Neues Pop-up-Kino im alten Flughafen: Unter den Wolken

Der Flughafen Tempelhof hat viel gesehen: Nazis, Luftbrücke und jetzt alte Filme. Man muss aufpassen, dass man nicht abhebt vor lauter Nostalgie.

Eine Illustration zeigt den Flughafen Tempelhof aus weuter Ferne und im Vordergrund eine Hand, die eine Tüte mit Popcorn hält - hier im ausgedienten Flughafen gibt es neuerdings Kinofilme

Im Tempelhofer Flughafen, lange ausgedient, werden jetzt sogar Filmklassiker gezeigt Illustration: Sebastian König

BERLIN taz | In den Pfützen schwimmt Benzin, schillernd wie ein Regenbogen, Wolken spiegeln sich darin, ich wär gern mitgeflogen“: Reinhard Mey hat, wohl aus Mitleid wegen des Fluglärms, dieses Lied allen Bewohnern von Tempelhof „zugeeignet“. Heute dröhnen keine Düsen mehr aus dem riesigen Dreißigerjahrebau, der sich vom Platz der Luftbrücke zur einen Seite nach Mariendorf und zur anderen nach Neukölln ausstreckt. Die kilometerlangen Rollbahnen liegen still und bekommen langsam Risse.

In der sonst ebenfalls stillen Haupthalle eröffnete am 25. November ein Pop-up-Kino. Bis in den Januar hinein sollen hier Filme gezeigt werden.

An der Westseite des Saals die verlassenen Schalter der Airlines: „Air Bourbon“, „TDA-AIR“, „Pacciona“, manche von ihnen bieten schon seit Jahren keine Flüge mehr an.

Auf der gegenüberliegenden Seite steht ein großer Tagesspiegel-Schriftzug, der nie abmontiert wurde. Darunter verschlossene Glastüren, durch die man früher zu den Gates gelangte. Darüber eine Galerie. Hinter zwölfeckigen hohen Säulen aus dem gelben Stein, der hier überall verbaut ist, liegen ebenso hohe Fenster im Schatten verborgen. Zwischen den Schaltern und den Gates liegt ein ausgeschaltetes Gepäckrollband.

Flughalle aus der Nazizeit

Die Säulen und Fenster sind aus der Mitte der 30er Jahre, als der bereits zehn Jahre vorher in Betrieb genommene Flugplatz zum europäischen Drehkreuz ausgebaut wurde. Die Schalter und der Schriftzug kamen später dazu. Von 1950 bis 2008 war der Flughafen in normalem Betrieb. In seinem letzten Jahr wurden hier fast 300.000 Passagiere abgefertigt. Dann wurde er stillgelegt.

In einem Volksentscheid stimmten die Berlinerinnen und Berliner im Mai 2014 für das „Gesetz zum Erhalt des Tempelhofer Feldes“. Das Flughafengelände bleibt öffentlich und darf langfristig nicht bebaut werden – 386 Hektar Land, mitten in Berlin. Seitdem ist das Feld ein Tummelplatz für SkaterInnen und Picknickende. Zirkusgastspiele, Festivals und Messen finden hier statt.

Auch als Kinokulisse macht sich das Gelände nicht schlecht. Das protzige Ambiente, der Widerhall in der gigantischen Halle, das 30er-Jahre-Flair: Es passt, dass hier vor allem Klassiker gezeigt werden sollen.

Vom selben Charme lebt auch die Rosinenbar – ebenfalls ein Pop-up-Projekt. Sie liegt im ehemaligen Transitbereich. Durch leere Gänge hört man leisen Jazz spielen. Im trüben Licht kann man durch Glastüren gehen und durch ehemalige Warteräume, mit Blick auf das Rollfeld. In einem dieser Räume findet man dann schließlich die Quelle der Musik, sie kommt aus Lautsprechern. Ein paar Sofas stehen um eine abbaubare Theke. Auf den großen Fensterbänken liegen Kissen.

Sehnsuchtsort Shangri-La

An die kalte Scheibe gelehnt kann man Flaschenbier trinken. So müssen die drei Eingeweihten in James Hiltons „Lost Horizon“ auf das Flugfeld geschaut haben, als sie in den 30er Jahren in genau diesem Flughafen von Shangri-La erzählt bekamen.

Reinhard Mey

„Über den Wolken, muss die Freiheit wohl grenzenlos sein“

Draußen fällt Regen auf die Rollbahn. Eine alte Propellermaschine steht quer vor der Bar. Ihre Tragflächen glänzen im Regen. Die Scheinwerfer des Gebäudes werfen einen Lichtkegel vor die Fenster. Etwa 50 Meter weit ist die Rollbahn hell erleuchtet, danach verschwindet sie abrupt in der Dunkelheit. Erst Kilometer weiter glühen die Lichter von Mariendorf. Golden-grün markieren sie das Ende des Feldes. Ach, abheben möchte man gerne: „Über den Wolken, muss die Freiheit wohl grenzenlos sein“ – vielleicht also wirklich nach Shangri-La?

Doch würde man tatsächlich in die kleine Maschine steigen, den alten Motor aufheulen lassen und durch die Regenwände über die Rollbahn brettern, würde man abheben, und schweben, bis über die Wolken, dann müsste man sich vorsehen: nur nicht nach unten gucken. Denn dann würde man sehen, dass der Flughafen im Grundriss wie ein Adler geformt ist – und aus wäre es mit der Nostalgie.

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Dieser Artikel stammt aus dem stadtland-Teil der taz am Wochenende, der maßgeblich von den Lokalredaktionen der taz in Berlin, Hamburg und Bremen verantwortet wird.

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