EU, Atomkraft und grünes Geld: Nachhaltigkeit als Märchen

Die EU überlegt, Atomkraft als „nachhaltig“ zu deklarieren. Welchen Wert hat der Begriff Nachhaltigkeit noch und vor allem: Was taugen Geldanlagen mit Nachhaltigkeits-Label?

Weiterhin unentbehrlich: Fahnen der Anti-AKW-Bewegung Foto: pa/dpa/Christoph Schmidt

Wie oft steht irgendwo „nachhaltig“ drauf – auf Geldanlagen, auf Imagebroschüren von Firmen, auf unterschiedlichsten Produkten. Das Problem: Jede:r hat seine eigene Definition von „nachhaltig“.

In der Ursprungsfassung war der Begriff noch klar umrissen. Er kommt aus der Forstwirtschaft und besagt, dass nicht mehr Holz gefällt wird, als jeweils nachwächst.

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Biosiegel für den Kapitalmarkt

Auf andere Wirtschaftsaktivitäten ausgedehnt bedeutet diese strenge Lehre: Man darf keine Rohstoffe unwiederbringlich verbrauchen – etwa keine fossilen Energien verbrennen. Man darf keinen Müll hinterlassen, der sich nicht wieder in natürliche Kreisläufe integrieren oder ohne Qualitätsverlust recyceln und damit weiterhin nutzen lässt. Nur eine perfekte Kreislaufwirtschaft ist im strengen Sinne nachhaltig.

Doch längst wurde der Nachhaltigkeitsbegriff zur Floskel degradiert. Das zeigen deutlicher denn je die Pläne der EU-Kommission, die mit der sogenannten Taxonomie-Verordnung aktuell eine Art Biosiegel für den Kapitalmarkt entwickelt; eine weltweit einmalige „grüne Liste“ für nachhaltige Wirtschaftstätigkeiten. Wer in Zukunft in der EU ein Anlageprodukt als ökologisch vorteilhaft bewerben möchte, muss die darin definierten Regeln einhalten.

Allerdings soll plötzlich auch die Atomkraft dieses Siegel der Nachhaltigkeit führen können. Das mag nun unbedeutend klingen, aber es wäre naiv, die Wirkung der EU-Verordnung 2020/852 „über die Einrichtung eines Rahmens zur Erleichterung nachhaltiger Investitionen“ als gering einzuschätzen.

Gerade für den Umbau der Energiewirtschaft dürfte die Bedeutung des Regelwerks enorm sein. Denn wer künftig den Maßgaben der Taxonomie-Verordnung nicht gerecht wird, könnte es schwer haben, Anleger oder Kreditgeber für sein Projekt zu finden. Auch könnten ihm höhere Kreditzinsen drohen.

Atom und Gas bald „nachhaltig“?

Investor:innen bis hin zu großen Fonds dürften eine entsprechende Zertifizierung künftig zur Grundlage ihrer Anlageentscheidungen machen – und sei es nur, weil sie glauben, ihre Produkte dann wiederum ihren Kunden besser verkaufen zu können.

Doch nun soll offenbar die Atomkraft auch auf die Liste kommen, was den Begriff der Nachhaltigkeit weiter schädigen dürfte. Lange hatte es so ausgesehen, als sei die Atomenergie in der Taxonomie außen vor, doch plötzlich drehte sich der politische Wind.

EU-Kommissionschefin Ursula von der Leyen habe angekündigt, noch im November einen delegierten Rechtsakt für das EU-Nachhaltigkeitslabel vorzulegen, der auch Atomkraft und Gas beinhaltet, sagte Ende Oktober der grüne Europaabgeordnete Sven Giegold. Zuvor hatte sich von der Leyen stets dagegen ausgesprochen.

Allein schon der Uranabbau und die Uranvermahlung verletzen die gesteckten Umweltziele“

Energiewende mit Hochrisikotechnik

„Anstatt Investitionen in wirklich nachhaltige Techniken zu lenken, würde das Regelwerk für nachhaltige Finanzen genau das Gegenteil bewirken und riskante Atomkraftwerke und klimaschädliche Gaskraftwerke fördern“, sagt auch Jochen Stay, Sprecher der Anti-Atom-Organisation .ausgestrahlt e. V.

Es sei „ein Skandal, dass Bundeskanzlerin Merkel und EU-Kommissionspräsidentin von der Leyen das politische Vakuum beim Übergang von der alten zur neuen Regierung nutzen wollen, um Fakten zu schaffen, die die Energiewende auf europäischer Ebene massiv zurückwerfen“. Die „Hochrisikotechnik Atomkraft“ verletze eindeutig den Do-No-Harm-Ansatz („Richte keinen Schaden an“), den die Taxonomie-Verordnung sich zum Maßstab machen will.

Unterdessen erkennt auch ein Rechtsgutachten der Sozietät Redeker Sellner Dahs im Auftrag des österreichischen Klimaschutzministeriums Indizien, dass schon allein der Uranabbau und die Uranvermahlung die gesteckten Umweltziele verletzen.

Atommüll verstößt gegen Prinzip der Nachhaltigkeit

Hinzu komme, dass das „empirisch nachgewiesene Risiko schwerer Unfälle in Kernkraftwerken und unter Berücksichtigung der schwerwiegenden Folgen solcher Unfälle für die menschliche Gesundheit und die Umwelt“ dazu führe, dass die Atomkraft kaum mit den Nachhaltigkeitskriterien konform gehen könne.

Ebenso liege nahe, dass das Thema Atommüll gegen das Prinzip der Nachhaltigkeit verstoße, denn „beobachtbare Beispiele von Endlagern gibt es nicht“.

Das alles heißt für den:die privaten Anleger:innen vor allem eines: Wer grüne Geldanlagen sucht, wird – der EU-Kommission sei Dank – in Zukunft noch genauer hinschauen müssen, was er für sein Geld wirklich bekommt. 🐾

Dieser Text erscheint im taz Thema Grünes Geld, Ausgabe November 2021, Redaktion: Volker Engels. Frühere Ausgaben des taz Themas Grünes Geld können Sie hier nachlesen.

Bernward Janzing arbeitet als freier Journalist zu Energie- und Umweltthemen. In mehreren Büchern hat er verschiedene Facetten der Historie der Stromwirtschaft aufgearbeitet. Sein Buch „Vision für die Tonne. Wie die Atomkraft scheitert“ erschien 2016 (Picea Verlag).