Verfolgte jüdische Sportlerinnen: Tödliches Ende der Turnsters

Das Turn-Team der Niederlande begeisterte die Menschen bei den Olympischen Spielen 1928. Fünf der Sportlerinnen wurden später von den Nazis ermordet.

Frauenriegen formieren sich im Stadion vor den Barren

Turnwettbewerb der Frauen bei den Olympischen Spielen 1928 in Amsterdam Foto: Colorsport/imago

Es gibt nicht viele Fotos von den ersten niederländischen Goldmedaillengewinnerinnen, die 1928 bei den Spielen in Amsterdam unerwartet im Mannschaftsturnen siegten. Auf den wenigen Bildern sind zehn kerzengerade dastehende Frauen in Turnkleidung neben ihrem Trainer zu sehen, alle lachen. Vier der Fotografierten sowie eine Ersatzturnerin werden 15 Jahre später in den Vernichtungslagern der Nazis ermordet.

Wer zu den olympischen Turnerinnen gehören würde, war im Frühjahr 1928 in mehreren Vorturn-Wettbewerben entschieden worden. Eine Jury legte jeweils fest, welche Frauen in die nächste Runde kamen – die Idee dazu stammte nicht etwa von den Funktionären, sondern den Athletinnen selbst, die möglichst früh wissen wollten, wer dabei sein durfte.

Im Mai begann für die zehn Olympia-Turnerinnen und ihren Coach Gerrit Kleerekoper, der im Hauptberuf als Diamantenschleifer arbeitete, das Training. Die Begeisterung für das Gold-Team war enorm. Die Zeitung Telegraaf veröffentlichte eine gereimte Ode an die „Turnsters van Holland“, die in ihren jeweiligen Heimatstädten von Menschenmassen empfangen wurden. Trainer Kleerekoper bekam sogar eine eigene tägliche Radiosendung, in der er Turnübungen präsentierte.

Dann marschierten die Nazis ein. Ersatzturnerin Judikje Simons hatte 1935 Bernhard Salomon Themans geheiratet, die beiden leiteten später das 1871 gegründete jüdische Kinderheim Centraal Israëlitisch Weeshuis in Utrecht. Während der Besetzung wurde das Heim nach Amsterdam umgesiedelt. Obwohl das Ehepaar gewarnt wurde, entschied es sich, bei den Waisenkindern zu bleiben. 1943 wurde Judikje mit ihrem Mann, der fünfjährigen Tochter Sonja und dem dreijährigen Sohn Leon nach Sobibor deportiert, wo sie am 20. März, dem Tag ihrer Ankunft, ermordet wurden.

Die Amsterdamerin Anna „Ans“ Polak heiratete 1936 den Schneider Barend Dresden, ein Jahr später wurde Tochter Eva geboren. 1943 wurde die Familie ins Lager Westerbork und Ende Juni desselben Jahres nach Sobibor deportiert.

Turnerin Helena „Lea“ Nordheim führte zusammen mit ihrem Mann Abraham Kloot in Amsterdam ein Friseurgeschäft. 1933 wurde Tochter Rebecca geboren. Zehn Jahre später wurde die Familie verhaftet und ins Lager Westerbork überstellt. Am 29. Juli 1943 wurde sie ins Vernichtungslager Sobibor deportiert, wo sie ermordet wurden.

Im selben Zug waren Gerrit Kleerekoper und seine Frau Eva. Das Paar hatte fünf Kinder, von denen laut der Webseite „Joods Monument“ nur eine Tochter die Nazizeit überlebte.

Estella Agsteribbe hatte einen Mann geheiratet, den sie im Bato-Sportclub, dem größten jüdischen Sportverein, kennengelernt hatte. Mit der sechsjährigen Tochter Nanny und dem zweijährigen Sohn Alfred wurde das Ehepaar am 14. September 1943 nach Auschwitz deportiert. Estella und ihre Kinder wurden sofort nach der Ankunft ermordet, Shmuel überlebte die Selektion zunächst und wurde im April 1944 getötet.

Elka de Levie war die einzige Jüdin im Turnteam, die die Nazizeit überlebte. Sie starb 1978 im Alter von 74 Jahren. Interviews hatte die zurückgezogen lebende Frau nie gegeben.

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Schreibt nicht nur über Sport, sondern auch über Verschwörungsideologien, skandinavische Politik und Königshäuser. *** Die ersten Artikel für den taz-Sport gestalteten sich allerdings etwas schwierig: Mit den Worten "Wie, die schicken uns heute eine Frau?" wurde ich beispielsweise vor Jahren von einem völlig entsetzten Vorsitzenden eines Westberliner Fünftligavereins begrüßt. Da war er also, der große Tag, an dem über seinen Club in der taz berichtet werden würde, und dann das: Eine Frau! Ich antwortete ja, ich sei die Strafe und sofort war die Stimmung super. *** Und eines Tages werde ich über diesen Tag und andere, sagen wir: interessante Begegnungen mal ein Buch schreiben.

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