Niedrige Impfquote in Deutschland: Ungeimpft, aber nicht Impfgegner

Die Impfquote in Deutschland ist nicht besonders hoch – die Gründe dafür sind vielfältig. Und etwas komplexer als gemeinhin angenommen.

Impfwillige in einer Warteschlange, eine Frau füllt ein Formular auf dem Rücken einer anderen Frau aus

Hunderte Impfwillige vor einer Station im baden-württembergischen Nürtingen Foto: Daniel Jüptner/7aktuell/imago

BREMEN taz | Viel ist derzeit zu lesen und zu hören über die „deutschsprachigen Länder“, die in Europa die höchste Quote an Ungeimpften haben sollen. Zur Erklärung ziehen Jour­na­lis­t:in­nen einerseits oft die angeblich so zahlreichen Anthroposophiegläubigen und Es­o­te­ri­ke­r:in­nen im linken Bürgertum heran, andererseits den fehlenden Zentralstaat. Doch das sind vor allem gefühlte Wahrheiten.

Das beginnt mit der angeblich niedrigsten Covid-Impfquote im eu­r­opä­­ischen Vergleich. Richtig ist: Die Schweiz, Österreich und Deutschland liegen in Europa im Mittelfeld der Corona-Durchimpfung. Doch der Abstand ist teilweise gering. Deutschland hat laut einer Auflistung der Oxford University (Stand vom Freitag) eine Impfquote von 67,33 Prozent. Davor kommen Großbritannien (67,63 Prozent), Schweden (68,82 Prozent), Frankreich (68,95 Prozent, Stand vom Donnerstag) und Norwegen (69,26 Prozent, Stand vom Mittwoch).

Damit ist der Abstand zum Spitzenreiter Portugal (87,78 Prozent, Stand von vor einer Woche) zwar groß. Aber auch in Deutschland gibt es etwa mit Bremen eine Region, die immerhin fast so gut dasteht wie die Dritt- und Viertplatzierten Island (81,56 Prozent) und Spanien (80,26 Prozent): 79,4 Prozent der Bevölkerung in Bremen sind geimpft. Hamburg, das Saarland, Schleswig-Holstein und Nordrhein-Westfalen wären mit über 70 Prozent europaweit unter den Top Ten.

Die hohe Bremer Impfquote lässt sich nicht damit erklären, dass es dort so wenig An­thro­po­so­ph:in­nen gäbe. Mit drei Waldorfschulen existieren anteilig auf die Bevölkerung gerechnet genauso viele Waldorfschulen wie im Steiner-Kernland Baden-Württemberg.

Vertrauen schaffen durch Verzicht auf Ausgangssperren

Tatsächlich haben die Bremer Regierung und Verwaltung die Impfkampagne vorbildlich organisiert. Zudem hat die Regierung das Vertrauen der Bevölkerung gestärkt, unter anderem indem sie auf das Androhen von Ausgangssperren verzichtet hat.

Außerdem haben die Verantwortlichen früh erkannt, dass sie Menschen mit wenig formaler Bildung erreichen müssen und solche, die kaum Deutsch sprechen. Denn dort sind die Wege zum Impfen grundsätzlich am weitesten, wie die alle zwei Jahre durchgeführte Befragung der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA) über Einstellungen zum Impfen feststellt: „Unter den Befragten mit formal höherer Schulbildung ist der Anteil der Impfbefürworter höher als unter Personen mit niedrigerem oder mittlerem Bildungsniveau.“ Und: „Befragte ohne Migrationshintergrund können etwas häufiger als Personen mit Migrationshintergrund als Impfbefürworter bezeichnet werden.“

Allgemein hätten „Ostdeutsche häufiger eine befürwortende Haltung gegenüber Impfungen als Westdeutsche“. Das trifft allerdings nicht auf die Covid-Impfung zu. Die von der Universität Erfurt koordinierte Cosmo-Studie fragt seit Pandemiebeginn Einstellungen zur Covid-Impfung ab. Sie stellt fest, dass Ungeimpfte „häufiger einen Migrationshintergrund“ hatten, aber auch „eher aus Ostdeutschland“ kamen. Mit Ausnahme von Mecklenburg-Vorpommern liegen die ostdeutschen Bundesländer bei den Impfquoten zum Teil deutlich unter dem Bundesdurchschnitt.

Rund die Hälfte der bisher Ungeimpften fühlt sich gedrängelt

Auch die Gründe haben die Cosmo-Autor:innen abgefragt: „Etwa die Hälfte der bisher Ungeimpften mit niedriger Impfbereitschaft möchte sich nicht impfen lassen, weil sie sich gedrängelt fühlen“, heißt es in der jüngsten Veröffentlichung von Anfang November. Und „für 18 Prozent der Ungeimpften mit niedriger Impfbereitschaft ist das Nichtimpfen eine Möglichkeit, die Unzufriedenheit mit der Regierung auszudrücken“. Zudem würden sie „deutlich die Effektivität der Impfungen“ unterschätzen.

Mitte Oktober hatte auch das Bundesgesundheitsministerium eine Untersuchung zu Gründen von Ungeimpften veröffentlicht. Das größte Hindernis scheint demnach die Angst zu sein: Drei Viertel der Befragten hätten der Aussage „voll und ganz“ zugestimmt, sie hätten sich nicht impfen lassen, weil sie die Impfstoffe „für nicht ausreichend erprobt“ halten.

Viele tun sich schwer mit Entscheidungen

Auch anekdotische Berichte legen nahe, dass der Begriff „Impfgegner“ nicht weit führt. „Die meisten, die jetzt erst zu mir zum Impfen kommen, sind Menschen, die sich schwer mit Entscheidungen tun“, sagte Hans-Michael Mühlenfeld vergangene Woche der taz, er ist Vorsitzender des Bremer Hausärzteverbands. Und Janosch Dahmen, grüner Bundestagsabgeordneter und Rettungsarzt, hatte im taz-Interview seine Beobachtung beschrieben, dass die Ungeimpften auf den Intensiv­stationen „mehrheitlich keine Hardcore-Coronaleugner“ seien, „sondern Menschen mit wenig Geld, wenig Bildung und schlechtem Zugang zum Gesundheitswesen“.

Die These einer tief im deutschen Wesen verwurzelten Impfskepsis lässt sich somit nicht aufrechterhalten. Die Studie der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung besagt, dass der Anteil von Menschen, die Impfungen ganz ablehnen, mit 2 Prozent konstant niedrig ist, in den Vorjahren sogar gesunken war. Hinzu kommen 2 Prozent, die Impfungen „eher ablehnen“.

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