Wenn wir eingesperrt sind: Daheim mit Corona

Derzeit sind wohl so viele Menschen in Quarantäne wie nie zuvor. Fünf Menschen im Alter zwischen 4 und 70 erzählen, wie diese Zeit erleben.

Eine Einkaufstasche mit Wasser und Lebensnmitteln

Immerhin bringen die Nachbarn Wassernachschub Foto: Isabel Lott

Die Vorhölle in meinem Kopf

Ich werde wachgehämmert. Irgendwas stimmt nicht. Bohrt sich da gerade ein Presslufthammer durch meine Schädeldecke?

Eigentlich bin ich Kopfschmerzspezialistin: pochen, ziehen, drücken oder Aura – ich kenne sie alle. Meine erste Migräneattacke hatte ich mit elf. Aber das?

Langsam versteht mein noch müder Kopf: Kurt steht mit seinem Presslufthammer keine zwei Meter unter meiner Matratze und trennt wahrscheinlich gerade Kachel für Kachel von der Wand ab.

Kurt, so habe ich die Hand­wer­ke­r:in­nen aus dem 2. Stock getauft, die seit Wochen daran arbeiten, aus der Altbauwohnung unter uns ein Loft zu zaubern.

Das war schon ätzend, bevor es sich das Virus in meinem Körper bequem gemacht hat – jetzt ist es die Vorhölle.

Dank des Pochens in meinem Kopf ist mir bereits schlecht, bevor ich die Augen öffne. Was mache ich jetzt? Runtergehen und Kurt um Gnade bitten? Nur – ich darf die Wohnung nicht verlassen. Aus dem Fenster hängen und runterschreien? Meine Stimme käme niemals durch die geschlossenen Fenster, durch Kurts Kopfhörer – die er hoffentlich trägt – und gegen den Presslufthammer an. Ich entscheide mich für 400 mg Ibuprofen.

In den nächsten Stunden wird mir eine akustische Produktpräsentation geboten. Ich rate mit: Ah, ein Schwingschleifer, dann eine Flex? Und wieder Gehämmer. Das nächste Geräusch kenne ich noch nicht … ein Industriestaubsauger? Das Surren vermischt sich mit dem mittlerweile nur noch gleichmäßigen Druckschmerz hinter meiner Stirn.

Um 15 Uhr endlich Stille – in und außerhalb meines Kopfes. Und die beste Nachricht des Tages auf meinem Display: Pizza im Bad. Danke, Papa.

Sophie Fichtner, 25, lebt derzeit bei ihren Eltern

Die lieben coronaleugnenden Nachbarn

Für einen Menschen, der sehr gern draußen ist, ist Quarantäne generell eine belastende Sache. Und das hatten mein dreijähriger Sohn und ich jetzt schon unzählige Male, obwohl wir gesund waren.

Zum ersten Mal aber sind wir nun coronakrank und in Quarantäne, und das zeitweise mit starken Symptomen. Und als wäre es nicht herausfordernd genug, den Alltag krank allein mit krankem Kind zu meistern, kommt erschwerend unsere schwerhörige Nachbarin hinzu.

Die gute Dame – Ü60, „Alt-Hippie“, ausgesprochen freundlich und lieb – ist Anhängerin verschiedenster Verschwörungserzählungen und leugnet Corona. Das wurde mir sofort klar, als ich mir bei meinem Einzug Werkzeug leihen wollte und sie mir bei der Gelegenheit sämtliche Zusammenhänge über das Agieren einer globalen Machtelite weismachen wollte und mir sagte, das mit Corona sei alles Lüge. In leider auch durch die Wand gut hörbaren Telefonaten erzählte sie seither Menschen, sie sollten sich bloß nicht testen lassen, die Tests seien alle kontaminiert.

Sie schaltet zudem liebend gern ihren Fernseher an; zumindest dröhnt das Gerät ab dem Abend auch durch unsere Wohnung und treibt den ohnehin pochenden Kopf gefährlich nahe an die Grenze des Platzens.

In der Vergangenheit habe ich keine Scheu gehabt, bei ihr zu klingeln und sie zu bitten, das Ding leiser zu stellen, nur haben wir jetzt Corona. Da die Frau mir ausdrücklich verbietet, Maske zu tragen, und auch nicht geimpft ist, haben wir jetzt keine Chance. Ich kann mich nicht bei ihr beschweren, weil ich sie schützen will. Ein Dilemma.

Ronja Malin, 33, alleinerziehend

Teil einer Studie, zu der ich mich nie angemeldet habe

Das Blödeste an Corona sind nicht die Kopfschmerzen, auch wenn die redlich versuchen, mir den Schädel zu spalten. Es gibt Tabletten.

Das Blödeste an Corona ist nicht, dass mein Buch in dieser Zeit herauskommt. Die Interviews mache ich trotzdem. Es gibt Tabletten.

Das Blödeste an Corona ist auch nicht das ständige Schlafen. Das kann ich normalerweise schlecht, also hole ich die letzten fünf Jahre nach.

Was mich an Corona tatsächlich nervt: dass reiche Menschen auch in dieser Zeit noch reicher und arme Menschen noch ärmer geworden sind. Am 20. Januar twittert die kommunistische Autorin Bini Adamczak: „Erinnert ihr euch noch an die Appelle im ersten Lockdown, die Krise als Chance zu sehen, eine bessere Version eurer selbst zu werden usw? Die Milliardärinnen dieser Erde haben ihr Vermögen seit März 2020 um 5 Billionen $ vergrößert. Und was habt ihr die letzten zwei Jahre so gemacht?“

Blöd an Corona ist auch, dass man zum Spiegel der Befindlichkeiten anderer wird. Nachrichten kommen per Messenger. Dass es mir nicht so schlecht geht, beweise doch … Dass ich drei Mal geimpft sei und trotzdem krank wurde, zeige doch … Dass meine Impfreaktionen sich schlimmer anfühlten als die Woche Corona, sei doch ein Beweis für …

Ich bin Teil einer Studie, zu der ich mich nie angemeldet habe. Ihr Ergebnis steht bereits fest: Solidarität ist für den Eimer, und Wissenschaft ist eine neue Variante von Mau-Mau.

Soll ich lügen? Übertreiben, ein bisschen wenigstens? So ein kleiner Leidens-Post bei Twitter, machen andere ja auch. Ich versuche einen zu schrei­ben, ich langweile mich selbst dabei.

Daniel Schulz, 42, taz-Redakteur

Quarantäne ist eben Quarantäne

Ich bin ein aktiver Mensch. Dazu noch sehr reiselustig. Zwei Wochen lang die Wohnung nicht zu verlassen, das erfordert schon Disziplin. Dabei war es bereits das zweite Mal. Die erste Quarantäne war bewusst herbeigeführt, denn ich wusste, dass ich mich nach einem Familienbesuch in Brasilien für 14 Tage isolieren musste. Schwer war es dennoch, denn gefühlt fehlte mir nichts. Ich war doppelt „negativ“ getestet, musste aber die Zeit durchhalten. Dabei kamen mir schon Gedanken, wie wir zukünftig leben wollen und müssen.

Aber beim zweiten Mal war ich „positiv“. Zum Glück waren die Symptome wenig belastend. Deshalb hat es mir keine Angst gemacht. Sowieso bin ich geimpft und überzeugt, dass das hilfreich ist.

Doch meinen Terminkalender für die nächsten 14 Tage musste ich streichen. Ich war wieder extrem strikt und habe die Wohnung 14 Tage nicht verlassen – nicht mal zum Briefkasten. Meine wunderbare, hilfsbereite Nachbarschaft hat mich derweil tatkräftig unterstützt. Ich brauchte nur wen anrufen, kannst du mir was besorgen, dann haben sie es mir vor die Tür gestellt.

Dieser Text stammt aus der taz am wochenende. Immer ab Samstag am Kiosk, im eKiosk oder gleich im Wochenendabo. Und bei Facebook und Twitter.

Der Alltag ging eigentlich so weiter wie bisher. Ich erledigte meine Aufträge als freiberufliche Redakteurin vom Schreibtisch aus, was ich auch mit 70 als Rentnerin noch gern mache. Dank moderner Technik ist Kommunikation ja aus der Quarantäne heraus möglich.

Auch habe ich meine Nähmaschine wiederentdeckt. Eines ist mir allerdings sehr schwer gefallen: müde zu werden. Auch wenn ich bei langen Telefonaten immer durch die Wohnung gelaufen bin, ist das kein Ersatz für ausgedehnte Wanderungen.

Dennoch blicke ich optimistisch in die Zukunft, wenngleich das Reisen inzwischen zu einer großen Herausforderung geworden ist.

Lis Berten, 70, freiberufliche Lektorin, Rentnerin

Das Geheimnis hinter den zwei Streifen

Zwei Mal in meinem Leben habe ich mich sehr gefreut über zwei Streifen auf einem Schnelltest. Beide Male wurde ich 9 Monate später Vater.

Als ich mich im Januar mit Corona infizierte und die anderen drei Mitglieder meiner Infektionsgemeinschaft auch, habe ich mich nicht so gefreut. Aber ein wenig doch.

Das mag für Menschen, die schwere Verläufe, gefährlichere Mutanten oder weniger verständnisvolle Chefs erwischt haben, unverständlich sein, aber meine spontane Reaktion war Erleichterung. Endlich, dachte ich, ist nach zwei Jahren das Weglaufen, das Angsthaben, das Warten vorbei.

Die knapp zwei Wochen zu Hause, ohne Arbeit, aber mit zwei Kleinkindern, waren dann unerwartet schön, besonders als die Grippesymptome nachließen. Ich merkte, dass Puzzlen und Memory­spielen mehr Spaß macht, wenn man nicht todmüde ist und an den To-do-Zettel denkt. Auch die Kinder waren zufriedener: Kein Geschrei, keine Kämpfe ums Zähneputzen und Aufräumen. Ja, das klingt wie eine schwere Nebenwirkung, wie eine Halluzination, aber so war es!

Anspruchsvoll war es, sich jeden Tag neue Spiele auszudenken, deshalb hier eine unvollständige Liste:

- Der Boden ist Lava: Einen Parcours mit Stühlen und Tischen, Sofas und Rollbrettern durch die Wohnung aufbauen

- Fernsehen! Aber nicht als Verschnaufpause für die Eltern und nicht Paw Patrol, sondern gemeinsam alte Kinderfilme ansehen, unbedingt: Augsburger Puppenkiste

- Aus Sushistäbchen ein Floß bauen

- Ein Trampolin ausleihen und die Energie weghüpfen

Als ich die Kinder nach zwei Wochen an der Kita absetzte und ihnen hinterherwinkte, hätte ich heulen können. Jetzt beginnt wieder der Wahnsinn, den wir Alltag nennen.

Kersten Augustin, 33, taz-Redakteur

Corona, das ist das Zeug, das im Körper drinsteckt

In drei Wochen werde ich fünf. Nach meinem Geburtstag sollte ich auch eine Impfung gegen Corona bekommen. Aber jetzt hatte ich es schon. War aber nicht schlimm. Es war schön, so lange zu Hause zu sein und dass Mama und Papa so viel Zeit hatten.

Ich habe ein Bild gemalt, da sind meine Schwester Pauline und ich drauf. Man kann in meinen Körper reingucken, weil Corona auch im Körper drin ist: Da sind das Herz, der Magen mit Essen, die Lunge, Adern und Knochen. Und die Seele. In meiner Hand ist mein Schnitzmesser. Wir haben uns nämlich jeden Tag auf den Balkon gesetzt und einen Stock geschnitzt. Auf die Murmeln habe ich ein Kreuz gemalt, damit Pauline die nicht verschluckt.

Jone, 4, Kitakind

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