Zwischen Autonomiephase und Teenager: Verständnis ist anstrengend

Bevor unsere Autorin Mutter wurde, gab es Warnungen von allen Seiten. Was wirklich anstrengend ist, sagte ihr aber niemand.

Ein Kind spielt mit Sand

Von der Baby- in die Sandphase Foto: Tom Werner/Getty Images

Als ich das erste Mal schwanger war, haben mich Leute gewarnt, was alles vorbei sein würde, sobald das Kind da ist. Kein Kino, keine Konzerte, keine Karriere, kein Sex, keine Bücher lesen oder schreiben, kein Schlaf, zerbrechende Freundschaften, keine Zeit für Fashion oder Körperpflege über Grundlagen hinaus. Es würde alles aufhören, was Spaß macht. Mich hat das so genervt, ich hab damals sogar einen Text darüber geschrieben. Rückblickend gesehen, hatten sie mit einigen Dingen recht. Wobei mein Urteil wohl nicht viel wert ist, denn der Vierjährige hat sein halbes Leben in der Pandemie verbracht. Ich kann nur schwer sagen, ob ich sonst nicht schon wieder öfter im Kino wäre oder schon drei Bücher geschrieben hätte.

Hätte ich nicht. Es kam ja vor einiger Zeit noch ein Baby. Die Leute haben gesagt: „Das zweite Kind läuft mit.“ Ha! Also ja, läuft mit, wie in: wird mitgeschliffen in einem Strom aus Familienverpflichtungen und –dynamiken. Es ist dennoch mehr Arbeit. Beim Zweiten ist es also nicht zwangsläufig einfacher, aber man besitzt immerhin Praxiserfahrung. Man wehrt sich auch nicht mehr so sehr. Die Augenschatten sind bereits Teil des Gesichts. Und es ist auch keine tägliche Grenzerfahrung mehr, für jedes Mal das Haus verlassen zwei Stunden einplanen zu müssen.

Irgendwann hat man akzeptiert, dass die nach der Babyphase einsetzende Freude über die neue Fähigkeit des Kindes, seine Körperflüssigkeiten die meiste Zeit in seinem Körper zu behalten, nur von kurzer Dauer ist, denn sie geht direkt in die Sandphase über. Da rieselt Kindern aus unerfindlichen Gründen und zu jeder Zeit Sand aus dem Körper, als würden sie ihn selbst produzieren. Statt sich zu ärgern, besitzt man bald eine nach Größe und Zweck geordnete Sammlung von Besen und Staubsaugern. Man hat sich gefügt. Ist weich geworden, wie Wachs in kleinen, klebrigen Kinderhänden.

Gewarnt wurde ich auch vor: dem Zahnen, der Autonomiephase mit zwei Jahren und der Teenagerzeit. Nun sind wir da noch lange nicht, aber ich wundere mich bisweilen, dass mich niemand vor Vierjährigen gewarnt hat. Dieses Alter ist eine unangenehme Mischung aus blühender Fantasie, emotionaler Instabilität, Unwissenheit und kompletter Selbstüberschätzung.

Der Vierjährige scheint Gelerntes zu verlernen. Er klettert plötzlich auf die Brüstung im Treppenhaus. Fährt mit seinem Rad gedankenversunken fast in den Verkehr. Er malt alles an, außer das Papier, das dafür bestimmt wäre. Es ist, als würde in seinem Kopf mehrmals täglich ein kleiner Tschinelle spielender Affe das Ruder übernehmen. Manchmal scheint er selbst erschrocken darüber, was er tut. Er entschuldigt sich, oder wird wütend und dann traurig. Weltschmerztraurig. Ich kann mich erinnern, dass ich auch so war.

Ich hab also vollstes Verständnis. Aber mir war nicht klar, wie anstrengend das für Eltern ist. Letztens hat er mich ganz freundlich gefragt, wo ich seine Socken hingelegt habe und als ich ihm geantwortet habe, legt er die Stirn in Zornesfalten und brüllt: „Das weiß ich doch!“

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Schreibt über Gesellschaft, Politik, Medien und manchmal über Österreich. Kolumne "Kinderspiel". War 2013 Volontärin der taz panter-Stiftung, dann taz-Redakteurin. Von 2019 bis 2022 Ressortleiterin des Gesellschafts- und Medienressorts taz zwei. Lebt und arbeitet in Wien.

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