Corona-Expertengremium: Pandemierat mit Diversitydefizit

Die Einrichtung eines Expertenrats ist gut. Nur kommen die Sozialwissenschaften zu kurz. Auch die Frauen sind unterrepräsentiert.

Mädchen mit Kopfhörer tippt auf PC-Tastatur

Zu häufig aus dem Blick verloren: junge Schü­ler:in­nen in Zeiten der Pandemie Foto: K. Schmitt/imago-images

Nun ist er da, der neue Expertenrat, der die Bundesregierung dauerhaft mit wissenschaftlichen Erkenntnissen zur Pandemie und Handlungsoptionen unterstützen soll. Bei seiner Zusammensetzung fällt auf, dass der Ruf nach mehr Vielfalt in der Beratung zumindest teilweise Gehör fand. So sind nicht nur Vi­ro­lo­g:in­nen mit unterschiedlichen Auffassungen zum Pandemiemanagement unter den Mitgliedern, es gibt auch eine gewisse disziplinäre Vielfalt: Neben Medizin und Modellierungsexpertise sind auch Ethik und Psychologie beziehungsweise Gesundheitskommunikation vertreten.

Gut so! Es gibt jedoch auch Probleme mit der Vielfalt. Zum einen ist – wieder einmal – keine Geschlechterparität gegeben. Zum anderen muss festgestellt werden, dass Perspektiven, die nicht aus Biomedizin oder Modellierungsszene stammen, nach wie vor unterrepräsentiert sind. Insbesondere Perspektiven aus den Sozialwissenschaften sind nicht dabei. Wo sind die So­zio­lo­g:in­nen, die empirische Erkenntnisse über Zusammenhänge zwischen sozialer Benachteiligung und Pandemie einbringen?

Weshalb gibt es keine Ex­per­t:in­nen für politische Protestformen, etwa der „Querdenker“, oder für volkswirtschaftliche Aspekte unterschiedlicher Lockdown-Optionen in dem Rat? Spätestens seit Sommer 2020 ist klar, dass es sich bei der Pandemie nicht um eine Krise handelt, die sich allein mit den Werkzeugen der Lebenswissenschaften adäquat begreifen lässt.

Zu offensichtlich ist die Tatsache, dass Covid-19 als „Syndemie“ aufgefasst werden muss, als Komplex aus medizinischen, psychologischen, sozioökonomischen und politischen Wechselwirkungen. Vor diesem Hintergrund ist die Nichtberücksichtigung der Sozialwissenschaften bei der Besetzung des wissenschaftlichen Expertenrats (nach knapp zwei Jahren Pandemie!) vollkommen unverständlich.

So werden gesellschaftliche Aspekte ausgeblendet, die wichtig für das Fine­tuning politischer Maßnahmen wären, womit das Risiko einer unausgewogenen Politikberatung durch den Rat höher ist, als es sein müsste.

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ist Wissenschaftsphilosoph am Institut für Medizin­geschichte und Wissenschaftsforschung der Universität zu Lübeck. Er leitet zurzeit ein von der Volkswagen-Stiftung gefördertes Projekt zur Integration interdisziplinären Wissens in der öffentlichen Gesundheits­politik.

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