Forschung steigert Bruttoinlandsprodukt: Zweitausend Prozent Rendite

Jeder Euro, den die Frauenhofer-Gesellschaft erhalte, steigere das Bruttoinlandsprodukt um rund 21 Euro. So der Fraunhofer-Chef. Doch stimmt das?

Eine MitarbeiterIn schaut durch ein Hightech-Mikroskop

An der Schnittstelle zur industriellen Verwertung: Fraunhofer-Institut in Cottbus Foto: Rainer Weisflog

BERLIN taz | Einundzwanzig ist keine besonders eindrucksvolle Zahl. Eine Million oder eine Billiarde, das sind gewaltige Zahlen. Aber einundzwanzig? Dennoch ist es die Zahl, mit der Reimund Neugebauer, Präsident der Fraunhofer-Gesellschaft, sich derzeit auf Deutschlandtournee befindet.

Um einundzwanzig Euro nämlich, sagt er, würde das Bruttoinlandsprodukt (BIP) durch jeden Euro gesteigert, den man der Fraunhofer-Gesellschaft gebe. Das erzählt er jedem Politiker, der es hören will, so zum Beispiel in den „Fraunhofer Politik-Papieren“.

Und die Politiker wollen es hören. Denn Fraunhofer ist von den vier Forschungsgesellschaften Deutschlands diejenige für angewandte, industrienahe Forschung. Im Unterschied zu ihren Schwestergesellschaften sollte sie mit ihren Erfindungen einen unmittelbaren volkswirtschaftlichen Nutzen erzielen. Nun ist der volkswirtschaftliche Nutzen einer Forschungsgesellschaft schwer zu beziffern. Möglicherweise ist sogar fragwürdig, dass er überhaupt beziffert werden muss.

Nicht aber für die Fraunhofer-Gesellschaft, die sich zunehmend wie ein Konzern gebärdet, obwohl sie ein gemeinnütziger Verein ist. Sie hat das jetzt einmal ganz konkret ausgerechnet und kann dem Staat den überaus günstigen Bescheid geben, dass er, wenn er einen Euro investiert, über kurz oder lang einundzwanzig Euro zurückerhält. Das sind zweitausend Prozent Rendite! Plötzlich scheint die einundzwanzig riesig, ja irrwitzig.

Das Fraunhofer-Budget liegt seit vielen Jahren bei über 2 Milliarden Euro (2,8 Milliarden im Jahr 2020). Bei einem Faktor einundzwanzig ergäbe sich ein Beitrag von 40 bis 50 Milliarden Euro zum Bruttoinlandsprodukt. Pro Jahr. In der Größenordnung entspräche das dem gesamten deutschen Wirtschaftswachstum. Selbst für einen sehr innovationsaffinen Politiker müssen solche Beträge doch arg hochgegriffen klingen. Wie kommt Fraunhofer auf die märchenhafte Zahl?

Fraunhofer-Forscher hat's errechnet

Die einundzwanzig Euro gehen auf Arbeiten von Torben Schubert und dessen Kollegen zurück. Schubert ist unter anderem am Karlsruher Fraunhofer-Institut für System- und Innovationsforschung tätig. Er hat die Zahl in verschiedenen Publikationen errechnet und publiziert (pdf).

Sieht man dort nach, so findet man, dass seine Methode, die einundzwanzig auszuknobeln, auf einer Panelanalyse von Wirtschaftsregionen beruht: Das BIP pro Kopf wird über 15 Jahre in 400 Wirtschaftsregionen betrachtet, von denen einige auch Fraunhofer-Institute enthalten. In diesen Daten wird ein systematischer Zusammenhang zwischen der lokalen Wirtschaftsleistung einer Region und den lokalen Fraunhofer-Aktivitäten gesucht.

Die Traumrenditen von Innovation sind letztlich nur abstrakte, ideale Rechnungsgrößen

Im Ergebnis dieser Suche fanden Schubert et al. den besagten positiven linearen Zusammenhang, dass ein Euro zusätzliche Fraunhofer-Aktivität einundzwanzig Euro Steigerung des BIP pro Kopf bewirken. Das, sagt Schubert, sei der präzise bezifferte makroökonomische Impact der Fraunhofer’schen Innovationen.

Nun sprechen mindestens drei Argumente dagegen, den volkswirtschaftlichen Nutzen von Fraunhofer auf diese Weise zu ermitteln: Erstens könnte die Art des Zusammenhangs zwischen Wirtschaftsleistung und Fraunhofer ein ganz anderer sein. Beispielsweise könnte regionale Wirtschaftsstärke eher Voraussetzung anstatt Folge der Ansiedlung eines Fraunhofer-Institutes sein.

Tatsächlich werden Fraunhofer-Institute zumeist in wirtschaftsstarken Regionen errichtet. Man benötigt ja einerseits die Industrie als Kunden und andererseits benötigt man das wissenschaftliche Personal, das in solchen Regionen eher zu finden ist als in ländlichen Gebieten. Schubert deutet sogar die Möglichkeit eines solchen Zusammenhangs an, kommt dann aber ohne genauere Begründung trotzdem zu dem Schluss, dass seine Analyse „robust“ gegen mögliche Vorlieben in der Standortauswahl sei.

Zweitens geht Schuberts Methode davon aus, dass der wirtschaftliche Nutzen der Fraunhofer-Innovationen sich vor allem in den Wirtschaftsregionen abspielt, in denen diese Institute beheimatet sind. Warum eigentlich? Ist nicht ein wesentliches Merkmal von Innovationen und Ideen, dass sie überregional wirken?

Gerade grundlegend neue Technologien haben oft die Eigenschaft, dass sie gewissermaßen in ein Netzwerk unterschiedlicher wirtschaftlicher Hebelwirkungen delokalisieren. Einfaches Beispiel: Wenn Fraunhofer ein neues Streamingformat entwickelt, das weltweit in vielen Branchen eingesetzt wird: Wo wollte man den wirtschaftlichen Nutzen dieser Erfindung lokalisieren? Bereits der methodische Ansatz eines lokalen Zusammenhangs scheint seinem Gegenstand nicht angemessen.

Drittens schließlich wird der Effekt von Fraunhofer vermutlich auch schlicht dadurch überschätzt, dass nur eine einzige erklärende Variable für das BIP pro Kopf betrachtet wird, nämlich das Fraunhofer-Budget. Selbst wenn man d'accord wäre, dass das gesamte Wirtschaftswachstum letztlich auf technische Innovationen rückführbar sei, hieße das noch lange nicht: allein auf Fraunhofer. Es gibt natürlich auch die Fachhochschulen und Universitäten, es gibt die anderen drei großen Forschungsgesellschaften und es gibt die innovierenden Unternehmen selbst. Diese Akteure befinden sich oft in unmittelbarer Nähe zu Fraunhofer-Instituten. Natürlich wird Fraunhofer deren kumulierten Effekt einheimsen, wenn die Fraunhofer-Aktivität als einzige systematische Erklärung für die lokalen BIP-Unterschiede herhalten muss.

Kabel und Strom

Innovation ist ein komplexes Feld. Wenn sie bei der Grundlagenforschung beginnen und in den Entwicklungsabteilungen der Unternehmen enden würde, läge das Feld der „Translation“, das heißt der angewandten Forschung, dazwischen. In diesem Bild wäre die angewandte Forschung eher, was das Kabel für den Strom ist. Das ist natürlich eine Übertreibung, aber mit dem Ziel der Verdeutlichung: Das Wissen entsteht in der Grundlagenforschung und wird erst in Firmen zu Technologie.

Dazwischen finden zwar einige notwendige Umformungen und Übertragungen statt, aber keineswegs ist es so, dass diese Zwischenstadien sich nun den Orden an die Brust heften könnten, die ganze Innovationsleistung erbracht zu haben. Das ist lediglich die Sehnsucht des Stromkabels, auch gesehen zu werden. Nichts gegen Stromkabel. Sie sind nur eben genauso wenig der Generator an ihrem einen Ende wie die Maschine an ihrem anderen. Sie haben wenig von deren Glamour. Man versteht die Sehnsucht des Kabels nach „Impact“ und makroökonomischem Nutzen, aber es rechtfertigt keine derart übertriebene Zahl wie die einundzwanzig.

Zurück zu der. Die Traumrenditen von Innovation sind letztlich nur abstrakte, ideale Rechnungsgrößen. Es fängt ja schon mit der beschriebenen verengten Sicht auf Innovation an. In Wirklichkeit ermöglicht ein Staat mit vielfältigen Einrichtungen und Institutionen überhaupt erst, dass zum Beispiel Forschungsgesellschaften in ihm Innovation vorantreiben können. In die Liste der wahren Kosten gehören auch Staatsausgaben für Bildung, für Informationsinfrastruktur und eine Menge anderer Leistungen, die notwendig sind, damit Erfindergeist sich bildet, mobilisiert wird und in Innovationen mündet.

Die zweitausend Prozent Rendite sind deshalb auch keinem Investor – auch nicht dem Staat – zugänglich. Wenn man sie aus dem Zusammenhang solcher Paneldatenanalysen reißt und als reale Größe darstellt, schafft man einen Mythos. Natürlich ist verständlich, dass jemand wie der Präsident der Fraunhofer-Gesellschaft großes Interesse daran hat, diesen Mythos zu verbreiten und durch mantraartige Wiederholung zu festigen. Wir aber, als aufgeklärte Bewohner des 21. Jahrhunderts, sollten der Zahl 21 vielleicht sowieso notorisch misstrauisch gegenüberstehen.

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