Gespräche zwischen USA und Russland: Strategische Gegnerschaft

In Genf beraten die USA und Russland über die Ukraine. Von der Illusion einer „strategischen Partnerschaft“ haben sich beide längst verabschiedet.

Zwei bewaffnete und uniformierte Personen im Schnee

Zwischen Ost und West: Bewaffnete ukrainische Kräfte in der ostukrainischen Region Donezk Foto: Andriy Dubchak/ap

MOSKAU taz | Zweimal ließ Moskau im vergangenen Jahr Militär an der Grenze zur Ukraine aufmarschieren. Bis zu 100.000 Mann sollen aktuell bereitstehen. Sie dienen als Drohkulisse, könnten aber auch jederzeit als Interventionsarmee eingesetzt werden. Am Sonntagabend hat in Genf ein Krisentreffen zwischen den USA und Russland zur Beilegung des Ukrainekonflikts begonnen. Für Montag ist ein Austausch zwischen Russlands Vize-Außenminister Sergej Rjabkow und seiner US-Amtskollegin Wendy Sherman geplant.

Moskau verlangt von der Nato Sicherheitsgarantien, die dem Selbstverständnis des Verteidigungsbündnisses zuwiderlaufen. So soll es zusagen, die Ukraine nicht aufzunehmen. Bislang können Staaten aber selbst entscheiden, ob sie dem Bündnis angehören wollen. Russland hofft, in seinem Umfeld wieder einen Sicherheitscordon zu schaffen, in dem die umliegenden Länder nur begrenzt Souveränität genießen. Damit erhebt Moskau fast 80 Jahre nach der Konferenz von Jalta erneut den Anspruch auf eine umfassende Einflusszone, die als Puffer zu Westeuropa dient.

Nach dem Zusammenbruch der UdSSR 1991 und der Wiedervereinigung Deutschlands sind sowjetische und russische Herrschaftsansprüche nicht ad acta gelegt worden. In den Wirren des Umbruchs schwelten sie vor sich hin. Dennoch akzeptierte das neue Moskau unter Präsident Boris Jelzin die Aufnahme ehemaliger Mitglieder des aufgelösten östlichen Verteidigungsbündnisses, des Warschauer Pakts: Ungarn, Polen und später Tschechien wurden schließlich 1999 in die Nato aufgenommen.

Moskau hatte dem zugestimmt unter der Bedingung, dass das Verhältnis zwischen der Nato und Russland auf neue Fundamente gestellt wird. Dies geschah durch die Aushandlung der „Nato-Russland-Grundakte“ ab 1996. Der Kompromiss: Eine Nato-Erweiterung kann stattfinden, jedoch werden die Truppen sowie die Stationierung nuklearer Waffen in den neuen Mitgliedstaaten beschränkt. Darüber hinaus wurde als beratendes Gremium der Nato-Russland-Rat gegründet.

Maximal drei neue Nato-Mitglieder

Lange belastete das Gerücht die Beziehungen zu Russland, der Westen habe nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion 1991 zugesagt, das westliche Militärbündnis nicht zu erweitern. Zu jenem Zeitpunkt hatten die drei baltischen Staaten die UdSSR jedoch noch nicht verlassen und auch das Bündnis des Warschauer Pakts bestand weiter.

Über Staaten, die es noch nicht wieder gab, oder potenzielle Aufnahmeanträge konnte und wurde damals nicht entschieden. Die innenpolitische Stimmung wurde und wird durch die vermeintliche Nichteinhaltung westlicher Versprechungen in Russland jedoch regelmäßig angeheizt. Auch Präsident Wladimir Putin hat sich wiederholt daran beteiligt, als er den Westen als nicht verlässlich und vertragstreu darstellte.

Mit der Nato-Russland-Grundakte stimmte Russland einer Nato-Osterweiterung auch schriftlich zu. Die erste Erweiterungsrunde tagte 1997 auf dem Nato-Gipfel in Madrid. Die USA wollten maximal drei neue Mitglieder aufnehmen: Polen, Ungarn und Tschechien.

Zu harschen Verstimmungen kam es mehr als zehn Jahre später auf dem Nato-Gipfel in der rumänischen Hauptstadt Bukarest im April 2008. Die US-Regierung unter George W. Bush plädierte für eine Aufnahme der Ukraine und Georgiens. Berlin und Paris lehnten den Vorstoß ab. Womöglich war Wladimir Putins erboste Rede auf der Münchner Sicherheitskonferenz 2007 der Grund für die deutsch-französische Ablehnung. „Keinen Schritt weiter!“, hatte der Kremlchef gedroht.

Die USA ließen sich jedoch keine Vorschriften machen und ignorierten die Warnung aus Moskau. In einer Kompromissformel ohne Aufnahmedatum und weitere Aufnahmeschritte einigte man sich in Bukarest in Bezug auf die Ukraine und Georgien auf die Formel: „Diese Länder werden Mitglieder der Nato werden.“

Berlin und Paris waren zufrieden, da keine konkreten Zusagen gemacht wurden. Moskau aber wertete die Formel als eine Mitgliedschaftsperspektive, die langfristig den Verlust der russischen Einflusssphäre bedeuten würde, auf die Moskau traditionell Anspruch erhob. Bis heute sind weder Georgien noch die Ukraine der Nato beigetreten.

Norwegen hätte ein Vorbild sein können

Bei der Nato-Erweiterung hätten sich auch andere, langsamere oder behutsamere Wege finden lassen. Oft wird das Beispiel des Nato-Gründungsmitglieds Norwegen angeführt, das weder fremde Militärbasen noch nukleare Waffen auf seinem Territorium in Friedenszeiten zuließ. Das hätte für Osteuropa und das Baltikum Vorbild sein können, um dem in den neunziger Jahren geschwächten Russland keinen Vorwand für Bedenken zu liefern. Sowjetexperten im Westen hätten ahnen können, dass die Großmachtideologien von russischen Vertretern, die den imperialen Anspruch des Landes nie aufgeben würden, kurz nach der Schwächephase wieder auftauchen würden.

In den USA setzte sich trotz warnender Stimmen die Haltung durch, Russland dürfe bei der Nato-Erweiterung keine abgefederte Sonderbehandlung erfahren. Der Sturm der Duma in Moskau 1993 und der Krieg in Tschetschenien 1994 dienten in den USA als Argument, ihre Eindämmungspolitik über den Kalten Krieg hinaus auch gegenüber Russland und Boris Jelzin aufrechtzuerhalten.

Das war eine westliche Fehlentscheidung, die jedoch nicht darüber hinwegtäuschen darf, dass der endgültige Vertrauensbruch erst ab 2008 mit dem russischen Einmarsch in Georgien einsetzte. Dieser war ein Paradigmenwechsel seitens Moskaus. Russland trennte die Gebiete Abchasien und Südossetien von der Republik Georgien ab. Ein Staat mit offenen territorialen Ansprüchen genießt kein Aufnahmerecht in die Nato.

Ähnlich verfuhr Russland mit der Ukraine. Moskau besetzte 2014 die Krim und unterstützte separatistische Kreise im Donbass. Der Krieg hat bislang rund 15.000 Todesopfer gefordert. Moskau hat kein Interesse, die Konflikte in beiden Staaten beizulegen. Sie verhindern das Abdriften in die Obhut der Nato und sichern zudem den territorialen Zusammenhalt der Einflusssphäre.

Missverständnisse sind kein Zufall

Das Verhältnis zwischen Moskau und dem Westen hat sich längst von der Illusion einer „strategischen Partnerschaft“ zu einer „strategischen Gegnerschaft“ gewandelt. Noch 2010 verpflichteten sich Russland und die EU zur Gründung einer Modernisierungspartnerschaft. Zu diesem Zeitpunkt war das Verhältnis aber bereits zerrüttet. Missverständnisse und Fehlwahrnehmungen sind keine Zufälligkeiten, sie beruhen auf Machtstrukturen des Systems Putin und stellen eine strategische Realität dar. Der Westen muss darauf eine Antwort finden.

Der Kreml versucht, die europäische Sicherheitsarchitektur zu verändern, und verlangt, eine Nato-Mitgliedschaft der Ukraine dauerhaft auszuschließen. Eine solche Zusage wird Russland nicht erhalten. Auch die Geschichte auf die Zeit vor 1997 zurückzudrehen, wie es Putin wünscht, wird nicht gelingen. Auf Abschreckung durch militärische Stärke kann der Westen nicht verzichten. Auch die Verteidigungsfähigkeit der Ukraine zu stärken ist schließlich ein Moment der Abschreckung.

Aufgabe der westlichen Diplomaten wird es sein, Russlands Einwände nicht zu übergehen und ernsthafte Gegenvorschläge vorzulegen. Ansatzpunkte gibt es genug. Die Auffrischung der Helsinki-Schlussakte und der Charta von Paris, die Aktualisierung des Budapester Memorandums von 1994. Auch die Nutzung des Nato-Russland-Rats zur Krisenbekämpfung wäre denkbar. Klar ist überdies: Russland möchte mit den USA verhandeln – ohne Europa. Auch dem muss vorgebeugt werden.

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