Musikduos als demokratische Bastionen: Aller guten Dinge sind zwei

Das Duo ist die kleinste Gemeinschaft, um zusammen Musik zu machen. Vier packende neue Duo-Alben, vier unterschiedliche Modelle der Arbeitsteilung.

Amy Douglas und Joe Goddard sind Hard Feelings

Spenden Kraft, um die Corona-Pandemie durchzustehen: Amy Douglas und Joe Goddard Foto: Pooneh Ghana

Magische Kombination: Hard Feelings

„Uns wurde viel Honig um den Bart geschmiert, nach dem Motto, alles wird gut! Aber die Hartnäckigkeit der Pandemie zeigt, dass dem nicht so ist. Wir brauchen viel mehr Kraft, um sie durchzustehen“, erklärt US-Sängerin Amy Douglas in einem Splitscreen-Video.

Die andere Bildhälfte füllt ihr Partner-in-Crime Joe Goddard aus, der in London auf einem Bett sitzend in die Kamera blickt. Später hört man die beiden nur noch auf der Tonspur und sieht Douglas bei Dreharbeiten des Videoclips zum Song „Dangerous“: Douglas, als Sängerin in der New Yorker Dancefloorszene meist im Umfeld des Labels DFA aktiv, und Goddard, Mitglied der britischen Band Hot Chip, haben sich für ihr Projekt Hard Feelings virtuell zusammengetan.

Corona verhinderte, dass sie in einem Raum an Songs feilen oder live auftreten. Wie aus Trotz ist dem Duo in der Distanz ein fabelhaftes Powerhouse-Album gelungen, dessen upliftende Dringlichkeit Gefühle schwungvoll boostert. Hard-Feelings-Songs sind für die Peak-Time auf dem Dancefloor gedacht. Da diese Nähe momentan nicht ohne Weiteres möglich ist, behauptet dies die Musik so würdevoll wie möglich.

Die Hälfte der Songs stammt aus der Feder von Douglas, ein Teil beruht auf Ideen von Goddard, der nach einer passenden Stimme gesucht hat. Erst gemeinsam kam die magische Kombination aus Affinität und Differenz zum Tragen, im Tandem konnten sich die beiden aus kreativen Sackgassen hinausmanövrieren und Konturen schärfen.

Hard Feelings: „Hard Feelings“ (Domino/GoodtoGo)

MMM: “On the Edge“ (MMM/Hardwax)

Bremer/McCoy: “Natten“ (Luakabop/Rough Trade)

LeRon Carson: “Under the Conditions“ (Sound Signature/Rush Hour)

Laut Duden spricht man vom Duo als „Gemeinschaft zweier Personen, die häufig gemeinsam in Erscheinung treten oder gemeinsam eine (strafbare) Handlung durchführen“. Entlehnt ist das Wort vom italienischen due (zwei). Auf musikalischer Ebene spricht man vom Duo einmal als Stück für zwei Instrumente und dann von einem aus zwei gemeinsam solistisch musizierenden Instrumentalisten bestehendem Ensemble. Das Duo ist kleinste mögliche Einheit, um gemeinsam Musik zu machen.

Analoge Arbeitsweise: Bremer/McCoy

„Am schwierigsten ist die Arbeit an unausgegorenen Song­ideen, denen noch das i-Tüpfelchen fehlt“, gesteht Jonathan Bremer, eine Hälfte des Kopenhagener Duos Bremer/McCoy. Bass, Piano, Synthesizer und ein Tape Delay: Die beiden Künstler benutzen ein überschaubares Instrumentarium und kreieren damit ein klares Soundbild: Hardcore-Wattebausch-Sound, weder Jazz noch Ambient, man kann sich in den Songs ihres Albums „Natten“ (Nacht) verlieren und geht trotzdem nie verloren.

Morten McCoy und Jonathan Bremer schieben Equipment auf die Bühne

Schleppen ihr Equipment noch selbst: Morten McCoy und Jonathan Bremer Foto: Fleming Bo Jensen

„Morten hat Reggae gespielt, mein Background ist Jazz, es gibt Schnittmengen. Sie ergeben bei uns etwas anderes, als wenn wir beide solo spielen würden“, erklärt Jonathan Bremer der taz. Verspult dringen Echos von scheinbar weit weg an die Klangoberfläche, gemächlich im Tempo. Die beiden kennen sich seit der Kindheit, „aber wenn sich eine Kompositionsidee zu kompliziert anfühlt, hilft auch keine Intuition. Es muss organisch klingen, andernfalls wird es Murks.“

Merkmal ihrer Musik ist der Verzicht auf jegliche Drums, Akkorde von Bass und Piano bilden sich und verschwinden wie Wolkenformationen am Himmel. „Dadurch entsteht Intimität. Der Klangraum, der sonst mit Drums und Beats gefüllt wäre, bleibt leer. Darin steckt Schönheit, Beats gibt es zwar auch, nur klingen die anders.“ Etwa das Rhodes-E-Piano in dem Song „Hjertebarn“, dessen angeschlagene Tasten den subtilen Rhythmus bilden. Oder das dubbige Echo in „Nova“, das durch einige Filter gejagt wird, bis es im Akustikbass von Bremer aufgeht.

Gelingt die Arbeitsteilung zweier Personen leichter, weil die Aufgabenverteilung klar ist? Ist es Zufall, dass Musik von Duos oftmals durch ihre Funktionalität beflügelt? Der Soziologe Émile Durkheim machte sich grundlegende Gedanken zur Arbeitsteilung. Er nahm an, dass ihr in komplexen Gesellschaften integrative Funktion zukomme. Sie entstehe erst durch „organische Solidarität“: soziale Konfiguration und Arbeitsteilung gleichartiger Einheiten.

Im Zeitalter des Fordismus wurde Arbeitsteilung durch Rationalisierungsmaßnahmen an Fließbändern zunehmend entfremdet wahrgenommen. In modernen postfordistischen Jobprofilen, in denen Tätigkeiten zu Mikroeinheiten am Computer zerlegt werden, muss Arbeitsteilung neu verhandelt werden. Vielleicht ist die analoge Arbeitsweise von Bremer/McCoy eine bewusste Abkehr von dieser Arbeitswelt.

Schlachtfest der Genauigkeit: MMM

„Wir sitzen immer zusammen im Studio und entscheiden gemeinsam“, erklärt der Berliner Elektronikproduzent Michael „Fiedel“ Fiedler zur Arbeitsweise von MMM, dem Duo, das er mit seinem Partner Erik „Errorsmith“ Wiegand betreibt. „Zu zweit hört man die Musik schon beim Machen anders: immer mit dem Ohr des anderen. Es hat was Symbiotisches, wozu man wenig Worte verlieren muss, da ich Erik und seinen Geschmack kenne.“

Erik Wiegend und Michael Fiedler in einem langen Flur

Langer Flur zum Dancefloor: Erik Wiegand und Michael Fiedler Foto: MMM

Beim Elektronik-Duo MMM (benannt nach der DDR-Variante der Bundesjugendspiele „Messe der Meister von Morgen“) treffen zwei musikalische Sphären aufeinander: Errorsmith, Soundtüftler und Softwareprogrammierer, und Fiedel, der als DJ vor allem durch seine Residency im Berliner Berghain bekannt wurde, ergänzen sich. „Wir schätzen jeweils die Arbeit des anderen und haben dadurch eine Basis gefunden.“

Ihr Debütalbum als MMM ist ein schlagzeuggetriebenes Schlachtfest der Genauigkeit. Wenn der Bogen schroff über ein Cello streicht, eine Bass­drum zu klopfen beginnt, Reifen eines Pkws quietschen und eine Polizeisirene heult, beginnen die Berliner Künstler zu arrangieren, tauchen Samples in ein Säurebad aus Hall und gruppieren furztrockene Drumbeats in eleganten Schraffuren konzentrisch drumherum.

Selten ist eine menschliche Stimme zu hören, so wie beim Track „The Interview“ berichtet eine Frau von Strapazen, die man als Büh­nen­mu­si­ke­r:in auf Tour erfährt: körperliche und seelische Anstrengungen, Zusammenbrüche, Bedürfnisse. „Diese Auszüge beschreiben das Wesentliche jener Situation. Man könnte sie aber auch auf unser Alltagsleben projizieren, das von Stress und Überarbeitung bestimmt ist. Unsere Musik unterstreicht das Gesagte.“

Jeder Klangpartikel scheint hier einer TÜV-Prüfung unterzogen, erst dann wird er im Gerüst der Tracks arrangiert und entwickelt eigenwillige Strenge jenseits von Genrezuschreibungen. „Es dauert lange, bis alles sitzt. Wir haben fast jedes Stück mit einem Akkord-Sound angefangen, den wir per Verzerrung angeraut haben. Dieser Sound bestimmt die Atmosphäre des Stücks und gibt uns eine Idee zum Ablauf. Wir haben anfangs keine klare Vorstellung davon, wohin die Reise geht. Komponieren ist ein organischer Prozess.“ Alles an seinem Platz, „Every­thing Falls into Place“ heißt einer der Tracks von MMM, die mit einer Sparflamme wahre Feuerwerke erzeugen und die Augen und Ohren damit zum Leuchten bringen.

Gelebte Solidarität: LeRon Carson und Theo Parrish

Das Duoprinzip bei LeRon Carson und Theo Parrish ist Ausdruck einer gelebten Solidarität. Letzterer veröffentlicht auf seinem Label Sound Signature die Werke seines Jugendfreundes LeRon Carson. Parrish wuchs in Chicago auf, wurde aber in Detroit als DJ, Produzent und Labelbetreiber berühmt. Er ist nun in der Rolle des Mentors, seit einigen Jahren veröffentlicht er die Musik von Carson, gibt seinem einstigen Helden etwas, zu dem dieser durch seine prekäre ökonomische Lage nicht im Stande ist.

Nun hat Sound Signature mit „Under the Conditions“ ein Doppelalbum von Carson veröffentlicht. Auf der Rückseite des Albums ist ein Foto der beiden Freunde abgedruckt, in den Liner­notes schreibt Parrish: „In der Southside von Chicago gab es Ende der 1980er drei Felder, in denen man als Schwarzer wirken konnte: Basketball, Gangs oder Musik. LeRon ist ganz und gar Musik. Sie ist Ausdruck der Kämpfe, Triumphe, Fehler, Erinnerungen und Erfahrungen der Gemeinschaft, die wir geteilt haben.“

Die acht Tracks klingen noch immer, wie sie damals, Ende der 1980er, aus der Zeit gefallen waren: basale Rhythmen, kurze, verzerrte ­Stimmsamples, verwaschene Keyboards erinnern daran, dass Housesound den Community-Gedanken von Disco in eine elektronische Zukunft geschickt hat, die auch heute nicht nach Vergangenheit klingt, sondern nach Hunger auf Leben.

Möglich gemacht von zwei Personen, deren Musik, wie die auf allen hier erwähnten Duo-Alben, an die Gemeinschaft appelliert.

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