Open Mike Publikumspreisgewinnerin: Holzhausen

Die Autorin Laura Anton hat 2021 den taz-Publikumspreis im Literaturwettbewerb Open Mike gewonnen. Über Enge und Ausweglosigkeit eines kleinen Kaffs.

Überreste vom Silvesterfeuerwerk am Neujahrsmorgen, am Straßenrand

„einer bringt übrig gebliebene böller und sie streiten sich darum wer den pyro cracker anzündet“ Foto: Jochen Tack/imago

content notification: Dieser Text thematisiert häusliche Gewalt und Übergriffigkeit, schildert diese aber nicht explizit.

Spieli

der spieli ist matschig und voller gangs, die leise ticken und kippenstummel sammeln um sich damit ihre sportzigaretten zu bauen

von silvester liegen noch karminrot aufgeplatzte raketenkörper im schnee es riecht nach erstem januar und der spieli ist leer bis auf ein paar breitbeinig auf den bänken katernde

einer bringt übrig gebliebene böller und sie streiten sich darum wer den pyro cracker anzündet

sie bewerfen sich mit knallerbsen und jagen briefkästen in die luft

die gangs gehen alleine heim

zuhause lächelt die mutter über die zündelei und wärmt die reste auf

Ferien

heckenbiotop neufeld die hood zwischen tennisplatz und schulhof erschlossen die bänke zugeteilt

jemand erlebt zärtlichkeit jemand gräbt die nase in die kiefermulde eines anderen körpers jemand erlebt auf einem ikea-sofa unter der dartscheibe wie die zeit in einem partykeller gerinnt jemand sagt nicht was sich richtig anfühlt

manche stellen werden erst durch andere warm

im sommer machen sie feuer auf dem gartengrundstück beim acker seiner mutter und saufen unterm großen wagen bis sich die sterne in schlieren über ihre netzhäute ziehen und sie nacheinander zwischen die kartoffelpflanzen kotzen

sie reden über große pläne wo sie sich bewerben werden wann sie wohin gehen können und über die bose box hallt deutschrap über die sanften ackerhügel

nmzs, prezident, audio 88

sie legen scheite nach, die feuchten von ganz unten im stapel an denen die asseln kleben und die sich im feuer einkringeln und verschrumpeln eine große spinne deren beine eine kurze stichflamme auflodern lassen und würmer die zu blubbern beginnen

die nacht wird feucht und die box hat keinen akku mehr die gespräche versickern angenehm unangestrengt und holzhausen liegt in der letzten schlafphase

sie nicken ein in den campingstühlen seiner mutter und werden wach weil die sonne sich heiß über den horizont schiebt

jemand ist schon am rasen mähen und sie rauchen glitzernd in den morgen, zählen müde fluchend ihre mückenstiche

der durst lässt sie das feuer austreten und mit pochenden schläfen nach hause gehen die abkürzung durch ein paar gärten am dorfbach heckenbiotop neufeld ein bro hug zum abschied bis dann und der sommer bleibt noch wochen

tagsüber treffen sie sich ohne verabredung auf dem sofa beim wasserspeicher, dem steinwürfel hinterm maisfeld wo sie schon kindheit verbrachten und die kieselsteine vom dach um die wette schleuderten, wo sie schon räuber waren und tipis gebaut hatten, wo sie jetzt auf dem weißen sofa fläzen und das kunstleder an den schweißbefilmten oberarmen quietscht, wenn sie sich vorbeugen um den joint zu reichen, die box rutscht manchmal zwischen lehne und sitzfläche und kurz ist die musik wie unter wasser, manchmal können sie sich nicht bewegen und bleiben untergetaucht, den kopf im nacken, die sonne durch die fichtenäste wegzwinkern und warmen tetrapackeistee zwischen die beinen geklemmt

schau mal

mh

hubschrauber

landet drüben in ehrenkirchen

vielleicht holen sie ihn jetzt ab

wen

den pedo

der ist doch schon lang weg

ne der ist wieder da meine schwester hat ihn gesehen wie er am sporti beim mädchenfußball fotografiert hat er hatte eine sonnenbrille auf so eine gelbe skibrille

echt ne skibrille

ja halt nicht so ne große weißt so eine ohne ränder

achso

klischee oder alle pedos haben so brillen und ­partiboi69

achwas

ne doch echt jetzt hab ich auf galileo gesehen

galileo mystery oder was

ja wirklich und sie haben immer lange finger­nägel aber gut gefeilt

jetzt red keinen stuss

Open Mike: Mit dem Text „Originale“ gewann Laura Anton am 14. November 2021 den taz-­Publikumspreis beim Literatur­festival Open Mike im Heimathafen Neukölln in Berlin. Die Publikums­jury wird von der taz betreut, ihr gehörten in diesem Jahr Isabelle Abt, Philipp Adolphs, Annika Böttcher, Birgit Steckelberg und Jacqueline Strobel an. Danke!

Zu dem Preis gehört die Veröffentlichung des Textes – hier ist er.

Die Autorin: Laura Anton, geboren 1999 in Freiburg, studiert Sprachkunst sowie Kultur- und Sozial­anthropologie in Wien.

Sie schreibt auch im Kollektiv Halm, von dem 2021 ein Hörstück über Sexismus im Literaturbetrieb („es gibt diese namen/es gibt diese wut“) für den ARD-Pinball nominiert und auf Deutschlandfunk Kultur ausgestrahlt wurde. Sie war Mitherausgeberin der Literaturzeitschrift Jenny#8 und ist Mitorganisatorin der Lesereihe Sehr Ernste.

Innerhalb dieser Eckdaten wird von ihr, so sagt sie selbst, nach Worten gesucht, die Anliegen, Fragestellungen und Steine auf dem Herzen in eine Form bringen. Das wird zwischen Gattungen verhandelt, aber auch intermedial versucht.

Wichtig ist ihr dabei: die politischen Ansprüche nicht hinter die ästhetischen zurückzustellen.

und sie haben diese umhängetaschen mit klettverschluss die rtttschhh machen wenn sie ihr fernglas rausholen

klar

ja ok ich verarsch dich

achwas

Geifer

asbest und stirnwolken

apathische indolenz die diagnose

reichsbürger get togethers

holzhausen hh weißt eh

alles gut hier wir brauchen alles was wir haben

hier unter uns

die grauen kreise im asphalt das sind die spucklöcher

da haben die ihren speichel gesetzt

die haben alle die spucksucht

ihren geifer verteilen die überall am schlimmsten die bushaltestellen

hab mal einen gesehen der hat sich erwischt wegen gegenwind

da hing dann ein faden von lippe zu anorak und ein vogelschissartiger spuckestreifen ist runtergelaufen er hat ihn ganz schnell weggewischt großflächig verteilt dabei und mit dem faden gekämpft der wollte nicht abreißen von dem ganzen zeug das die sich ballern gerinnt das halt schnell

der prügel der hässliche mit dem stoppelkinn und den kleinen eiern der die ausländer verdrischt am dorfbach hinterm tennisclub

mit dem war man mal auf dem bolzplatz

mit dem hatte man mal ein paar momente

mit dem war man mal im urlaub

der wirft jetzt steine und äste was halt gerade da ist ein nummernschild das fliegt aber nicht gut eine flasche ein hitlergruß eine drohung auf haue

noch einmal sag ich

einmal noch

Schrank

der schrank von gegenüber trägt tags die kitty auf dem arm und krault ihre kehle

der schrank von gegenüber wirft abends frisbees federball basketball mit dem kleinen in die blaue stunde nach dem essen

der schrank von gegenüber trägt nachts tote hosen sommertour 2005 shirts

die frau vom schrank gegenüber trägt oft schals und schminke die ihr im sommer vom gesicht schwitzt und linien über die backen fräst

die frau vom schrank gegenüber trägt die schultern nah beieinander und spielt schlecht kriegt beim basketball mit dem kleinen oft einen ball ins gesicht erzählt der schrank denen die fragen und niemand denkt zweimal drüber nach

Dieser Text stammt aus der taz am wochenende. Immer ab Samstag am Kiosk, im eKiosk oder gleich im Wochenendabo. Und bei Facebook und Twitter.

manchmal wird es spät bei uns

wetten dass

manchmal wird es spät bei uns und der kleine im bett man hört die träume platzen wenn die eltern so spät noch rumpeln und schreien

früher dachte er noch sie würden ficken wie in den pornos aber jetzt ist er 9 und weiß bescheid

einmal nachts er hatte zu lange fifa im stickicht unter der bettdecke auf der psp gespielt und schon wieder hunger bekommen da ging er die treppe runter in die küche um sich ein kinderpingui aus dem kühlschrank zu holen und in der küche brannte das licht über der spüle wie es nachts immer brannte wegen der einbrecher oder einfach weil dunkelheit aussperren ein basic skill ist da saß die mama am küchentisch ein riesenschreck sie sah bestimmt in seinen augen dass er noch gedaddelt hatte und das zu dieser stunde! aber die mama saß hinter einem großen bier und kicherte

er überlegte schnell rückwärts hoch die stufen zu schleichen doch dann sah er wie die mama nicht kicherte sondern traurig war und bebte, da begegneten sich schon ihre augen und er lernte wegzusehen

zum muttertag musste er im deutschunterricht ein elfchen auf eine papiertulpe schreiben:

mama

ist klug

kocht immer gut

heimlich spucken ins vateressen

dankbarkeit

beim abendessen tankt der schrank energie indem er seine jungs beim schaufeln heimlich stolz mustert, die nicht vom teller aufschauen wegen der roten augen, es riecht stark nach axe und warmen kartoffeln

die kinder spielen auf ihrem zimmer oder in der spüle in der waschmaschine mit dem geschirr von oma

die ist ja tot

neulich da hats so geregnet es hat einen graben hinters carport gewaschen und jetzt hat er eine stufe gebaut es erschüttert das ganze auto beim übersetzen die kinder kieksen immer und er beschwert sich

er beschwert sich mit vollem mund über den kuchen (zu trocken) er beschwert sich beim reinkommen (zu kalt) er beschwert sich über die kids (zu wach) er entleert sich und wischt ihr sorgsam den samen vom bauch

die cousinen mit den kinderbuggies streunen durch die straßen und besuchen abwechselnd die übrigen omas

drinnen bohrt sich dem papa eine playmobillanze in den fuß er schreit auf und es pocht beim steuernmachen am küchentisch

die mama hat die pferdeleine umgespannt ­bekommen der kleine spielt hubschrauber er lässt die lippen schlackern und rast vornübergebeugt durchs haus schlittert übers neue parkett

Nebenan

die alte nachbarin nebanan kaut morgens zwei scheiben roggenbrot mit schinkenspicker schluckt mit schwarztee fährt mit der zungenspitze über die schneidezähne im gebiss um keine krümel zu zeigen als sie ihren mann fragt ohne von der zeitung aufzusehen

verhältniswort 7 buchstaben zuliebe zuwider zurlast was sagst du mein schatz

sie schüttelt den kopf auf sein schweigen und tippt mit feuchtem zeigefinger ein krümel aus dem kästchen

sie ist noch neu in diesem verhältnis und dreht am regler das radios senderwechsel funk­mastenrauschen alte popsongs die noch neu sind für sie

nach dem frühstück die blumenkästen wässern die toten margaritenköpfe abzwicken frische erde um die schwarzäugige susanne festdrücken sich mit den erdigen fingern vorsichtig den nasenflügel kratzen

die tägliche runde um nach dem rechten zu schauen an den holzzäunen zu stromern und lavendel aus fremden gärten zu zwacken ein pläuschchen zu führen april april der macht was er will die eisheiligen die störche auf dem kirchdach sind geschlüpft es gibt heute eine liveübertragung im rathaus sie haben die kamera säubern müssen vom blutregen neulich jetzt gibts wieder nachwuchs

beim neurologen war sie noch nicht und bittet höflich ihren mann aus der kartei zu nehmen

Tradition

vorm bürgerbüro wird der maibaum gestemmt

20 männer in feuerwehrhemden hiefen und ­hinter der absperrung werden bilder geschossen

grillparties fleisch wenden betrunkene eltern gartenstuhl löcher im rasen vom kippeln auf den hinterbeinen

der kugelgrill wird angeheizt und der smoker

er wedelt mit zusammengekniffenen augen luft mit der kehrschaufel vom handfeger und es lodert manche machen aaaaah und pusten die aufgestobene asche vom baguettekorb

der grillmeister hat schlechte laune aber er ist fachmann und schwitzt gerne für die gäste beim würstchenwenden

es landen ein paar sprüche die immer landen (wir sind die ersten die anfangen mit grillen und die letzten die aufhören/das nächste mal grillen wir griechisch – ohne kohle)

und wenn er dann das fertige fleisch serviert -wenn er etwas serviert dann nur fleisch durch schweiß- und die gäste kauend verstummen suhlt sich seine schlechte laune in erhabenheit

Doktor

schon seit die kleine denken kann gibts den grünen gartenzaun an dem sie hochwächst der einen holzlattenschatten in ihre schritte wirft wenn sie nachmittags nach der schule nach dem kinder­turnen nach hause geht

es gibt einen waagrechtstreifen an dem entlang sie ihre finger rattern lässt, es gibt den ein oder anderen splitter den sie sich aus der haut saugen musste

oft nehmen sie pakete entgegen wenn der doktor nicht da ist und dann bringt die mutter dem doktor die pakete wenn er wieder da ist

sie dachte der doktor wäre kinderarzt wie alle kinderärzte doktoren sind doch der doktor ist ein titel und er hat zu tun mit den kleinstlebewesen wie er ihr erzählte als sie ihn fragte

mit kindern also fragte sie

mit mikroben sagte der doktor, magst du mal schauen

und der doktor hat einen schreibtisch im wohnbereich und dort steht das mikroskop wie eine saufende metallgiraffe

er schiebt glasblättchen unters objektiv und sie darf scharfstellen er hilft ihr das unnütze auge zuzuhalten und sie erkennt gar nichts spannendes außer ein paar ringe und punkte und ihre wimpern die ins okular zwinkern

sie darf auch ihren finger unters objektiv halten und der sieht aus wie ein abgesägter baum

jahresringe sagt der doktor und berührt ihren nacken

er hat kalte arzthände, deshalb wundert sie sich nicht, das ist bekannt vom brustkorb abhorchen und impfen

der doktor hinterlässt dort im nacken ein muttermal

der doktor steht oft an der tür wenn sie am zaun vorbeigeht und sie bringt dinge mit, die sie unterm mikroskop anschauen will

blätter, eine libellenleiche, ein bisschen spitzerdreck, eine vogelfeder

sie dreht am grobtrieb und er hält sie fest

das gehört dazu damit sie nicht wackelt

Holzhausen

wir haben gelernt: je kleiner man denkt desto größer die wohnung

wir sind uns sicher die kleinen scheißer die hier durch die straßen flacken gehen aus denen wird mal was

hier haben die alten die macht die rentner die harzer die hängen die sweater die hängen sich gegenseitig als bild an die wand und am türrahmen alle postkarten von heike und uwe aus malle

die familienwagen firmenwagen familienfirmenwagen

die illustrierten die klappstühle die vogelbäder die auffahrten die gelbe tanke neben der ortseinfahrt das alprazolam marlboro gold holzlack autosticker

ein kaff auf dem weg zur kleinstadt ein shithole mit gepflasterter auffahrt ein bobbicar neben ­jeder tür ein trekker ein paar süchtige ein paar vapen ein paar nur ein paar mal die woche ein paar schränke ein paar faschos ein paar mit ­verlassensangst ein paar die es nötig haben und ein paar die es haben ein paar die rumhängen ein paar die schuften für geld ein paar die schuften aus liebe

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