Hohe Kosten auf dem Großmarkt: Stromversorger lehnen Neukunden ab

Hohe Strompreise im Großhandel machen die Kundenakquise zum Verlustgeschäft. Versorgungsengpässe treiben die Kosten in die Höhe.

Hinter einem Wald aus Strommasten drehen sich Windräder,

NRW, Rommerskirchen: Hinter einem Wald aus Strommasten drehen sich Windräder, die Strom erzeugen Foto: Federico Gambarini

BERLIN taz | Die Verwerfungen in der Energiewirtschaft erreichen die Haushaltskunden: Immer mehr Stromversorger nehmen außerhalb ihres Grundversorgungsgebiets keine Neukunden mehr an. So haben unter den bundesweiten Ökostromanbietern bereits die Elektrizitätswerke Schönau (EWS) und Green Planet Energy (ehemals Greenpeace Energy) mitgeteilt, vorübergehend keine Neukunden mehr unter Vertrag zu nehmen. Auch zahlreiche regionale Energieversorger beschränken sich inzwischen bei Neuverträgen auf das eigene Netzgebiet, wo sie als Grundversorger zur Belieferung verpflichtet sind.

Der Hintergrund: Die Versorger würden mit Neukunden inzwischen erhebliche Verluste einfahren, wollten sie diese zu den üblichen Strompreisen versorgen. Denn während die Unternehmen für ihre Bestandskunden den Strom oft langfristig zu günstigen Preisen beschafft haben, müssten sie die zusätzlichen Strommengen für Neukunden noch kurzfristig im Großhandel zu inzwischen extrem hohen Preisen erwerben. So macht der aktuelle Strommarkt jede Neukundenakquise betriebswirtschaftlich indiskutabel. Lediglich Unternehmen, die bei ihrer langfristigen Einkaufspolitik bereits ein gewisses Kundenwachstum eingeplant hatten, nehmen noch Neukunden an. Dazu zählt derzeit zum Beispiel noch die EnBW.

Betroffen von der eingeschränkten Auswahl an Stromanbietern sind nun speziell solche Kundinnen und Kunden, die von ihrem bisherigen Versorger nicht mehr beliefert werden können, etwa weil dieser insolvent ist. Solche Fälle nehmen zu: Jüngstes Beispiel ist die Insolvenz der Neckermann Strom AG. Zuvor waren bereits mehrere kleine Anbieter pleitegegangen, da sie sich gegen den Preisanstieg an der Strombörse offenbar nicht ausreichend abgesichert hatten.

Die aktuelle Marktkonstellation resultiert aus Turbulenzen ungekannten Ausmaßes in der gesamten Energiewirtschaft: Wer in den letzten Tagen Strom für das Jahr 2022 kaufen wollte, musste in der Grundlast dafür zeitweise mehr als 31 Cent je Kilowattstunde bezahlen – vor einem Jahr hatte der Preis noch unter 5 Cent gelegen. Besonders extrem ist das Preisniveau für Stromlieferungen im ersten Quartal des Jahres 2022: Bis zu 44 Cent kostete für diesen Zeitraum zuletzt eine Kilowattstunde am Terminmarkt.

Geringere Produktion in Russland und Frankreich

Ursachen sind zum einen die hohen Erdgaspreise aufgrund reduzierter Lieferungen aus Russland. Am Spotmarkt wurde Gas am ­Mittwoch für 18 Cent je Kilowattstunde verkauft, 10-mal so teuer wie vor einem Jahr. RWE warnte bereits, es bestehe das Risiko einer Unterbrechung der Gaslieferungen – mit dem Ergebnis, dass man die Verfügbarkeit mehrerer Kraftwerksblöcke in Nordrhein-Westfalen im Winter nicht mehr zu jeder Zeit garantieren könne.

Zudem verknappen der weitere Ausstieg aus der Atomkraft und der begonnene Ausstieg aus der Kohle in Deutschland das Stromangebot. Hinzu kommen massive Sicherheitsprobleme in französischen Atomkraftwerken, die auf den gesamten mitteleuropäischen Strommarkt ausstrahlen: 17 von 56 Blöcken in Frankreich produzierten dieser Tage zeitweise keinen Strom. So waren von den vorhandenen 61 Gigawatt mitunter nur 41 Gigawatt tatsächlich verfügbar, was zur Folge hatte, dass Frankreich in den letzten Wochenbilanzen in der Summe jeweils Strom importieren musste – eine Situation, die anhält und die den Markt mit Blick auf den bevorstehenden Winter zusätzlich verunsichert.

Das Beispiel Frankreich zeigt zudem, dass auch das Festhalten an der Atomkraft nicht ­gegen hohe Strompreise hilft: Am Mittwoch gehörten die Preise an den Spotmärkten, wo kurzfristige Stromlieferungen gehandelt werden, dort durch die vielen Kraftwerksausfälle zu den höchsten in Westeuropa. Und auch im November lagen sie im Schnitt schon 23 Prozent höher als in Deutschland.

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