtig. #MeToo und auch schon #Aufschrei haben das Problem sexualisierter Gewalt offengelegt. Die Fälle um Luke Mockridge, Julian Reichelt oder auch Klaus Dörr sind nur einige. Der Schutz vor Gewalt gegenüber Frauen ist gesetzlich gestärkt, das Sexualstraftrecht wurde verschärft, reproduktive Selbstbestimmung steht endlich auf der Tagesordnung. Der neue Koalitionsvertrag geht Gleichstellung ambitionierter an als alle Regierungen vor ihr.

Und wie wir Männlichkeit leben, hat einen Einfluss darauf.

Durch „hybride“ Männlichkeit verlieren Männer nicht automatisch Privilegien

Paul Scheibelhofer, Professor für Kritische Geschlechterforschung an der Universität Innsbruck, sieht einen Wandel in der Männlichkeit, gerade in der jüngeren Generation. „Heutzutage gibt es Jugendkulturen, die eben nicht klassisches Einarbeiten in hegemoniale, normative Männlichkeit durchleben wollen. In dem sie sich anders in Bezug auf Sexualität positionieren, anders in Bezug auf Dominanzpraktiken. Ich sehe da eine Hoffnung, dass Männlichkeit sich positiv verändert.“

Schauspieler und Sänger ändern ihre Männlichkeit und leisten so einen positiven Beitrag zur Ungleichheit: Ich wünschte, so einfach wäre es.

Wo Veränderung passiert, ist der Widerstand nicht weit. Ein Beispiel: Friedrich Merz, neuer CDU-Chef. 2020 sprach er noch davon, dass es mittlerweile sogar Diskriminierung gegen Männer gebe, nur weil Frauen paritätische Wahllisten fordern. Oder Hubert Aiwanger, Freie-Wähler-Chef in Bayern, der den Grünen vorwirft, sie würden keine Gleichstellung praktizieren, sondern „Mobbing gegen Männer“.

Beide wünschen sich, so scheint es, eine Zeit wieder zurück, in der der Platz eines (weißen) Mannes in der Gesellschaft noch eindeutig war. Männlichkeit nicht infrage gestellt wurde. Björn Höcke, und mit ihm viele Antifeministen, sprechen sogar davon, dass Männlichkeit „wiederentdeckt“ werden müsse. Aber was wollen wir hier überhaupt entdecken, geschweige denn aus seiner „Krise“ befreien?

Männlichkeit ist allgegenwärtig. Sie prägt Beziehungen, unser politisches System, ist mitverantwortlich für Gewalt, sie ist tief in unserer Gesellschaft verankert. Susanne Kaiser stellt in ihrem Buch „Politische Männlichkeit“ fest, dass das „Männliche“ nicht mehr die Norm ist. Stark sein, Kontrolle haben, für Familie und Gesellschaft sorgen – all das bricht als Ergebnis von feministischen Kämpfen auf und löst Unsicherheiten aus. Vor allem bei denen, die es gewohnt sind, Macht zu haben – also vor allem (cis hetero weiße) Männer. Der feministische Kampf hat für viele wichtige Freiheiten gesorgt, auch für Männer. Aber wir dürfen jetzt nicht einen Fehler machen: zu denken, dass mit einer „neuen“ Männlichkeit Geschlechterverhältnisse grundsätzlich aufgehoben werden.

Die US-Serie „Pose“ über New Yorks queere Ballroom-Szene machte Billy Porter zur Ikone Foto: Joel C Ryan/ap

Wenn Promis wie Chalamet oder ­Styles sich in der Öffentlichkeit weicher zeigen oder keine Angst davor haben, Röcke zu tragen, ist das ein richtiges Zeichen. Denn viele cis hetero Männer haben noch immer Angst, als „unmännlich“ zu gelten. Promis, die neue Männlichkeit performen, greifen nach alternativen Demonstrationsformen ihres Geschlechts, tragen zum Beispiel Handtaschen, betreiben selbstverständlich selfcare, gehen zur Pediküre. Wer profitiert von dieser neuen Männlichkeit? Kann das alles wirklich Ungleichheit beseitigen? Und ist das alles überhaupt so neu?

Für Genderforscher Scheibelhofer bedeutet der Begriff der „hybriden Männlichkeit“ zwei Dinge: „Es ist möglich, eine aufgeweichte, vielleicht auch unproblematische Art Männlichkeit zu leben, in die Aspekte integriert werden, die in der Vergangenheit aus dieser ausgeblendet wurden.“ Also in der Öffentlichkeit und privat nicht immer nach James Bond leben zu müssen, sondern sich weicher zu zeigen, Emotionen nicht mehr zu verstecken, nicht immer dominant sein zu wollen. Aber, so Scheibelhofer: „Man merkt eben, dass da offensichtlich der Wunsch sehr stark ist, dass es weiterhin Männlichkeit ist und Männlichkeit bleibt.“ Es könnte in der Theorie so einfach sein: Wir cis Männer werden alle hybrider und mit uns die Gesellschaft jeden Tag ein bisschen besser, das Patriarchat wird ganz bald einfach überwunden.

„Männliche Dominanz kann erst dadurch eine Erfolgsgeschichte werden, dass sie sich immer wieder anpasst an neue Gegebenheiten“, sagt Scheibelhofer. „Es wäre ein Trugschluss zu glauben, nur wenn sich etwas ändert an Männlichkeit, dass wir dann zusehen können, wie männliche Dominanz verschwindet.“

Rapper Lil Nas X bei einem Auftritt in New York Foto: Charles Sykes/ap

Durch Styles oder Chalamet verändert sich zwar die Performance von Männlichkeit auf der Bühne. Aber das Theater gehört immer noch dem Patriarchat. Weiße cis hetero Männer können es sich leisten, sich in der Öffentlichkeit weiblicher zu zeigen, müssen keine Angst mehr haben, als homosexuell wahrgenommen zu werden.

Das passiert häufig auf Kosten von nichtweißen und queeren Männlichkeiten. Als Harry Styles im Dezember 2020 als erster cis Mann auf dem Cover der Vogue erschien, wurde er für seinen Mut gefeiert. Ein neuer Trend war geboren. Billy Porter, homosexueller Schwarzer Schauspieler, hat zu Recht kritisiert, dass alles, was Harry Styles dafür tun musste, war, ein weißer cis hetero Mann zu sein. Was ist aber mit queeren Performances wie denen von Prince in den 80er Jahren, was ist mit Lil Nas X, Jaden Smith, Lil Uzi Vert, Bad Bunny oder Terry Crews?

Ohne den Kampf von queeren Schwarzen und PoC Ak­ti­vis­t*in­nen wie den trans Frauen Sylvia Rivera und Marsha P. Johnson gäbe es diese Freiheiten nicht, in der Öffentlichkeit sich als Mann über feste Bilder von stereotypischer, cis hetero Männlichkeit hinaus zu zeigen.

Einer, der „hybride“ Männlichkeit heute verkörpert: Schauspieler Timothée Chalamet Foto: Joel C. Ryan/ap

Das Abfeiern von weißen cis heterosexuellen Männern heißt auch, dass diese Männer als Symbol für feministischen Wandel gesehen werden. Men of Color hingegen gelten eher als Manifestation einer toxischen, patriarchalen Männlichkeit.

Röcke tragen, Fingernägel lackieren, genderfluide Klamotten als cis hetero Mann tragen, den Mut dazu finden, öffentlich damit zu sein: Das sind wichtige Schritte. Ich tue das auch. Aber durch eine neue „hybride“ Männlichkeit verlieren wir Männer nicht automatisch Privilegien. Und solange diese bestehen, wird es Ungleichheit geben.

Der Trend muss sein, Ungleichheit als Ganzes zu sehen. Erst eine Männlichkeit, die sich abschafft, die Macht­ungleichheit angeht, die sich solidarisch dem feministischen Kampf anschließt, kann dazu beitragen. Vorher bleibt es egal, welche Klamotten man trägt und wie weich man sich gibt.