Drei Jahre nach Aufstand in Algerien: Stillstand statt Bewegung

Algeriens Protestbewegung, die das Bouteflika-Regime stürzte, wird heute massiv unterdrückt. Dutzende Gefangene sind im Hungerstreik.

Junge Männer hlaten ein Schild hoch: Platz des 22.Februars 2019 Revolution des Lächelns

Vor drei Jahren begann Algeriens „Revolution des Lächelns“: Heute lächelt niemand mehr Foto: Sabri Benalycherif/imago

TUNIS taz | Pünktlich zum dritten Jahrestag der Protestbewegung Hirak (Bewegung) in Algerien hagelt es abermals Repressalien gegen Oppositionelle und Aktivist*innen. Das wieder fest im Sattel sitzende Regime will um jeden Preis verhindern, dass sich der Unmut im Land über Algeriens politische Führung erneut bei regierungskritischen Protesten entlädt und setzt auf Einschüchterungen und unmittelbare Maßnahmen gegen die demoralisierte Bewegung.

Proteste werden in Algier heute nicht erwartet. An den zuvor beinahe traditionellen Protestorten im Zentrum der Hauptstadt wimmelt es dennoch seit Tagen an Po­li­zis­t*in­nen in Uniform und in Zivil. Es herrscht ein Klima der Abschreckung und Angst vor dem Staat. Selbst in der traditionell aufmüpfigen Region Kabylei östlich von Algier, einer Hochburg der Opposition, dürfte es höchstens kleinere Versammlungen geben. Der Hirak steht mit dem Rücken zur Wand.

Vor genau drei Jahren hatte Algeriens Opposition mit Massenprotesten eine Mauer der Angst durchbrochen. Erstmals seit Jahrzehnten hatten sich Hunderttausende Menschen getraut, offen gegen das Regime zu protestieren. Sie zogen selbstbewusst und lautstark durch die Straßen und forderten einen politischen Neuanfang.

Der Sturz von Präsident Bouteflika im April 2019 entpuppte sich jedoch als Pyrrhussieg, übernahm doch die Armee das Ruder. Sie sorgte für die Wahl eines ihr genehmen Politikers zum neuen Präsidenten und setzt seither alles daran, die Bewegung zu zerschlagen.

Das Regime zieht die Daumenschrauben an

Heute hat sich der Wind vollständig gedreht. Nach Ausbruch der Coronapandemie 2020 hatte der Hirak seine Demonstrationen eingestellt, während das Regime das Ende der Proteste nutzte, um dem Spuk in den Straßen endgültig den Garaus zu machen. Kurz vor dem heutigen dritten Jahrestag der ersten Massenproteste gegen Bouteflika zieht das Regime unter Staatspräsident Abdelmajid Tebboune und Armeechef Saïd Chengriha nun erneut die Daumenschrauben an.

Vor allem die Verhaftung Zakaria Hannaches lässt in den Reihen der Opposition die Alarmglocken schrillen. Hannache wurde am Donnerstag in Algier verhaftet und anschließend auf eine Polizeiwache gebracht. Hier wartet er seither darauf, der Staatsanwaltschaft vorgeführt zu werden, erklärt der Vizepräsident des Büros der Algerischen Liga zur Verteidigung der Menschenrechte (LADDH) in Béjaïa, Saïd Salhi, der taz.

Hannaches Verhaftung ist insofern beunruhigend, als dass er derzeit einer der wenigen Ak­ti­vis­t*in­nen ist, der weiter hartnäckig politisch motivierte Verhaftungen dokumentiert und Informationen über die Haftbedingungen der landesweit rund 300 politischen Häftlinge an die Öffentlichkeit trägt. Das Regime will jedoch derlei Störgeräuschen einen Riegel vorschieben und geht nun gezielt gegen jene vor, die Aufmerksamkeit über die Lage in Algeriens Gefängnissen erregen.

Erst vor zehn Tagen hatten die Behörden den Zugang zur Internetseite Algerian Detainees im Inland gesperrt. Das von Ak­ti­vis­t*in­nen betriebene Portal, das politisch motivierte Verhaftungen dokumentiert, ist seither nur noch über VPN- oder Proxyserver erreichbar.

40 politische Gefangene sind im Hungerstreik

Dabei ist Öffentlichkeit für die Situation in Algeriens Gefängnissen derzeit notwendiger denn je. Denn seit dem 29. Januar sind mehr als 40 politische Gefangene in den Gefängnissen El Harrach und Koléa in Algier sowie in Bouira und Sétif in den Hungerstreik getreten. Damit protestieren sie gegen ihre in willkürlicher Manier verlängerte Untersuchungshaft und einen 2021 verabschiedeten Artikel im Strafgesetzbuch, der Regierungskritik mit „Terrorismus“ und „Sabotage“ gleichsetzt.

Zwar haben mehrere Häftlinge ihren Hungerstreik vor einigen Tagen abgebrochen, nachdem ein Mithäftling sein Augenlicht zum Teil verloren hatte. Doch die meisten halten weiterhin an dieser Protestform fest und weigern sich auch 24 Tage nach Streikbeginn, Nahrung zu sich zu nehmen, so die LADDH.

Derweil ist auch die seit Jahren in mehrere Fraktionen zersplitterte Menschenrechtsliga ins Visier der Behörden geraten. Am Samstag wurde der LADDH-Aktivist Hamoudi Fellah in Tlemcen in Westalgerien von der vom Militär kontrollierten Gendarmerie verhaftet und bereits am Sonntag zu drei Jahren Gefängnis verurteilt, bestätigt Salhi. Vorgeworfen wurde Fellah unter anderem „Leitung einer nicht zugelassenen Vereinigung“. Gemeint ist damit die LADDH, die heute zu den wichtigsten Menschenrechtsgruppen im Land zählt.

Auch Fellahs Verhaftung wird bereits als nicht zu ignorierende Warnung interpretiert. Schließlich geht das Regime seit 2020 nicht mehr nur aus politischen Gründen gegen Individuen vor, sondern kriminalisiert systematisch dem Hirak nahestehende Parteien und zivilgesellschaftliche Gruppen.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.