Debatte um Straßennamen: Falsche Ehre für Luther und Kaiser

Ein Dossier des Antisemitismusbeauftragten durchforstet Straßennamen nach antisemitischen Bezügen – und empfiehlt jede Menge Umbenennungen.

Straßenschild "Lohengrinstraße"

Vorhang zu? Diese Oper soll mit ihrem Autor Richard Wagner aus dem Stadtbild verschwinden Foto: imago images

BERLIN taz | Dass „die Juden unser Unglück“ seien, ist wohl der bekannteste Satz Heinrich von Treitschkes (1834–1896): Er schaffte es lange nach dem Tod des Historikers auf die Titelseite des Nazi-Blatts Stürmer. Weil Treitschke als Mitbegründer des modernen politischen und kulturellen Antisemitismus gilt, sollte die nach ihm benannte Straße in Steglitz schon vor Jahren umbenannt werden – das scheiterte allerdings an der schwarz-grünen Zählgemeinschaft im Bezirk, die sich auf eine Befragung von AnwohnerInnen berief.

Noch gibt es also eine Treitschkestraße in Berlin, aber es ist nicht die einzige mit einem antisemitischen Bezug. Ganz im Gegenteil: Ein nun veröffentlichtes Dossier, erarbeitet von dem Politikwissenschaftler Felix Sassmannshausen, zählt nicht weniger als 290 Straßen und Plätze auf, die mit einer entsprechenden Problematik behaftet sind. In Auftrag gegeben hat es der Ansprechpartner des Landes Berlin zu Antisemitismus, Samuel Salzborn, der das Dossier am Montag auch der Presse vorstellte. Schwerpunkte der Liste sind Persönlichkeiten des 19. Jahrhunderts, des Kaiserreichs und der Weimarer Republik.

Im vergangenen Jahr sei eine ausführliche Debatte über Straßennamen auf Basis einer postkolonialen Perspektive geführt worden, erläuterte Salzborn die Genese des Dossiers: „Meines Erachtens ist es notwendig, diese Diskussion zu erweitern.“ Als Grundlage dient die „AV Benennung“: Das sind die Ende 2020 geänderten Ausführungsvorschriften zu § 5 des Berliner Straßengesetzes, in denen es nun heißt, die Umbenennung einer Straße sei auch bei Namen „mit Bezug auf die Zeit vor 1933“ zulässig, „wenn diese nach heutigem Demokratieverständnis negativ belastet sind und die Beibehaltung nachhaltig dem Ansehen Berlins schaden würde“.

Von dem vorliegenden Dossier, das Handlungsempfehlungen in mehreren Abstufungen gibt – von einer „digitalen Kontextualisierung“, also einer Einordnung der historischen Figur im Rahmen eines Internetangebots, bis hin zur Umbenennung –, erhoffe er sich nun eine Diskussion, die in den Bezirken geführt werden müsse, sagte Salzborn: „Es kommt darauf an, was Politik und Zivilgesellschaft aus dieser wissenschaftlichen Empfehlung machen.“ Die Debatte sei durchaus offen. In jedem Fall seien Straßennamen als „hohe Form der Ehrung“ immer wieder kritisch zu überprüfen, zitierte der Ansprechpartner den Deutschen Städtetag.

Schlechte Karten für Preußen

Besonders unglücklich dürfte jetzt das Haus Hohenzollern sein. Der Autor des Dossiers empfiehlt im Fall von Preußenkönig Friedrich Wilhelm I. (1688–1740) noch eine Kontextualisierung im Straßenbild, etwa durch eine erläuternde Tafel. Doch schon bei dem nach Wilhelm II. (1859–1941) benannten Kaiserdamm zieht er eine Umbenennung in Betracht. Der Monarch habe sich offen antisemitisch geäußert und hinter dem Ersten und Zweiten Weltkrieg eine jüdische Weltverschwörung gesehen.

Nicht besser ergeht es – aus gutem Grund – den Preußensprösslingen Wilhelm (Kronprinzendamm in Charlottenburg), Eitel (mehrere Eitelstraßen) und Oskar (Oskarstraße in Lichtenberg). Auch Kronprinzessin Cecilie solle als Schirmherrin des antisemitischen „Bundes Königin Luise“ nach Ansicht Sassmannshausens vom Schild verschwinden.

Kummer wird das Dokument auch der evangelischen Landeskirche EKBO bereiten: Mit ihrem für seinen Judenhass bekannten Urvater Martin Luther (mit einer großen Straße in Schöneberg, aber auch mit der Lichtenberger Junker-Jörg-Straße geehrt) hat sie einen prominenten Vertreter auf der Liste der zur Umbenennung Empfohlenen. Aber nicht nur ihn: Auch der heute als (späterer) Nazigegner und Galionsfigur der Anti-Atomkrieg-Bewegung bekannte Pastor Martin Niemöller war bekennender Antisemit – „Umbenennung“ lautet die klare Empfehlung.

Während das Dossier den ebenso notorischen Antisemiten Richard Wagner mitsamt seiner Frau Cosima sowie einigen seiner Werknamen (Rienzi, Tannhäuser, Lohengrin) lieber aus dem Straßenbild verbannen will, taucht ein anderer großer Name des 19. Jahrhunderts gar nicht auf: Karl Marx. Dabei hat der in seiner Schrift „Zur Judenfrage“ Dinge geschrieben, die aus heutiger Sicht zumindest stark eingeordnet werden müssen.

Dazu von der taz befragt, sagte Sassmannshausen, er habe auch eine „Liste von Zweifelsfällen“, bei denen ihm der Forschungsstand zu unsicher gewesen sei: „Da muss die Debatte noch geführt werden.“ Die Kontroverse etwa zu Marx’ mutmaßlichem Antisemitismus habe er im Rahmen des Dossiers nicht abbilden können.

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