Tigray-Rebellen ziehen sich zurück: Wende im Äthiopien-Krieg

Der Vormarsch Richtung Addis Abeba ist beendet. Alle eroberten Gebiete außerhalb Tigrays werden aufgegeben. Die Wende brachten Kampfdrohnen.

Kämpfer der Tigray People's Liberation Front (TPLF) geht durch eine Straße in der Stadt Hawzen im Mai 2021 Foto: Ben Curtis/ap

BERLIN taz | Wendepunkt in Äthiopiens Bürgerkrieg: Die Aufständischen der nordäthiopischen Region Tigray haben die von ihnen zuletzt eroberten Gebiete außerhalb Tigrays aufgegeben. „Ich habe den Einheiten der Tigray-Armee außerhalb der Grenzen Tigrays befohlen, sich mit sofortiger Wirkung an die Grenzen Tigrays zurückzuziehen“, erklärte Debretsion Gebremichael, Präsident der abtrünnigen Regionalregierung Tigrays, in einem am Montagabend veröffentlichten Brief an UN-Generalsekretär Antonio Guterres. „Wir schlagen eine sofortige Einstellung der Kämpfe vor, gefolgt von Verhandlungen.“

Das Schreiben ging an die UNO pünktlich zu einer Sondersitzung des UN-Sicherheitsrats zum Konflikt in Äthiopien, der als derzeit blutigster der Welt gilt. Im November 2020 hatte Äthiopiens Ministerpräsident Abiy Ahmed, der das Land seit 2018 regiert, die Tigray-Regionalregierung der früher in ganz Äthiopien dominanten TPLF (Tigray.-Volksbefreiungsfront) abgesetzt und die Kontrolle über Tigray übernommen, unterstützt vom Nachbarland Eritrea. Die TPLF-Truppen, zu denen die kriegserfahrensten Teile der äthiopischen Armee gehören, eroberten ihre Region allerdings bis Ende Juni 2021 zurück, mit Ausnahme des Tieflands an der Grenze zu Sudan. Sie drangen tief nach Äthiopien vor, in Richtung der Hauptstadt Addis Abeba.

Dort verhängte die bedrängte Regierung im November den Ausnahmezustand, eine Massenverfolgung von Tigrayern setzte ein. Die Tigray-Kämpfer verbündeten sich mit Rebellen in anderen Landesteilen und erreichten Debre Sina knapp 200 Kilometer nördlich von Addis Abeba, der höchste Punkt der 800 Kilometer langen Straße, die Tigrays Hauptstadt Mekelle mit Addis Abeba verbindet.

Doch gelang den Tigray-Rebellen der Durchbruch nicht. Stattdessen setzte Äthiopiens Armee massiv Kampfdrohnen ein, die sie unterschiedlichen Berichten zufolge aus der Türkei, den Vereinigten Arabischen Emiraten oder Iran erworben haben soll, und zerstörte einen Großteil des schweren Kriegsgeräts der Tigray-Kämpfer. Diese zogen sich ab Anfang Dezember immer weiter zurück – „intakt und am Boden ungeschlagen“, wie Debretsion in seinem Brief euphemistisch die Flucht vor den Luftattacken umschreibt.

TPLF will nun durch diplomatischen Druck Ziel erreichen

Die TPLF will nun durch diplomatischen Druck erreichen, was ihr militärisch nicht gelang: einen Politikwechsel in Addis Abeba. Die internationale Gemeinschaft müsse jetzt „ihre Zögerlichkeit bei der Ausübung von Druck auf Abiy Ahmed und seine regionalen Komplizen, damit sie ihre Völkermordkampagne in Tigray beenden, einstellen“, schrieb TPLF-Sprecher Getachew Reda auf Twitter. Die Regierungen der USA und Großbritanniens begrüßten den Rückzug der Tigray-Kämpfer und sprachen von einer Chance für Friedensgespräche.

Aber Äthiopiens Regierung hat dies nicht aufgenommen. Sie bleibt bei ihrer Forderung, die TPLF müsse bedingungslos die Waffen strecken. Am Montag und Dienstag wurden massive äthiopische Drohnenangriffe auf zivile Ziele in Tigray mit Dutzenden Todesopfern gemeldet.

Denn der gegenseitige Hass ist ungebrochen. Zu Kriegsbeginn hatten Amhara-Milizen in Teilen Tigrays massive Verbrechen verübt. Während ihres Vormarsches Richtung Addis Abeba begingen wiederum die Tigray-Rebellen Massaker und Plünderungen. Bei ihrem Rückzug aus der größten von ihnen eroberten Stadt Dessie verwüsteten sie das größte Krankenhaus der Region. Nach UN-Angaben sind derweil bei Massenverhaftungen von Tigrayern im äthiopischen Regierungsgebiet 5.000 bis 7.000 Menschen spurlos verschwunden.

Wegen dieser Vorwürfe setzte der UN-Menschenrechtsrat vergangene Woche eine internationale Untersuchung ein, gegen den Willen Äthiopiens. International wird nun darauf geachtet werden, ob Äthiopien diese Untersuchung zulässt und humanitäre Hilfe ungehindert nach Tigray lässt. Seit die Tigray-Rebellen Ende Juni Äthiopiens Armee aus Tigray verjagten, konnten UN-Hilfswerke nur 12 Prozent des humanitären Hilfsbedarfs nach Tigray bringen. Dort sind nach UN-Angaben 5,2 der 6 Millionen Einwohner auf Nahrungsmittelhilfe angewiesen, 2,1 Millionen sind auf der Flucht.

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