Staub auf Adornos Schreibtischplatte: Marxismus im Nazibau

Der IG-Farben-Campus der Goethe-Universität in Frankfurt am Main ist schon kaum noch Hochburg der Linken. Dafür mehr einfach nur Burg.

Ob hier des Nachts Adornos Geist spukt? Illustration: Sebastian König

FRANKFURT AM MAIN taz | In Bockenheim, dem ehemaligen Universitätsviertel Frankfurts, steht ein kleiner 50er-Jahre-Bau mit drei Stockwerken und Plastikfenstern: das Institut für Sozialforschung. Das Gebäude, in dem einmal Adorno und Horkheimer residierten, liegt gleich gegenüber den 70er-Jahre-Platten, in denen früher die Goethe-Universität untergebracht war. In der Nacht laufen Grüppchen von Studierenden zwischen den urigen Kneipen des Viertels hin und her, über ihnen ragen die Bankengebäude wie Lichtsäulen in den Himmel.

Das Institut für Sozialforschung und die Goethe-Universität wurden in den 50er Jahren zum Zentrum marxistischen Denkens in Deutschland. Die Frankfurter Schule hatte sich zum Ziel gesetzt, durch empirische Sozialforschung die Widersprüche des Kapitalismus aufzudecken und gegen faschistische Ideologien vorzugehen. Vieles, was an linker Theorie im letzten Jahrhundert in Deutschland entstanden ist, kam aus Frankfurt.

Seit die Frankfurter Uni 2001 Bockenheim verlassen hat, sind die Kneipen und Buchläden nur noch die Hüllen eines Uni-Viertels ohne Uni. Der neue Campus liegt etwa 20 Minuten zu Fuß entfernt, in seinem Zentrum: das IG-Farben-Gebäude. Wie eine Feste stemmt es sich aus den Gründerzeitvillen des Frankfurter Westends. Sieben Stockwerke ziehen sich auf 250 Metern durch die Parkanlage.

Die IG Farben stellte in der Nazizeit das Zyklon-B-Gas her, das in den Vernichtungslagern zum industriellen Massenmord genutzt wurde. Eine Gedenktafel erinnert am Eingang des Gebäudes an die Ermordeten.

Im IG-Farben-Haus

Ausgerechnet die Geisteswissenschaften wurden 2001 als Erste in das IG-Farben-Haus verlegt. Nicht alle freuten sich auf den Umzug. So bietet die Initiative „Studierende am IG Farben Campus“ bis heute kritische Führungen an. Die Universität als Institution habe sich mit dem Umzug ins IG-Farben-Gebäude „von jeder Einsicht in die Dialektik der Aufklärung“ verabschiedet, meinen sie. Zusammen mit der Studierendenzeitschrift Diskus gab die Initiative ein Heft „Studieren nach Auschwitz“ heraus, mit kritischen Beiträgen zum neuen Haus.

Hinter dem großen IG-Farben-Haus erstreckt sich ein grüner Campus, mit Springbrunnen und Bäumchen. Über 20 Neubauten verteilen sich um den Theodor-W.-­Adorno-Platz, passen sich stilistisch aber an den Bau der IG-Farben an. Selbst das Gebäude, in dem das linke Exzellenzcluster „Normative Orders“ sitzt, ist groß, grau und kastenförmig.

An den Wochenenden wird das Uni-Gelände zum Territorium der reichen Frankfurter Westend-Familien. Die Kinder düsen auf Inlinern zwischen den Fachbereichen herum, Jugendliche trinken Wodka-O in den Nischen neben der Bibliothek, und alte Paare trippeln mit Spazierstock und Mantel über die Kieswege. Platz für studentische Einrichtungen wie das Café Kotz gibt es aber weder auf dem Campus noch in dem angrenzenden Villenviertel. Die Stühle an der Mensa sind an ihre Tische gekettet, sodass man immer höchstens zu viert an einem Tisch sitzen kann.

Im Epizentrum dieses Ortes steht ein Glaskasten, darin ein Holzschreibtisch mit grüner Arbeitsplatte. Vadim Zakharov entwarf die Installation, die an ­Adorno erinnern soll und mit der Uni vom alten Standort in Bockenheim hierher umgezogen ist. Unter dem Motto „A Night With Adorno“ fanden hier schon Nachtwachen statt, um das Denkmal gegen Vandalismus zu schützen.

Der Glaskasten ist nicht zugänglich. Nur ab und zu wird einer Studierenden die Ehre erwiesen, unbemerkt, durch eine Falltür, in das kleine Reich zu schlüpfen, um die Staubflusen behutsam von Theodors grüner Platte zu pusten. Man kann es sich vorstellen: Wie nachts der große Geist erscheint, leise die Messinglampe im Glaskasten entzündet und dann … mild lächelnd auf seine Universität blickt?

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