Corona in Israel: Bei Kindern hört die Impflust auf

Ausgerechnet im immunisierungsfreudigen Israel zögern manche Eltern, ihre Kinder gegen Corona impfen zu lassen. Ein Religionsforscher ahnt, warum.

Ein Mädchen wird geimpft, eine kleine Figur mit Impfflasche ist auf eine blaue Wand gemalt

Impfung eines Mädchens in Jerusalem Foto: Ammar Awad/reuters

„Hat gar nicht wehgetan“, sagte David Bennett, der 9-jährige Sohn des israelischen Regierungschefs, am Dienstag in die TV-Kameras. David war eines der ersten Kinder der Altersgruppe 5–11, die neuerdings in Israel geimpft wird. Das Land folgt damit den USA, die vor zwei Wochen als weltweit erstes Land damit begannen. Insgesamt leben im kinderreichen Israel etwa 1,2 Millionen 5- bis 11-Jährige, sie machen rund 13 Prozent der Gesamtbevölkerung aus. Für rund 30.000 Kinder dieser Altersgruppe hatten die Eltern schon kurz vor Start der Impfkampagne Termine gebucht.

In Israel hat das neues Öl in die ohnehin erhitzte Debatte rund um die Immunisierung gegossen. Das Land ist in Sachen Corona-Impfung ähnlich gespalten wie Deutschland, und die Kinderimpfungen haben Impf­geg­ne­r*in­nen nun noch mehr auf die Palme gebracht. An diesem Samstag wollen sie am Habima-Platz in Tel Aviv „für die Freiheit“ auf die Straße gehen – gegen Lockdowns und die sogenannten Grünen Pässe, ohne die einem in Israel der Zutritt zur Gastronomie, zu Kultur­ein­richtungen und Universitäten verwehrt bleibt. Es dürfte, wie schon zuvor, zu Auseinandersetzungen mit der Polizei kommen.

Für diejenigen, die ihre eigenen Ärmel bereits dreimal bereitwillig hochgerollt haben, ist die Sache mitunter komplizierter. Einige von den eigentlichen Impf­be­für­wor­te­r*in­nen sind zögerlicher, wenn es darum geht, ihre Kinder impfen zu lassen. Das sieht auch Regierungschef Naftali Bennett: „Ich weiß“, schrieb er in einem langen Text auf Facebook, „viele haben Angst, ihre Kinder impfen zu lassen, und das sind nicht unbedingt Impfgegner oder Vertreter von Verschwörungstheorien.“

Galia Nave ist eine von ihnen. Die 41-jährige Tel Aviverin ist selbst bereits dreimal geimpft. Als Mutter eines 6-jährigen Kinds hat sie jedoch das Gefühl, dass angesichts der aufgeheizten Stimmung eine wirkliche medizinische Debatte nicht möglich ist. „Es sollte eine medizinische Diskussion sein, keine religiöse“, sagt sie der taz am Telefon. „Ich kann diese Idioten auf beiden Seiten in ihrem heiligen Impfkrieg nicht ausstehen.“

Besonders heftig wird dieser Krieg in Israel auch online geführt. „Ich habe auf einen Schlag hundert Freunde verloren, quasi all meine Hippie-Freunde, Impfgegner“, erzählt Yoni Adam in einem Café in Tel Aviv. Einen sarkastischen Post, den er geteilt hatte, fanden die Impf­geg­ne­r*in­nen unter seinen Freunden gar nicht lustig. Der Post persifliert die Indifferenz einiger Israelis gegenüber der Besatzung im Westjordanland und den Lebensbedingungen im Gazastreifen und wirft den Impf­geg­ne­r*in­nen vor, ihre moralische Entrüstung in eine völlig falsche Richtung zu lenken.

Einige Impf­geg­ne­r*in­nen haben ihr Profilbild mit dem Slogan „Wir geben unser Kind nicht für Experimente frei“ versehen. „Kinder sollten nicht mit einem Impfstoff geimpft werden, der bisher an nur wenigen tausend Kindern getestet wurde“, lautet das am weitesten verbreitete Argument.

Dieser Text stammt aus der taz am wochenende. Immer ab Samstag am Kiosk, im eKiosk oder gleich im Wochenendabo. Und bei Facebook und Twitter.

Woher aber rührt die Sorge im Falle der Kinderimpfungen bei denjenigen, die eigentlich für Impfungen sind? Eine interessante Antwort kommt aus ungewöhnlicher Ecke, von Tomer Persico, einem Religionswissenschaftler mit dem Schwerpunkt neuere spirituelle Strömungen: „Natürlich würde ich mein Kind impfen lassen“, schrieb Persico auf Facebook. Er entlarvte das eigentliche Problem, „das uns zögern lässt, unsere Kinder zu impfen“, als ein psychisches: „Unser moralischer Mechanismus funktioniert so, dass der Schaden, der durch unser aktives Handeln verursacht wird, intuitiv für ein größeres Verbrechen gehalten wird als ein Schaden, der durch Untätigkeit, das heißt, durch Vernachlässigung entsteht.“ Dabei beruft er sich auf verschiedene Studien zur Moral- und Sozial­psycho­logie.

Selbst wenn wir, fährt er fort, nichts über die Langzeitwirkungen der Impfung wüssten (was wir, wie er schreibt, aber tun), sei völlig klar, „dass wir nichts über die Langzeitnebenwirkungen von Sars-CoV-2 wissen.“ Das Virus sei in der Lage, in das menschliche Gehirn einzudringen und den Geschmacks- und Geruchssinn zu zerstören, was kontinuierliche Müdigkeit verursachen kann, Gedächtnisverlust, Schwindel, Übelkeit. Seine Kinder werde er deshalb davor schützen.

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Jahrgang 1979, Auslandsredakteurin, zuvor von 2019 bis 2023 Korrespondentin für Israel und die palästinensischen Gebiete.

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