NSU-Ausschuss in Mecklenburg-Vorpommern: Behörden im Fokus

Mecklenburg-Vorpommern hat zwar sehr spät einen Untersuchungsausschuss zum NSU eingesetzt, dafür aber mit ausgesprochen weitem Auftrag.

Fahrradfahrer fährt an Denkmal entlang

Älter als die parlamentarischen Untersuchungen: Mahnmal für NSU-Opfer Mehmet Turgut in Rostock Foto: Jens Büttner/dpa

BREMEN taz | Normalerweise zählen Untersuchungsausschüsse (PUA) im parlamentarischen Geschäft zu den Instrumenten der Opposition. Als ihr schärfstes Schwert werden sie gern tituliert, als ginge es um eine blutige Fehde und nicht um politische Auseinandersetzungen.

In Mecklenburg-Vorpommern hingegen schreien die oppositionellen AfD und CDU Zeter und Generalverdacht!, weil die Regierungsfraktionen die Aufklärungsarbeit in Bezug auf den rechtsextremen Terror des „Nationalsozialistischen Untergrunds“ (NSU) fortsetzen und erweitern wollen: Am 25. Februar 2004 war Mehmet Turgut in Rostock erschossen worden.

Außer Hamburg haben alle Bundesländer, in denen das Trio aus Uwe Böhnhardt, Uwe Mundlos und Beate Zschäpe gemordet hat, einen PUA eingesetzt. Dessen Arbeit auf eine zweite Legislaturperiode ausgedehnt haben zuvor schon Thüringen, Sachsen und Baden-Württemberg.

Darüber, dass auch in Mecklenburg-Vorpommern ein entsprechender Bedarf ist, waren sich Linke und SPD schon im Frühjahr einig, der Koalitionsvertrag hat das bekräftigt. Den Weg fürs Gremium auch formal freigemacht hat nun der Landtag in der letzten Sitzung des Jahres am 16. Dezember. Und das verdient Beachtung.

Denn, nachdem es in Mecklenburg-Vorpommern besonders lang gedauert hatte, bis sich das Parlament endlich konsequent um die Rolle öffentlicher, staatlicher Stellen in dem Komplex zu kümmern begonnen hat – erst 2018 wurde dort, nach zähem Ringen, der erste PUA eingesetzt –, ist der Nordosten diesmal eher Avantgarde: Die Abgeordneten in Schwerin sollen mit der Netzwerkstruktur des NSU auch seine Verbindungen mit anderen rechtsradikalen Gruppen wie Oldschool Society, Combat 18, BaltikKorps sowie Nordkreuz in den Blick nehmen, wie es im Einsetzungsbeschluss heißt.

Außerdem müssen sie prüfen, wo die Landesbehörden diese Bandenbildung gefördert oder stabilisiert haben – aus Versehen oder wissentlich. Hinter einem Spiegelstrich steht sogar: „Bildung einer rechten Gruppierung innerhalb des Sondereinsatzkommandos [sic!] im Landeskriminalamt M-V“!

Ohne falsche Rücksichtnahme

Trotz des terminologischen Fauxpas – Sonderkommando ist ein SS-Begriff – scheinen hier Menschen mitformuliert zu haben, die sich auskennen. Der Auftrag geht deutlich über das hinaus, was in Baden-Württemberg, Thüringen oder Sachsen an Anforderungen für die Zweitauflage formuliert worden war.

Und warum CDU-Fraktionsvize Ann Christin von Allwörden glaubte, in der Plenardebatte davor warnen zu müssen, dass der PUA „ohne echtes Ziel in Aktenbergen herumstochern“ würde, ist angesichts der so konkreten Aufgabenbeschreibung schwer nachzuvollziehen. Oder hätte der Antrag noch einmal direkt nach Lorenz Caffier fragen sollen, dem CDU-Innenminister, der Privatwaffen bei Privatnazis kaufte?

Der Beschluss scheint erfreulich frei von jener falschen Rücksichtnahme, mit der im schwarz-grünen Hessen ein vertiefendes, im rot-grünen Hamburg sogar jegliches peinliches Fragen nach einer Unterwanderung der Sicherheitsbehörden unter den Teppich gekehrt wird. Für diese Gebietskörperschaften kann Mecklenburg-Vorpommern also als gutes Beispiel fungieren.

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Rechtsextreme Terroranschläge haben Tradition in Deutschland.

■ Beim Oktoberfest-Attentat im Jahr 1980 starben 13 Menschen in München.

■ Der Nationalsozialistische Untergrund (NSU) um Beate Zschäpe verübte bis 2011 zehn Morde und drei Anschläge.

■ Als Rechtsterroristen verurteilt wurde zuletzt die sächsische „Gruppe Freital“, ebenso die „Oldschool Society“ und die Gruppe „Revolution Chemnitz“.

■ Gegen den Bundeswehrsoldaten Franco A. wird wegen Rechtsterrorverdachts ermittelt.

■ Ein Attentäter erschoss in München im Jahr 2016 auch aus rassistischen Gründen neun Menschen.

■ Der CDU-Politiker Walter Lübcke wurde 2019 getötet. Der Rechtsextremist Stephan Ernst gilt als dringend tatverdächtig.

■ In die Synagoge in Halle versuchte Stephan B. am 9. Oktober 2019 zu stürmen und ermordete zwei Menschen.

■ In Hanau erschoss ein Mann am 19. Februar 2020 in Shisha-Bars neun Menschen und dann seine Mutter und sich selbst. Er hinterließ rassistische Pamphlete.

Dieser Artikel stammt aus dem stadtland-Teil der taz am Wochenende, der maßgeblich von den Lokalredaktionen der taz in Berlin, Hamburg und Bremen verantwortet wird.

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