Veganer Sternekoch Ricky Saward: „Ein guter Koch kombiniert im Kopf“

Das Seven Swans ist Deutschlands einziges veganes Sternerestaurant. Küchenchef Ricky Saward über radikales Kochen, Regionalität und Rote Bete.

Ein blonder Mann in Kochkleidung gestikuliert mit den Händen

Er kocht vegan, regional und ohne Gewürze: Ricky Saward Foto: Seven Swans

taz am wochenende: Herr Saward, vor Kurzem las ich im New York Magazine eine große Reportage mit einer rhetorischen Frage als Überschrift, die ich gern weitergeben würde: „Are Vegetables Winning?“ Ist Gemüse auf dem Siegeszug?

Ricky Saward: Sehr schwierig. Jein! Einerseits bekommt Gemüse natürlich mehr Aufmerksamkeit, der extra Gemüsegang wird zum Marketingfaktor. Man merkt einfach, dass da mehr Kohle drinsteckt. Aber: Als ich 2018 im Seven Swans angefangen habe, gab es in Deutschland drei vegetarische Sternerestaurants, fünf weltweit. Ich war überzeugt, im nächsten Jahr müsste es eine Verdopplung geben. Und danach hundert. Inzwischen gibt es an die elf, weltweit. Das sieht mir jetzt nicht nach einer Revolution aus. Und vegan ist noch mal eine ganz andere Frage.

Als wir uns das letzte Mal unterhalten haben, waren Sie neu im Seven Swans, damals noch mit vegetarischer Küche. Sie sagten: Eigentlich will ich das viel extremer haben. Noch viel einfacher, noch weniger. Was ist daraus geworden?

Weniger? Auf jeden Fall, von der Produktvielfalt her. Die Prognose war also richtig: Wir sind viel radikaler geworden, was Saisonalität, Regionalität, Nachhaltigkeit angeht. Und komplett vegan sind wir auch noch. Das Korsett ist jetzt so eng gezogen, dass es nicht mehr enger geht. Wir verzichten auf Gewürze, bis auf Salz. Das ist tatsächlich ziemlich krass.

Okay, vegan, regional, saisonal, das lässt sich alles nachvollziehen. Aber warum keine Gewürze? Nehmen Sie die Regionalität so wörtlich?

Ganz genau. Außerdem geht es mir in meiner Küche um den eigentlichen Geschmack der Produkte, den ich nicht verfälschen möchte.

geboren 1989, kocht seit 2018 im „Seven Swans“ in Frankfurt am Main, das schon vor über zehn Jahren unter der damaligen Küchenchefin Kimberley Unser für ein nachhaltiges Konzept mit haus­gemachten Produkten und Biozutaten stand. Es ist das einzige vegane Sterne­restaurant Deutschlands und eines von wenigen weltweit (ein Stern im Guide Michelin).

Die Zutaten für Ihre Gerichte kommen fast ausschließlich aus eigenem Anbau vor den Toren Frankfurts.

Das war auch für mich ein Kulturschock: Aus der klassischen französischen Küche, wo mit Luxusprodukten um sich geworfen wird, in ein vegetarisches Restaurant zu kommen, und dann kommt auch noch der eigene Anbau dazu. Wann hat überhaupt etwas Saison? Anfangs hatte ich überhaupt keine Ahnung. Zum Glück hat damals noch David Schäfer bei uns gearbeitet. Er hat das Handwerk der Permakultur in Peru gelernt. Zu Hochzeiten, 2019, hatten wir 340 verschiedene Kräuter- und Gemüsesorten auf drei Hektar. Das war Überraschung, jede Woche. Superspannend für meine Azubis und Jungköche. Und dann kam Corona.

Und Sie konnten die 2020er-Ernte wegwerfen?

Nein, gar nicht. Wir haben viel fermentiert oder eingelegt oder anderweitig verarbeitet. Für 2021 hatten wir nur ein bisschen angebaut, vorsichtshalber. Dann wurde plötzlich geöffnet und es fehlte an allem. Das war ärgerlich und nervig. Nun hatten wir viel angesetzt. Aber man kann den Anbau, das tagesfrische Pflücken vom Feld, nicht komplett ersetzen. Jetzt setzen wir uns wieder zusammen und schreiben den Anbauplan. Man will wieder durchstarten, aber im Hinterkopf ist natürlich immer die Angst.

Sie haben in den letzten Jahren viel über Gemüse gelernt, sagen Sie. Gibt es ein Gericht oder ein Produkt, an dem sich das ganz konkret festmachen lässt?

So viele. Beginnen wir mit der Roten Bete: Die war früher so ein Beilagengemüse, was man einfach gekocht, in Butter geschwenkt und gesalzen hat oder püriert. Hauptsache, weich, süß und erdig. Das anders zu machen, hat ein bisschen gedauert. Wir haben den Saft fermentiert, karamellisiert, Eiscreme draus gemacht, roh aufgedreht und fermentiert … Aber das Krasseste war der Rote-Bete-Schinken.

Was hat es damit denn auf sich?

Dafür haben wir die Bete wie rohes Fleisch behandelt, 24 Stunden eingelegt, gewässert, sechs Monate an der Luft getrocknet, kalt geräuchert – das Resultat sah aus und schmeckte hundert Prozent wie Schinken. Selbst die Konsistenz: Dieses Wachsweiche, Zähe. Das war schon ziemlich cool und auch erschreckend, was man alles mit Gemüse machen kann. Auch die Kartoffel ist einfach so vielseitig!

Eine Schale mit einer klaren Brühe, darin schwimmt ein Schmetterling aus Kartoffeln

Kartoffelküche neu interpretiert Foto: Seven Swans

Was stellen Sie damit so an?

Als kleiner Junge musste ich so viele Kartoffeln essen, ich habe sie gehasst. Hätte nie gedacht, dass sie wieder so durchstartet bei mir. Allein die Vielfalt an Sorten: Geschmack, Farben, das Visuelle. Die Mehligen, die Knüppelharten, die Buttrigen. Einmal gab es einen kompletten Kartoffelgang: in Erde gebacken, rausgeholt, ausgestochen, noch mal angeröstet, dazu eine ganz dünn gehobelte Kartoffel, mariniert mit Kartoffel-Vinaigrette, dann noch eine Kartoffelhippe … und dazu ein Sud von der Kartoffelschale, nur mit Zwiebel geröstet, bisschen Wein und Brühe dazu, reduzieren – so bekommst du eine tolle Jus hin. Die Schale allein hat so viel Power, so eine tiefgründige Note.

Diese ganzen Limitierungen, sind die eigentlich Ausdruck Ihrer persönlichen Überzeugung? Oder spielt da eher die kreative Herausforderung eine Rolle?

Mittlerweile lebe ich auch privat vegan. Das war allerdings, wie meine Küche, ein Prozess. Denn man kann es sich natürlich leicht machen dabei, mit Limette, Kokosmilch – da gibt’s ja endlose Auswahl, schöne Produkte. Aber mit Nachhaltigkeit hat das an sich nichts zu tun, das ist ja kein veganer Automatismus. Mir ist aber Nachhaltigkeit zu achtzig Prozent wichtig, der vegane Aspekt macht zwanzig Prozent aus. Ich habe oft Gäste bei mir, die sagen, sie ernähren sich bewusst, hin und wieder Fleisch vom Biobauern um die Ecke – das finde ich schön zu hören. So einen Gast finde ich interessanter als einen Veganer, der sich jeden Morgen die Avocado aufs Brot schmiert.

Apropos Gäste: Wer bei Ihnen essen möchte, fährt erst einmal mit dem Aufzug hoch und landet direkt bei den Köchen in der mikrodimensionierten Küche. Der Kontakt war immer schon eng, jetzt machen Sie auch noch den Service selbst – unter Co­ro­na­be­din­gungen für 14, bei voller Besetzung dann für 24 Gäste.

Ja, das war Neuland, mich in die Weine reinzufuchsen. Aber auch keine Geheimwissenschaft – entweder er schmeckt jemandem oder eben nicht. Ich bin natürlich ein bisschen plumper als ein Kellner – erzähle ’ne Runde, und dann wird ausgeschenkt. Und siehe da, es kommt gut an. Ich finde aber ohnehin, Essen ist viel komplexer als Wein. Die Informationsbrücke – was haben wir gemacht, wo gepflückt, was dabei gedacht – das können wir als Köche am besten erklären. Ich schreibe meine Gerichte, ohne sie zu probieren. Ein guter Koch kann im Kopf kombinieren.

Dieser Text stammt aus der taz am wochenende. Immer ab Samstag am Kiosk, im eKiosk oder gleich im Wochenendabo. Und rund um die Uhr bei Facebook und Twitter.

Kann es von hier aus eigentlich noch weitergehen? Kann das Seven Swans noch radikaler autark werden? Oder können Sie sich vorstellen, in ein paar Jahren nochmals eine völlig andere Richtung einzuschlagen?

Mein Kochlehrer in der Berufsschule hat immer gesagt: Was ihr nach drei Jahren Lehre perfekt könnt, macht nur das. Versucht nicht, in allem gut zu werden. Damals hab ich ihn dafür belächelt, mittlerweile rate ich das selbst jedem Jungkoch. Die wollen so viel und alles: Gestern Bistro, heute Hotellerie, dann Streetfood, im nächsten Jahr Fine Dining. Man muss seinen roten Faden finden. Ich bin jetzt so langsam dort angekommen, wo es ein rundes Paket wird. Sicher kann man noch feilen: Müll, Wasserverbrauch, Plastik. Das sind so Dinge, die mich beschäftigen – das Drumherumgeschäft.

Zum Schluss noch einmal zu Ihrem aktuellen Menü. Was gibt es im Seven Swans jetzt im Januar, Februar zu essen? Muss man vorgesorgt haben?

Ja, das ist essenziell. Sonst würden wir die langen Wintermonate gar nicht überleben. Wir haben gerade zu achtzig Prozent Fermentiertes auf dem Teller. Unsere stressigste Phase beginnt im März. Gerade die unreife Saison ist super interessant – da werden Vogelkirschen zu Oliven, unreife Feigen und unreife Erdbeeren machen wir ein. Diese grünen Nuancen, die holen wir dann im Winter aus dem Glas und servieren. Die Leute erwarten natürlich jetzt Wurzel- und Rübengemüse, erhalten dann aber doch eine frische, grüne Küche.

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