Nach Autofahrt in eine Mahnwache: Ermittlungen gegen Demonstrierende

Ein Mitarbeiter der Urananreicherungsanlage in Gronau gefährdet mit seinem Auto protestierende Menschen. Doch die Polizei nimmt nicht ihn ins Visier.

3 vermummte Demonstranten, einer hält ein grell grünes Transparent, "Gronau stillegen"

Die Mahnwachen in Gronau sind schon lange etabliert: Aktion im April 2020 Foto: Rupert Oberhäuser/Caro/Fotofinder

BOCHUM taz | Nachdem ein Mitarbeiter der Urananreicherungsanlage Gronau in eine Mahnwache gefahren war, werfen Um­welt­schüt­ze­r:in­nen der Polizei schwere Ermittlungsfehler vor. Denn obwohl Beamte vor Ort sich zunächst anders geäußert hatten, haben Polizei und Staatsanwaltschaft kein Strafverfahren gegen den Fahrer eröffnet – stattdessen ermittelten sie gegen die Demonstrant:innen. Matthias Eickhoff von der Initiative Sofortiger Atomausstieg versteht das nicht: „Ein Autofahrer, der in eine angemeldete Versammlung fährt, ist aggressiv – und nicht die Protestierenden.“

Der Vorfall ereignete sich bereits im September 2020. Vor dem Haupttor der Urananreicherungsanlage war der Urenco-Mitarbeiter des Urananlagen-Betreibers im Schritttempo in die Mahnwache hineingefahren und hatte versucht, die De­mons­tran­t:in­nen zur Seite zu drängen. Verletzt wurde niemand – doch laut eigener Schilderung war der Mann zuvor von der Polizei aufgefordert worden, einen anderen, problemlos nutzbaren Weg zu nehmen.

Wie aus Unterlagen der münsterländischen Kreispolizeibehörde Borken hervorgeht, notierten die Beamten die Namen von Protestierenden als „potenzielle Zeugen für den Fall einer Anzeige gegen den Autofahrer“. Von Vergehen der Mahnwache-Haltenden war keine Rede.

Auf der Polizeiwache in Gronau wurden dann die De­mons­tran­t:in­nen ins Visier genommen – wegen Nötigung. „Die Entscheidung, gegen die Demonstranten ein Strafverfahren einzuleiten, ist nicht vor Ort gefallen“, sagte Frank Rentmeister, Sprecher der Borkener Polizeibehörde. Nicht jeder Sachverhalt sei „vor Ort komplett rechtlich zu bewerten“.

Anzeigen eingestellt

Unklar ist, wie es zur Neubewertung kam. Die Polizei versichert in einem Schreiben, Grund seien „nicht Gespräche mit der Firma Urenco“ gewesen. „Wer dafür gesorgt hat, dass die Protestierenden plötzlich als Beschuldigte geführt wurden, ist nicht protokolliert“, kritisiert Atomkraftgegner Eickhoff. Gegen den Urenco-Mitarbeiter sei erst ermittelt worden, nachdem die De­mons­tran­t:in­nen ihn selbst aktiv angezeigt hätten.

Mittlerweile hat die Staatsanwaltschaft alle Anzeigen eingestellt – auch gegen Polizeibeamte, denen laut Polizeisprecher Rentmeister „Strafvereitelung und Verfolgung Unschuldiger“ vorgeworfen worden war. Die Anti-Atom-Aktivist:innen haben deshalb bei Nordrhein-Westfalens CDU Innenminister Herbert Reul Dienstaufsichtsbeschwerde gegen dessen Parteifreund, den Gronauer Landrat Kai Zwicker, eingelegt. Als Chef der Kreispolizeibehörde hatte der Jurist sie noch im Oktober in einem der taz vorliegenden Schreiben als „Beschuldigte“ bezeichnet. Den aggressiven Autofahrer kritisierte er mit keinem Wort.

Umweltministerium prüft Vorgehen

Jetzt untersucht das Landesamt für Zentrale Polizeiliche Dienste den Fall. Schließlich kommt es in Gronau immer wieder zu Protesten gegen die Urananreicherungsanlage, die trotz Atomausstieg unbefristet betrieben werden darf und in der auch an „modernen Reaktorkonzepten“ etwa für „Uranbatterien und mikromodulare Reaktoren“ geforscht wird. Bisher sind von Gronau 45.000 Tonnen nach Russland exportiert worden, wo das radioaktive Material unter freiem Himmel lagert.

Aus dem Bundesumweltministerium heißt es, man präferiere „eine gesetzliche Stilllegung der beiden Anlagen“ – und prüfe auf Grundlage des Koalitionsvertrages das weitere Vorgehen. Umso wichtiger sei, dass die Polizei bei künftigen Demos korrekt ermittele, mahnen Umweltschützer:innen. „Es darf nicht noch einmal vorkommen“, sagt Peter Bastian vom Aktionsbündnis Münsterland gegen Atomanlagen, „dass Personen mit einem Auto in eine Protestversammlung hineinfahren und die Polizei dann die gefährdeten De­mons­tran­t:in­nen anzeigt.“

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