Bremerhavener Sprach-Orthodoxie: Mehr als ein Kulturkämpfchen

Mit ihrem Nein zum Gendern ignorieren SPD, CDU und FDP in Bremerhaven höchste Rechtsprechung.

Ein Plakat für eine dritte Option für die Geschlechtsbezeichnung intersexueller Menschen.

M und W reichen seit 2017 nicht mehr: Ein Plakat wirbt für eine dritte Geschlechtsbezeichnung Foto: Jan Woitas/dpa

Zurück in die Sprach-Steinzeit? Ganz so leicht lässt sich nicht aburteilen, was in Bremerhavens Stadverordnetenversammlung beschlossen wurde. Einfach alles lassen, wie es immer war, wollen SPD, CDU und FDP ja gar nicht. So soll das generische Maskulinum, die männliche Form, die alles andere „mitmeint“, vermieden werden. Dafür gibt es doch Lob, vermutlich sogar von Emma! Nur mit diesen komischen Sonderzeichen tut die Koalition sich schwer. Und hat sie nicht auch gute Argumente?

Ja – auf den ersten Blick: die geltenden Rechtschreibregeln, der fehlende Mehrheitswille zum Gendern und, durchaus nicht zuletzt, die Barrierefreiheit. Denn wer Sternchen und Doppelpunkte in die Wörter packt, bringt damit ja ausgerechnet die technischen Hilfsmittel ins Schlingern, die ihrerseits Schieflagen begradigen sollen, nämlich die Teilhabe von Menschen mit Behinderung.

Aber richtig zu Ende gedacht haben sie ihren Widerstand eben doch nicht, die drei Koalitionärinnen – Fraktionen sind den geltenden Regeln nach ja immer noch weiblichen grammatikalischen Geschlechts; Abgeordneten-Männchen sind aber mitgemeint, selbstverständlich und voller Respekt. So ist Bremens Landesbehindertenbeauftragter ausdrücklich fürs Gendern; dass Screenreader die ach so sperrigen Sonderzeichen mit vorlesen, dürfte schlicht ein Übergangsproblem sein.

Das Mehrheitsprinzip hat Grenzen

Und würde Demokratie darin gipfeln, einen –ja auch nur in unterschiedlich seriösen Umfragen ermittelten – Mehrheitswillen durchzusetzen: Wie oft käme irgendeine Minderheit zu ihrem Recht? Eben so eines hat 2017 aber das Bundesverfassungsgericht formuliert, als es neben Mann und Frau eine dritte Geschlechtskategorie nicht nur erlaubte, sondern verlangte.

Und das macht aus der Gender-Orthodoxie mehr als nur ein Kulturkämpfchen, mehr auch als schlichte Arbeitsverweigerung – denn was passiert, wenn künftig eine zu erledigende Sache solche bösen Zeichen enthält: Landet sie im Parlamentspapierkorb? Hier ignorieren sie in Bremerhaven ohne Not die Rechtsprechung.

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Wollte irgendwann Geisteswissenschaftler werden, ließ mich aber vom Journalismus ablenken. Volontär bei der taz hamburg, später auch mal stv. Redaktionsleiter der taz nord. Seit Anfang 2017 Redakteur gerne -- aber nicht nur -- für Kulturelles i.w.S.

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